Sexualbegleitung kann Menschen mit Beeinträchtigung helfen, ihre Sexualität auszuleben und ihre emotionale Intelligenz auszubauen.

Foto: Getty Images/iStockphoto

Heinz hat Muskeldystrophie, eine Erbkrankheit, die Muskelschwäche und -schwund zur Folge hat. Er sitzt im Rollstuhl und ist fast vollkommen unbeweglich. Sabine ist Spastikerin und so in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt, dass sie sich nicht alleine im Bett aufsetzen kann. "Na ja, und die wollen halt auch Sex haben. Und ich helfe ihnen dabei", sagt Gerald Kummer.

Er ist seit einem Jahrzehnt als Sexualbegleiter tätig. Das Ehepaar, das nicht mit seinen echten Namen genannt werden will, unterstützt er seit zwei Jahren. Kummer ist einer von sechs praktizierenden Sexualbegleitern in Österreich. Ursprünglich waren es 15, zwölf Frauen und drei Männer, die die Ausbildung zum Sexualbegleiter abgeschlossen haben. Eine Ausbildung, die es heute nicht mehr gibt.

Mit Medikamenten ruhiggestellt

"Menschen mit Behinderung und Nichtbehinderte unterscheiden sich in ihren sexuellen Wünschen überhaupt nicht", sagt Kummer. Dennoch ist die Sexualität von Menschen mit Beeinträchtigung ein Tabu. "In Heimen und therapeutischen Gemeinschaften gibt es einen Männer- und einen Frauentrakt. Die Leute werden zum Teil sogar medikamentös sexuell ruhiggestellt, damit sie nicht lästig sind", sagt Michael Hofreiter, der als Psychotherapeut mit Menschen mit Behinderung arbeitet.

Er sieht theoretisch großen Bedarf an Sexualbegleitung. In der Praxis aber habe man als Mensch mit Behinderung drängendere Probleme, etwa die Sicherung des finanziellen Überlebens. Das Gefühlsleben wie auch die sexuelle Befriedigung kämen so oft zu kurz. Trotzdem: "Dass sie auch zu ihren Bedürfnissen kommen, sozusagen, ist wichtig. Da das gerade in diesem Bereich sehr schwer ist, ist eine Begleitung dabei sicher günstig."

Statistiken zu Sexualbegleitung gibt es nicht. Margit Schmiedbauer von der Fachstelle Hautnah, die die Ausbildung bis zu ihrer Einstellung anbot, schätzt die Zahl der Begleitungen auf 8.000 in neun Jahren. In Österreich gibt es laut Sozialministerium etwa 1,3 Millionen Menschen in Privathaushalten, die angeben, eine dauerhafte Beeinträchtigung zu haben. Die Zahl der Sexualbegleitungen ist in diesem Kontext also verschwindend gering – nicht zuletzt, da viele gar nicht um das Angebot wissen.

Die Ausbildung zum Sexualbegleiter

Bis April 2017 bot die Fachstelle der gemeinnützigen Organisation Alpha Nova in der Steiermark im Rahmen des Projekts "Libida-Sexualbegleitung" eine Ausbildung an, die Menschen mit Beeinträchtigung beim Ausleben ihrer Sexualität unterstützen sollte. Diese Unterstützung reichte von beratenden Gesprächen über Anleitungen zur Selbstbefriedigung bis zu erotischen Massagen. Schleimhautberührungen, etwa in Form von Geschlechtsverkehr oder Zungenküssen, gehörten explizit nicht zum Angebot. "Das Konzept war, dass es für diese Personengruppe, die auch bei der Partnersuche benachteiligt ist, eine Möglichkeit geben muss, Sexualität zu lernen", sagt Schmiedbauer.

2008 wurde die Ausbildung, die in Österreich bis jetzt einzigartig blieb, erstmals angeboten. Nach drei erfolgreichen Lehrgängen wurde pausiert, der letzte Lehrgang war nicht mehr so stark besucht wie die der Jahre zuvor. Bewerben konnten sich, so wurde ausgeschrieben, Personen aus allen Bundesländern ab dem 28. Lebensjahr, die "Erfahrung in der empathischen Arbeit mit Menschen haben, Erfahrung mit Körperarbeit im weiteren Sinne haben und über gute kommunikative Fähigkeiten und Deutschkenntnisse verfügen". 2017 wäre wieder ein Lehrgang geplant gewesen, genug Anmeldungen dafür hatte es jedenfalls gegeben. Etwa 1.600 Euro kostete die einjährige Ausbildung, die sich modular über Wochenendseminare hinzog.

Teil der Ausbildung waren etwa Basiswissen im Umgang mit Menschen mit Behinderung, nonverbale Kommunikation, professionelle Haltung sowie Basiswissen zu Hygiene. Man habe mit einer Ärztin zusammengearbeitet, und jeder Kursteilnehmer habe regelmäßig Gesundheitsatteste vorlegen müssen. Begleitende Supervision und ständige Weiterbildung durch Seminare, Teamsitzungen und die gemeinsame Reflexion der Arbeit waren ebenfalls wichtig.

Keine Unterstützung mehr

Vor zwei Jahren definierte ein Arbeitskreis zum Thema Prostitution erstmals explizit, dass die angebotene Sexualbegleitung in der Steiermark unter das Prostitutionsgesetz fällt und alle damit verbundenen behördlichen Auflagen zu erfüllen sind. Das Land Steiermark, das die Fachstelle fördert, erklärte sich nicht mehr bereit, das Projekt zu unterstützen. Die Fachstelle musste das Ausbildungsangebot einstellen und beschränkt sich heute in diesem Bereich auf Beratung und Bildung.

Viele der ausgebildeten Sexualbegleiter sahen für sich keine andere Möglichkeit, als ihre Arbeit niederzulegen – zu groß war das Stigma der Registrierung als Sexarbeiter, auch Probleme mit der Versteuerung der Arbeit sowie bei der Sozialversicherung gab es. Dabei gibt es zwischen Sexualbegleitung und Prostitution große Unterschiede.

"In dem Moment, in dem eine Person ein Laufhaus besuchen kann, ist sie kein Kandidat für Sexualbegleitung mehr", sagt Monika Noisternig, eine Sexualbegleiterin für Menschen mit Beeinträchtigung, die heute vorwiegend als ausgebildete Sexologin arbeitet. Sexologie oder auch Sexualwissenschaft wird, im Gegensatz zu Sexualbegleitung, am Österreichischen Institut für Sexualpädagogik und Sexualtherapien gelehrt. Sexologen nehmen eine therapeutische und beratende Funktion für ihre Klienten wahr, während bei Sexualbegleitung auch tatsächliche körperliche Nähe zwischen Begleitetem und Begleiter besteht.

Sex ist oft Nebensache

Eine Begleitung sieht jedoch so individuell aus, wie ihre Kunden es sind: gelähmte Menschen, die physisch nicht masturbieren können, Menschen mit autistischen Erkrankungen, Paare mit Behinderung wie Sabine und Heinz, aber auch kognitiv Beeinträchtigte, deren "sexuelles Wissen auf dem Niveau eines Volksschulkindes" ist, wie Noisternig es ausdrückt.

Oft gehe es auch weniger um Sex, als der Name suggeriert – viele ihrer Klienten wollen einfach nur im Arm gehalten werden. Sie sehnen sich nach menschlicher Nähe. Mit Sex im herkömmlichen Sinne habe das nichts zu tun. Noisternig wünscht sich österreichweit geltende rechtliche Grundlagen abseits der Prostitution, andererseits arbeitet sie an der Entwicklung einer Ausbildung, die sexuelle Handlungen außen vor lässt. Rund 80 Prozent der von ihr Begleiteten wollen ohnehin keinen Geschlechtsverkehr.

Auch Gerald Kummers Klienten geht es oft nicht um Sex: "Es gibt Menschen, die außer bei der Körperpflege niemals berührt werden – weder auf der Wange gestreichelt noch auf der Hand, geschweige denn umarmt. Und dann gibt es plötzlich die Chance, dass ich mit jemandem kuscheln kann, dass mich jemand berührt und streichelt. Für die Menschen bedeutet das so viel, das ist für uns gar nicht vorstellbar." (Stefanie Schermann, 25.4.2019)