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Tyler Brûlé vor einem "Monocle"-Shop in Hongkong. Als sein Magazin noch kaum bekannt war, stieg er bewusst in teuren Hotels ab, um sich einen Ruf aufzubauen.

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"Mir gefällt es, am Beckenrand zu sitzen und Zeitung zu lesen", sagt Brûlé. In der Villa Feltrinelli zum Beispiel, wo der Swimmingpool aussieht, als wäre er in den Rasen hineingeschnitten.

Foto: Gestalten Verlag

Am Züricher Hotel Baur au Lac schätzt Brûlé den Zeitungskiosk in der Lobby.

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Ein Hotel ist kein Zuhause, darin stimmt Brûlé mit dem brasilianischen Hotelier Vittorio Fasano überein.

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"Monocle Guide to Hotels, Inns and Hideaways". Verlag Gestalten, auf Englisch, 35,- Euro

Der kanadische Journalist, Designer und Erfinder des Lifestyle-Magazins "Monocle", Tyler Brûlé, hat in den vergangenen Jahren tausende Nächte in Hotels verbracht. Diese Erfahrung veranlasste ihn, den sehr persönlich gefärbten "Monocle Guide" für die besten Hotels der Welt herauszugeben. Brûlé hat darin vor allem Häuser mit wenigen Zimmern aufgenommen und das Gewicht auf perfekten Service gelegt.

Der Globetrotter verabscheut es, an einer Rezeption Schlange zu stehen, per Tablet-Computer einzuchecken oder gleich zur Begrüßung die Kreditkarte hergeben zu müssen, als würde er sich heimlich aus dem Staub machen wollen. Wir haben Tyler Brûlé gefragt, was ein perfektes Haus in Zeiten gesichtsloser Hotelketten und zunehmender Technologisierung ausmacht.

STANDARD: Wann haben Sie sich das erste Mal bewusst für ein ganz bestimmtes Hotel entschieden?

Tyler Brûlé: Mitte der 1990er-Jahre, als ich freier Reporter war und von meinen Auftraggebern fordern konnte, mich im The Pierre in New York unterzubringen. Das Hotel ist ein Schmuckstück in der Upper East Side, ganz in der Nähe des Central Park, ein Hochhaus aus dem frühen 20. Jahrhundert. Damals war es das höchste Hotel der Welt, noch heute fühlt es sich wie ein Palast in der Stadt an. Mir hat es für die Karriere geholfen, im Pierre zu wohnen. Wir reden von einer Zeit, bevor es E-Mails und Mobiltelefone gab. Wollte mich jemand zurückrufen, fragte er: Wo kann ich Sie erreichen? Rufen Sie mich im Pierre zurück, sagte ich – und sofort nahmen mich die Menschen ernster. Der Ruf und der Status des Hotels färbten auf mich ab.

STANDARD: Dieser Status ist auch manchen Hotels wichtig. Warum wollen sie alles, bloß keine normale Unterkunft sein?

Brûlé: Weil manche eine bestimmte Erfahrung verkaufen. Sie geben vor, in der Lobby ein Co-Working-Space zu sein mit einer 23 Stunden geöffneten Bar nebenan. Hey, die Räume sehen nicht besonders toll aus, aber ich muss dort übernachten, wo die ganzen Funky People auf ihren Laptops herumhämmern – so wie im Ace Hotel in Portland. Hotels verstellen sich, damit die Gäste hoffentlich nicht bemerken, dass ihr Preis zu hoch ist.

STANDARD: Worauf achten Sie, wenn Sie ein Hotel betreten?

Brûlé: Ich schaue mir den Gehsteig an, noch bevor ich ins Haus hineingehe. Fühlt sich das Hotel verantwortlich für den öffentlichen Raum, in dem es sich befindet, oder nur für das Geschehen hinter der Drehtür? Das ist ein Indikator für die Qualität. Gehe ich in die Lobby, fällt mir als Erstes die Beleuchtung auf. Grelles, kaltes oder blaues Licht schrecken mich ab, je gedämpfter, umso besser. Das müssten Hotelmanager eigentlich am besten verstehen. Wenn die Lampen in jede Ecke leuchten, sehe ich jeden Kratzer auf dem Parkett. Licht vergibt nichts.

STANDARD: Viele Hotels wollen ein Zuhause in der Ferne sein. Ist das nicht Blödsinn?

Brûlé: Sie haben recht. Ich kann es nicht leiden, wenn ich im Hotel mit den Worten "Willkommen zu Hause" begrüßt werde. Ein Hotel ist kein Zuhause! Ein Vielflieger wie ich braucht das Gefühl, einen Anker zu haben, um ausgeglichen zu bleiben. Der sollte aber die eigene Wohnung sein, kein Hotel. Ich möchte keine Lobby, in der die Menschen sich so benehmen, als säßen sie daheim auf der Couch. Das ist der Beginn des Chaos. Es gibt nichts Schlimmeres, als morgens zum Frühstück zu kommen, und am Nebentisch sitzen drei Kinder mit laut aufgedrehtem iPad, während die Mutter seelenruhig zuschaut.

STANDARD: Der brasilianische Hotelier Vittorio Fasano sagt: "Wenn Sie sich bei mir zu Hause fühlen, mache ich etwas falsch."

Brûlé: Weil er hoffentlich einen besseren Service anbietet, als Sie ihn zu Hause haben – und einen Restaurantmanager hat, der Gästen seine Regeln nahelegt. Es kann nicht sein, dass ein Geschäftsmann seine Telefonkonferenz in den Frühstücksraum verlegt, wo alle Gäste gezwungen sind, ihm zuzuhören, während sie Kaffee trinken.

STANDARD: Der Musiker Moby will ein Hotelzimmer so weit wie möglich vom Lift entfernt, um Ruhe zu haben. Ihre Anforderungen?

Brûlé: Ich schlafe überall gut. Ich fordere nicht die beste Sicht auf die Stadt. Es reicht mir schon, wenn ich nicht auf eine Ziegelsteinmauer blicke. Ich lege höchstens Wert darauf, in keiner der oberen Etagen zu wohnen, wenn ich dem Brandschutz in dem Land misstraue. In Tokio darf es der 47. Stock sein, in Jakarta möchte ich lieber weiter unten nächtigen.

STANDARD: Warum gerade der 47. Stock in Tokio?

Brûlé: Ich bin richtig oft im Park Hyatt Tokyo, fast einmal im Monat. Dort nehme ich immer die 4701, ein Eckzimmer in der 47. Etage. Ich habe wirklich das Gefühl, die Zimmer sind für Reisende entworfen. Wenn ich hineinkomme, gibt es gleich eine solide Bank, auf der ich meinen Koffer abstellen kann. Ich muss nicht aufpassen, dass ich mit meinem Gepäck die Wand beschädige, weil sie mit dickem Stoff bezogen ist. Gerade habe ich zum 150. Mal dort übernachtet. Ich finde es toll, dass sich das Haus in den vergangenen Jahren überhaupt nicht verändert hat. Mein Albtraum wäre es, wenn der Direktor eines Tages auf mich zukäme mit den Worten: Wir haben hier ein frisch renoviertes Zimmer für Sie. Oh, nein, bitte nicht!

STANDARD: Was wäre daran so schlimm?

Brûlé: Ich hätte Angst, aus meiner Routine auszubrechen. Mir ist es lieber, alles funktioniert wie immer. Da ich viel reise, will ich im Vorfeld sämtliche Störelemente ausschließen. In einem Hotel zu übernachten, das man kennt, hat etwas von einer intimen Beziehung, die man nicht zerstören will.

STANDARD: Hotelaufenthalte sind emotionale Erfahrungen?

Brûlé: Manchmal. Zum Beispiel im Züricher Hotel Baur au Lac, wo ich den Zeitungskiosk in der Lobby schätze. Ich kenne die Verkäuferinnen, plaudere mit ihnen, bewundere die Auslage der wichtigsten internationalen Zeitschriften.

STANDARD: Ist für Sie die Größe des Zimmers wichtig?

Brûlé: Ich mag keine großen Zimmer. Ich denke immer, jemand versteckt sich im Schrank. Was soll ich mit einer Suite, wenn ich keine 50 Freunde in der Stadt habe, die mich besuchen wollen? Einmal hatte ich eine Suite im Park Hyatt Sydney und lud zwölf Freunde aufs Zimmer ein. Der Room Service weigerte sich, Getränke zu bringen, weil es halb elf war, und das Management befürchtete, wir könnten zu laut werden.

STANDARD: Was brauchen Sie alles in einem Zimmer?

Brûlé: Wenn ich das Fenster öffnen kann, bin ich sehr glücklich. Außerdem lege ich Wert auf kräftigen Wasserdruck im Bad. Und gute Kopfkissen! Ich könnte ein Buch darüber schreiben. Da wären der Hamburger Pfannkuchen, das große Flachkissen, die österreichische Superdaune, die mich an die Berge erinnert, das schreckliche italienische Schaumkissen – Südtirol natürlich ausgenommen. Die Spanier verstehen die Kunst des Kissens gar nicht. Sie weigern sich, Naturmaterialien zu verwenden!

STANDARD: Der Kunstmanager Sam Keller hängt Bilder in Hotelzimmern ab, wenn er sie nicht mag. Ist Kunst in Hotels überbewertet?

Brûlé: Kunst ist kein Verkaufsargument für Hotels, finde ich. Denn meist handelt es sich nicht um außergewöhnliche Werke. Ich verstehe es, wenn jemand in die Zürcher Kronenhalle zum Mittagessen geht, weil er mal unter einem Miró sitzen will. Doch drei aufstrebende junge Künstler in jedem Doppelzimmer? Wenn mir sie nicht gefallen, ist es mir völlig egal, welche tolle Galerie sie gerade vertritt.

STANDARD: Kunst braucht es also nicht in einem Hotel. Wie steht's mit einem Pool?

Brûlé: Mir gefällt es, am Beckenrand zu sitzen und Zeitung zu lesen. In der Villa Feltrinelli zum Beispiel, wo der Swimmingpool aussieht, als wäre er in den Rasen hineingeschnitten. Ich gehe selten hinein, weil das Wasser beheizt ist und ich den Gardasee bevorzuge, der direkt vor der Tür liegt.

STANDARD: In manchen Zimmern steht eine freistehende Badewanne im Wohnbereich.

Brûlé: Wirklich? Da habe ich nie übernachtet. Ich hasse Wannen im Zimmer oder halboffene Bäder. Wer findet das gut außer den Holländern?

STANDARD: Sie reisen nach Wien. Wo nächtigen Sie?

Brûlé: Vermutlich im Park Hyatt, es ist so opulent, mir gefällt dieser intellektuelle Schachzug, aus einer Bank ein Luxushotel zu machen. Allerdings bezweifle ich, dass Herr Benko jemals einen Cent Gewinn damit macht. Was für ein Albtraum muss das gewesen sein, allein dem Denkmalschutz gerecht zu werden.

STANDARD: Sie haben viele Erfahrungen mit Hotels gesammelt. Möchten Sie nicht Ihr eigenes eröffnen?

Brûlé: Gerade habe ich eine Immobilie abgelehnt, die mir als Hotelbetrieb angeboten wurde. Ein Haus in Südtirol. Aber es passieren so viele Sachen bei "Monocle", dass ich keine Zeit dafür hätte. Eines Tages würde ich es gern versuchen. Ich denke, beruflich führt es mich mit Hochgeschwindigkeit dahin. (Ulf Lippitz, RONDO, 28.4.2019)