Bild nicht mehr verfügbar.

Große Trauer in der nordirischen Bevölkerung um die Journalistin Lyra McKee.

Foto: Reuters / Clodagh Kilcoyne

Wie sieht Nordirlands Zukunft aus? Unausweichlich wird diese politische Frage heute, Mittwoch, im gewaltigen Kirchenraum der Kathedrale von Belfast stehen, wenn dort der Trauergottesdienst für Lyra McKee beginnt. Die vielversprechende Journalistin und Buchautorin war in der Nacht zum Karfreitag der Kugel eines Terroristen in der nordirischen Stadt Derry zum Opfer gefallen – ominöses Anzeichen des längst befürchteten Wiederauflebens politischer Gewalt in der einstigen Unruheprovinz, deren Friedensprozess seit mehr als zwei Jahren stockt.

Am Dienstag teilte die Kriminalpolizei die Festnahme einer 57-jährigen Frau mit. Sie dürfte wie zwei übers Wochenende kurzzeitig inhaftierte Teenager aus dem Umfeld der sogenannten "Neuen IRA" (NIRA) stammen – einer Splittergruppe der irisch-republikanischen Armee, deren Angehörige während des Bürgerkrieges für weit über tausend Tote verantwortlich war. Er habe mehr als 140 Hinweise auf Täter und Drahtzieher erhalten, sagte Kriminalrat Jason Murphy und appellierte erneut an die Bevölkerung: "Bitte kommen Sie auf mich zu und sprechen Sie mit mir!"

Kontakt zur Polizei ist Verrat

Dafür müssten aber viele Menschen aus dem Umfeld der Täter über ihren Schatten springen. In den Hochburgen des militanten Republikanismus – wie das Sozialviertel Creggan, wo McKee erschossen wurde – gilt die Zusammenarbeit mit der Polizei PSNI bei vielen noch immer als Verrat. Dabei spiegelt die neue Behörde die ethnische und religiöse Zusammensetzung der Bevölkerung heute viel besser wider als die Vorgängertruppe RUC zu Bürgerkriegszeiten.

Als sich die militanten Kräfte beider Konfessionen und Bevölkerungsgruppen in den 1990er-Jahren auf den Verhandlungsweg begaben, der 1998 ins Karfreitag-Friedensabkommen mündete, stand schnell fest: Bei protestantischen Loyalisten wie bei katholischen Republikanern blieben kleine Gruppe von Unversöhnlichen zurück. Vor allem Splitter der 100 Jahre alten IRA, die ursprünglich für Irlands Unabhängigkeit vom britischen Empire kämpfte, sorgten immer wieder für schreckliche Bluttaten; eine Autobombe der Real IRA tötete im August 1998 29 Menschen.

Angehörige der Real IRA ebenso wie der paramilitärischen Gruppe "Republikanische Aktion gegen Drogen" gehören nach Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden zu den Aktivisten der "neuen" Terrortruppe, die seit 2011/12 immer wieder durch Straftaten, darunter die Morde an einem Polizisten und zwei Gefängnisbeamten, auffiel. Zuletzt zündete die NIRA im Jänner eine Autobombe vor dem Gerichtsgebäude von Derry; nur zufällig kam niemand zu Schaden. Im März bekannte sich die Gruppe zu einer Briefbombenserie. Hochburgen haben die Paramilitärs in all jenen Städten und Landstrichen des irischen Nordostens, wo auch der Bürgerkrieg mit besonderer Härte tobte. Neben der Hauptstadt Belfast sind dies vor allem Strabane, Lurgan sowie eben auch Wohnviertel von Derry/Londonderry.

Im Stadtteil Creggan hatte die Polizei am Donnerstagabend eine Razzia durchgeführt, um vor dem stets neuralgischen Osterwochenende Waffen zu beschlagnahmen. Dutzende von Demonstranten attackierten die Beamten mit Steinen und Molotow-Cocktails, Autos gingen in Flammen auf. "Derry heute Abend. Totaler Wahnsinn", lautete Lyra McKees letzter Tweet vom Tatort. Wenig später war die junge Frau tot, nach einem Kopfschuss gestorben im nahen Krankenhaus, wo ihre Lebensgefährtin Sara Canning arbeitet.

"Aufrichtige Entschuldigung"

Nach großem Druck aus der Bevölkerung schob am Dienstag die NIRA ihrem Bekennerschreiben, in dem von einem "Unfall" die Rede war, eine zweite Mitteilung nach: Man entschuldige "sich umfassend und aufrichtig bei der Partnerin, der Familie und den Freunden von Lyra McKee".

Das Hauptaugenmerk von McKees Arbeit galt neben der Situation der Homosexuellen vor allem der Sicht ihrer Generation, der Nachgeborenen des Bürgerkriegs, auf die fortbestehende gesellschaftliche Spaltung.

Davon dürfte in der Annenkathedrale viel die Rede sein. Zum ökumenischen Gottesdienst haben sich Irlands Präsident Michael Higgins, Premierminister Leo Varadkar und Vizepremier Simon Coveney angesagt, aus London kommt die britische Nordirland-Ministerin Karen Bradley. (Sebastian Borger, 23.4.2019)