SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner (li.) kritisierte die Sozialhilfe scharf, Sozialministerin Beate Hartinger-Klein konterte hart.

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Wien – Die wahre Tiefe der Gräben zwischen der amtierenden türkis-blauen Bundesregierung sowie ihrer personellen Verlängerung in den Abgeordnetenbänken und der Opposition, insbesondere der vormaligen Regierungspartei SPÖ, tut sich immer dann auf, wenn im Parlament nicht mehr vom Blatt gelesen, sondern frei von der Leber weg geredet wird. Die Debatte über die neue Sozialhilfe, die die Mindestsicherung ablöst, geriet am Donnerstag zu einem öffentlichen Grabenkampf mit einem erstaunlichen Maß an recht unverhohlener gegenseitiger Verachtung.

Auftaktrednerin war SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner, die mit Blick auf die vergangenen Tage – Stichwort "Rattengedicht", das der ÖVP-FPÖ-Regierung erneut größere Flurbereinigungsaufgaben beschert hatte – meinte, in Österreich sei nicht nur "ein Verlust des politisch-moralischen Anstands" zu beklagen, sondern der Regierung fehle auch der "menschliche Anstand". Das lasse sich an der vorgelegten Sozialhilferegelung gut illustrieren. ÖVP und FPÖ würden "die Menschen und Bundesländer gegeneinander ausspielen". Wo die SPÖ die Mindestsicherung als "Sprungbrett in den Arbeitsmarkt" sehe, mache Türkis-Blau daraus ein "Sprungbrett direkt in die Armut", sagte Rendi-Wagner: "Sie verfrachten 70.000 Kinder in ein chancenloses Leben. Sie vererben Armut."

Sofortige Replik der Sozialministerin

Unmittelbar nach Rendi-Wagners Rede meldete, was sehr ungewöhnlich ist, gleich die zuständige Sozialministerin ihre Replik an. "Wir haben ja so viele Baustellen von Ihnen geerbt", ließ Beate Hartinger-Klein (FPÖ) die SPÖ (die Erben von Rot-Schwarz in der neuen Volkspartei sichtlich nicht mitmeinend) wissen. Das Sozialhilfegesetz bringe "mehr Chancen, mehr Gerechtigkeit, mehr Fairness". Sie betonte: "Die Regierung bekennt sich zum Sozialstaat – dort, wo Hilfe nötig ist."

Dann ging die Sozialministerin daran, einige "Falschmeldungen" der Opposition in einem "Faktencheck" zu widerlegen. Besonders betonte sie die nachträglichen Abänderungen, wonach etwa Heizkostenzuschüsse oder Spenden doch nicht gegengerechnet (und von der Sozialhilfe abgezogen) werden – zwei Punkte, die Jetzt-Sozialsprecherin Daniela Holzinger-Vogtenhuber positiv beurteilte, wenngleich es "erschütternd" sei, dass es dafür die Intervention von Opposition und Zivilgesellschaft gebraucht habe.

Hartinger-Klein verwies auch auf Besserstellungen für Alleinerziehende und Behinderte. ÖVP und FPÖ setzen "viele Maßnahmen, um Armut zu verhindern".

Laut neuesten Daten der Statistik Austria waren 2018 1.512.000 Menschen (17,5 Prozent der Bevölkerung) in Österreich armuts- oder ausgrenzungsgefährdet. Diese Zahl hat sich in den letzten zehn Jahren jedoch um 187.000 Personen verringert (Grafik oben).

Blaue Attacke auf Rote

Nachdem den auf der Tribüne eintrudelnden Mitgliedern des Pensionistenverbands von Altmünster die Ehre zuteilgeworden war, von Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) vom Präsidium begrüßt zu werden, ging FPÖ-Sozialsprecherin Dagmar Belakowitsch in den rhetorischen Infight mit der SPÖ. Das begann damit, dass sie Rendi-Wagners Rede gleich einmal als "insgesamt ein bisschen schwach" klassifizierte, um dann schnell die Kurve zu den Asylberechtigten zu nehmen, denen gesagt werden müsse: "Nein, wir wollen keine Zuwanderung ins Sozialsystem." Dafür sei die SPÖ gestanden – die Reste der alten ÖVP im Plenum blieben von dem Vorwurf verschont.

Belakowitsch erklärte den Handlungsbedarf so: Nach einem "sprunghaften Anstieg der Mindestsicherungsbezieher" gingen die Zahlen zwar jetzt langsam zurück, "aber jene der Asylberechtigten nehmen weiter zu. Deshalb ist es notwendig, hier endlich einen Riegel vorzuschieben." Roten Widerspruch parierte sie etwas ungehalten: "Sie glauben immer, Sie müssen was sagen, obwohl Sie keiner was fragt. Das ist Ihr Problem da drüben." Im Übrigen werde sich auch die Stadt Wien an das neue Gesetz halten müssen. Der dortige Sozialstadtrat Peter Hacker hatte ja angekündigt, die Vorgaben des Bundes nicht umzusetzen.

"SPÖ läuft in jede Ausländerfalle"

Gegen zwei Seiten richtete dann Neos-Sozialsprecher Gerald Loacker seine rhetorischen Stiche. Er litt unter der Performance der SPÖ, "weil sie Oppositionsarbeit nicht kann und in jede Ausländerfalle der Regierung hineinläuft" – so auch bei der Sozialhilfe, für die die Regierung das Bild der "bösen Ausländerfamilie mit den vielen Kindern" inszeniert habe, obwohl Alleinstehende die größte Beziehergruppe bildeten. Türkis-Blau warf Loacker "primitives Arbeiten auf Basis primitiver Instinkte" vor.

Türkis-Blau feiert Meilenstein

Das bis dahin Gesagte verbuchte ÖVP-Klubchef August Wöginger unter "abenteuerlich", lege die Koalition mit der nun beschlossenen Sozialhilfe doch einen "Meilenstein in der Sozialpolitik" vor. Die den Ländern ermöglichten Mietzuschüsse etwa seien Beleg für ein "Gesetz mit Hausverstand". Aber wer arbeiten könne, müsse auch arbeiten, betonte er. (Lisa Nimmervoll, 25.4.2019)

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