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Die Köcherfliege verdankt ihren Namen ihrer Larvenhülle, die Köcher genannt wird. In Mitteleuropa leben rund 400 verschiedene Arten der Köcherfliege.

Foto: Picturedesk / David Aubrey

Gewässer sind überall in der industrialisierten Welt durch den Menschen gefährdet: Sie werden verschmutzt, begradigt, verbaut, und dementsprechend bedroht ist ihre Artenvielfalt. Dabei ist nicht nur die Rede von Fischen oder Wasservögeln, sondern auch von wirbellosen Tieren wie Schnecken, Würmern oder Insekten. Eine kürzlich etablierte Arbeitsgruppe am Wasser-Cluster Lunz nimmt sich unter dem Namen "Quiver" der Biodiversität jener weniger augenfälligen Organismen an.

Der Wasser-Cluster Lunz (WCL) ist ein Forschungszentrum, an dem die Universität Wien, die Universität für Bodenkultur Wien und die Donau-Universität Krems beteiligt sind. Sein Ziel ist die Erforschung aquatischer Ökosysteme, was ihn zum Nachfolger der 2003 geschlossenen Biologischen Station Lunz macht. Dabei geht es um eine möglichst ganzheitliche Erfassung dieser Ökosysteme, worin Insekten und andere Wirbellose eine wesentliche Rolle spielen. Mit der Schaffung einer weiteren Arbeitsgruppe am WCL wird auch dieser Aspekt nun abgedeckt. Vergangenen Sommer konnte sie dank der Finanzierung durch das Land Niederösterreich und die Universität für Bodenkultur Wien realisiert werden.

Köcher aus Seide und Sand

Geleitet wird die Gruppe vom Biologen Simon Vitecek, der seine Dissertation über Köcherfliegen verfasst hat. Die Larven der Köcherfliegen leben im Wasser, und zwar in einer Hülle, dem namengebenden Köcher, der je nach Art aus verschiedenen, durch Seide zusammengehaltenen Materialen bestehen kann: aus Sand, kleinen Steinen, Pflanzenstückchen bis hin zu Schmucksteinen.

Von hier kommt auch der Name der Arbeitsgruppe: Zwar heißen Köcherfliegen auf Englisch "caddisflies", wörtlich übersetzt würden sie aber "quiver flies" nach dem englischen Wort "quiver" für "Köcher" heißen. Und seit Vitecek "seine" Tiere spaßeshalber wörtlich übersetzt hat, war ihm klar, dass die neue Arbeitsgruppe Quiver heißen sollte. Der Name steht als Backronym für "aQUatic BiodIVersity and Entomology Research" (aquatische Biodiversitäts- und Entomologieforschung), dem Forschungsfeld von Vitecek.

Unterschätzte Biodiversität

Die Arbeit an Köcherfliegen hat Vitecek aber nicht nur den Namen für seine spätere Arbeitsgruppe beschert, sondern ihm laut eigener Aussage auch die Augen für das Problem des Artenschwundes geöffnet. Er war im Rahmen seiner Doktorarbeit nämlich Teil eines Expertenteams, das innerhalb von nur drei Jahren zwölf neue Köcherfliegenarten identifizieren konnte, und zwar in einer bis dahin bereits gut untersuchten Gruppe – ein Zeichen für ihn, dass die Biodiversität in Europa unterschätzt wird: "Da geht unglaublich viel verloren, ohne dass wir wissen, dass es da war beziehungsweise noch ist."

Nichtsdestoweniger gibt es in Europa kaum noch vom Menschen wenig beeinträchtigte größere Gewässer. Eine der wenigen Ausnahmen ist die Vjosa, ein rund 270 Kilometer langer Fluss, der in Griechenland entspringt und in Albanien in die Adria mündet. Wie viele andere Flüsse in Südosteuropa ist auch er durch den Bau von Wasserkraftwerken bedroht.

Quiver ist Teil eines am Berliner Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei beheimateten Projekts, das die Artenvielfalt und Stoff- und Energieflüsse dieses weitgehend intakten Flussökosystems erfasst. Proben aus zwei Exkursionen im vergangenen Jahr sind derzeit in Auswertung. "Wenn wir die Stofffluss- und Diversitätsverhältnisse in naturnahen Flüssen besser verstehen, können wir diese Erkenntnisse auch für Schutz und Renaturierung stark beeinträchtigter Gewässer anwenden", ist Vitecek überzeugt.

Wasser und Land

Ein zweiter Schwerpunkt der neuen Arbeitsgruppe gilt dem Zusammenspiel zwischen Wasser und Land: "Wir wissen relativ viel über den Einfluss von Land auf Gewässer, wie die Folgen des Eintrags von organischem Material", führt Vitecek aus, "aber relativ wenig umgekehrt, vor allem über die erstaunlich hohen Austräge von Stickstoff und Phosphor durch schlüpfende Wasserinsekten und ihre Folgen für das umliegende Land." In Zusammenarbeit mit der Universität für Bodenkultur Wien und Forschern am WCL will er verschiedene Landnutzungspraktiken auf ihre diesbezüglichen Effekte untersuchen und daraus mögliche Strategien für die Zukunft entwickeln – Stichwort Klimawandel. Vitecek rechnet damit, dass das Überleben des Menschen dadurch schwieriger wird, aber: "Je nachhaltiger die Landnutzung aufgestellt ist, desto besser kommen wir damit zurecht."

Die dritte und derzeit wichtigste Aufgabe von Quiver besteht darin, das vorhandene Molekularbiologielabor für neue Forschungsaufgaben zu rüsten: Nach diversen Umbauten soll es in den nächsten Wochen wieder in Betrieb gehen und daraufhin die Biodiversitätsforschung auf seine Art unterstützen: In der ganzen EU laufen derzeit Analysen von Häufigkeits- und Diversitätsmustern verschiedenster wasserlebender Organismen. Deren Ziel ist die Erfassung der Gewässerqualität, was auch molekularbiologisch erarbeitet werden soll.

Neue Methoden für Insektenforschung

Klassischerweise werden für solche Erhebungen die Individuen der vorhandenen Arten in einem bestimmten Gewässerabschnitt gezählt, danach wird das zwischen ihnen bestehende Zahlenverhältnis ermittelt. Bei molekularbiologischen Untersuchungen werden Wasser- beziehungsweise Sedimentproben genommen, danach die darin enthaltene DNA bestimmt und daraus Vorkommen von verschiedenen Wassertieren ermittelt.

"Die Frage ist, ob und wie sich die beiden Methoden mit vernünftigem Aufwand verschneiden lassen", erklärt Vitecek. Dabei soll auch eine neue Methode zum Einsatz kommen, das Meta-Barcoding. Im Unterschied zum gewöhnlichen Barcoding, bei dem ein charakteristischer Genabschnitt eines Individuums die Identifizierung einer Art erlaubt, lässt sich beim Meta-Barcoding eine ganze Gruppe von Individuen auf einmal bestimmen. Vitecek und sein Team haben sich diese Methode erst kürzlich angeeignet – als neuen Methodenpfeil in ihrem Köcher. (Susanne Strnadl, 26.4.2019)