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Die Baummortalität ist in Österreich in den vergangenen Jahrzehnten stark gestiegen.

Foto: Picturedesk / ChromOrange / Florian Berendt

Saurer Regen verursacht Waldsterben. In den 1980er-Jahren wurde dieser Zusammenhang zu einem der größten Themen der Umweltbewegung. Die damals neuen Waldschäden wurden mit Schwefeldioxidbelastung durch Schwerindustrie und Kohlekraftwerke in Verbindung gebracht. Mit dem Einsatz neuer Umwelt- und Filtertechnik und der Stilllegung von Schadstoffproduzenten in Europas Osten nach der Wende gingen die Schwefelwerte zurück. Es wurde ruhig um das Thema.

Doch das heißt nicht, dass das Sterben der Bäume aufgehört hat. Rupert Seidl vom Institut für Waldbau der Universität für Bodenkultur Wien (Boku) hat diesbezüglich betrübliche Nachrichten zu verkünden. "Unsere Untersuchungen ergeben, dass sich in den vergangenen 30 Jahren die von Baummortalität betroffenen Flächen in Mitteleuropa verdoppelt haben", sagt der Forstwissenschafter. Das sei durchaus brisant, da dieser Zeitraum lediglich ein Drittel der Lebenszeit der Bäume in heimischen Wirtschaftswäldern umspannt. Im Gegensatz zum Waldsterben der 1980er-Jahre steht das aktuelle Baumsterben in engem Zusammenhang mit der Erderwärmung. Seidl: "Wir können zeigen, dass die höhere Sterblichkeit stark mit der steigenden Temperatur korreliert."

Baumsterben in Mitteleuropa

Seidl und sein Kollege Cornelius Senf stellen ihre Studie zur Baummortalität, die im Journal "Nature Communications" veröffentlicht wurde, beim 20. Klimatag in Wien vor. Die Tagung, die vom 24. bis 26. April an der Boku und der TU Wien stattfindet, bietet einen Überblick über die Klimaforschung in Österreich – von grundlegender Ökosystemforschung bis zu Vermeidungs- und Anpassungsstrategien. Veranstalter ist das Climate Change Center Austria (CCCA). Die 2011 gegründete Plattform macht es sich zur Aufgabe, Grundlagen- und angewandte Forschung, Politik und Öffentlichkeit in Klimawandelfragen zu vernetzen.

Seidl und sein Team haben, unterstützt vom Wissenschaftsfonds FWF, Satellitenbilder von Wäldern in Österreich, Deutschland, Polen, Tschechien, der Slowakei und der Schweiz aus den Jahren 1984 bis 2016 in mühevoller Kleinstarbeit interpretiert. 24.000 Waldflächen von 30 mal 30 Meter Größe wurden dazu zufällig ausgewählt. Die Forscher sahen sich aussagekräftige Bereiche des Infrarot- und des sichtbaren Lichtspektrums an, um die Bilder jeweils auf Veränderungen im Kronendach hin zu untersuchen.

Waldviertel stark betroffen

Die Ergebnisse zeigen eine beunruhigende Entwicklung: Während Ende der 1980er-Jahre lediglich etwa 0,5 Prozent der Waldfläche betroffen war, lag dieser Wert 2016 jenseits der Ein-Prozent-Marke. Im Mittel lag die jährliche Zunahme in allen Ländern bei 2,39 Prozent, in Österreich allein aber bei 2,9 Prozent. "Sehr stark betroffen sind zum Beispiel das Waldviertel, das oberösterreichische Alpenvorland oder steirische Mittelgebirgslagen", konkretisiert Seidl.

Kombiniert man die Ergebnisse mit Klimawandeldaten, zeigt sich, dass eine durchschnittliche Erwärmung um ein Grad Celsius einem Anstieg der Mortalität im Kronendach von 0,41 Prozent entspricht. In der Studie werden keine Aussagen über die konkreten Gründe des Baumsterbens getroffen. Klar ist jedoch, dass eine Zunahme extrem heißer und trockener Sommer, die etwa Borkenkäferepidemien auslösen, dem Wald zusetzt. Gleichzeitig werden Mitteleuropas Wälder heute intensiver genutzt als noch in den 1980ern.

Größere Lücken im Kronendach

Die Forscher haben die von Mortalität betroffene Fläche des Kronendachs gemessen. Während diese über die Zeit ansteigt, bleibt die Zahl der absterbenden oder entnommenen Bäume annähernd konstant. Dieser Unterschied lässt sich dadurch erklären, dass heute tendenziell ältere und größere Bäume sterben als in der Vergangenheit und diese im Kronendach größere Lücken hinterlassen.

Das Baumsterben ist nur ein Aspekt der komplexen und vielschichtigen Veränderungen des Ökosystems, die die Erderwärmung mit sich bringt. Um der Komplexität besser gerecht zu werden, müssen die Datenerfassung und die Modellierungen umfassender werden. Im von der Förderagentur FFG unterstützten Projekt LTER-CWN, das das Umweltbundesamt gemeinsam mit mehreren Universitäten umsetzt, kümmert man sich etwa um bessere Messmethoden bei Klimawandelprozessen.

An sechs Standorten des österreichischen Netzwerks Long-Term Ecosystem Research (LTER) – von der Alpenlandschaft im Stubaital bis zum Pürgschacher Moor und Neusiedler See – werden bereits jetzt Daten über Ökosysteme gesammelt, die "bedeutende naturräumliche Einheiten repräsentieren". Am Standort Zöbelboden in den oberösterreichischen Kalkalpen, den das Umweltbundesamt betreut, werden etwa bereits seit 27 Jahren Daten zum Kohlenstoff- und Stickstoffkreislauf und zur Biodiversität erhoben.

Dürren und Starkregen

"An diesen bereits lange bestehenden Standorten können nun dank des Projekts auch die Auswirkungen kurzfristiger Extremwetterereignisse gemessen werden", meint Thomas Dirnböck vom Umweltbundesamt – ebenfalls Vortragender am Klimatag. Multiparametersonden messen etwa im Minutentakt Nitratwerte im Abfluss und können somit auch Einflüsse von Starkregen auf Belastungen im Grundwasser festhalten. Bisher war der Messtakt wöchentlich, betont Dirnböck.

Ein wichtiger Faktor im Kohlenstoffkreislauf ist die sogenannte Bodenrespiration. Die Wurzeln der Bäume selbst sowie Mikroorganismen im Waldboden geben CO2 in die Umgebungsluft ab. "In automatischen Messkammern, die direkt auf dem Boden aufsetzen, werden diese Kohlenstoffströme kontinuierlich gemessen", sagt der Forscher. "Bei Extremereignissen wie Dürren und Starkregen weiß man noch wenig über die Auswirkungen auf den CO2-Haushalt des Waldbodens." Werden die Prozesse besser verstanden, können letztendlich genauere Kohlenstoffbilanzen der Ökosysteme angefertigt werden. Dasselbe gilt für den Stickstoffhaushalt und die komplexen Interdependenzen dieser Faktoren in einem sich verändernden Klima sowie ihre Auswirkungen auf die Biodiversität.

Anpassungsstrategien

Neben den Einflüssen auf natürliche Ökosysteme stellt sich auch die Frage, wie man sich im menschlichen Zusammenleben besser gegen die Auswirkungen des Klimawandels wappnen kann. In diesem Bereich ist Stefan Kienberger vom Fachbereich Geoinformatik – Z_GIS der Universität Salzburg im Rahmen des Klimafonds-Projekts Respect tätig.

Der Ansatz, den Kienberger am Klimatag präsentiert, stellt den Risikobegriff ins Zentrum, wie er im fünften Bericht des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) definiert wird – nämlich als "Potenzial für negative Auswirkungen" auf Leben, Ökosysteme, Infrastrukturen und andere Faktoren. Auf Basis einer Vielzahl entsprechender "räumlicher Indikatoren" sind die Forscher dabei, eine "Verwundbarkeits- und Risikokarte" Österreichs zu zeichnen.

Im Projekt wurden zahlreiche einschlägige Daten zusammengetragen: zu Frühwarnsystemen, zur Gesundheitsversorgung und zur Nahversorgung, zu den Möglichkeiten der Verkehrsinfrastrukturen, zur Landnutzung und zu sozioökonomischen Faktoren wie Altersverteilung oder Beschäftigungssektoren. "Eine Innovation des Projekts ist die Darstellung der Verwundbarkeit", erläutert Kienberger. Man richte sich nämlich nicht an Verwaltungseinheiten wie Gemeinde- oder Bundesländergrenzen aus, sondern überziehe das Bundesgebiet mit einem Raster von quadratkilometergroßen Feldern.

Verwundbare Strukturen

In diesem Raster von "homogenen Raumeinheiten" werden nun die Verwundbarkeitsindikatoren gemeinsam mit Gefährdungsdaten zu Risikokarten über Naturraum- und Klimawandelgefahren zusammengeführt. Das Ziel ist für Kienberger, die "Komplexität und Multidimensionalität" in der Beziehung zwischen Gesellschaft und Klimawandel greifbar zu machen. Gebiete mit Hochwasser-, Dürre- oder anderen Gefährdungen werden offensichtlich. Es können verwundbare Strukturen identifiziert und entsprechende Verbesserungsmaßnahmen abgeleitet werden. Die auf diese Weise neu aufbereitete Datensammlung soll als Entscheidungshilfe bei regionalen Anpassungsstrategien dienen. Denn Hilfe wird in dieser Hinsicht in Zukunft äußerst gefragt sein. (Alois Pumhösel, 24.4.2019)