Eigentlich suchen Forscher mit diesem Detektor, der mit Xenon gefüllt ist, tief unter einem italienischen Bergstock nach Dunkler Materie. Doch nun rückte die Substanz im Detektor – das verflüssigte Edelgas Xenon – selbst ins Zentrum der Aufmerksamkeit.

Seit der Entdeckung der Radioaktivität durch das Ehepaar Curie Ende des 19. Jahrhunderts weiß man, dass es nicht nur stabile Atomkerne gibt. Es gibt auch solche, die sich unter Aussendung von Teilchen in einen anderen Kern umwandeln oder unter Energieabgabe den Zustand ändern.

Wie schnell das passiert, ist extrem variabel und wird mit der Halbwertszeit gemessen. Sie gibt die Zeitspanne an, in der die Menge und damit auch die Aktivität eines gegebenen Radionuklids durch den Zerfall auf die Hälfte gesunken ist. Radioaktive Halbwertszeiten können kürzer sein als eine Mikrosekunde, sie können aber auch das Alter unseres Universums übersteigen.

3.200 Kilogramm flüssiges Xenon

Ein internationales Wissenschafterteam hat nun einen unvorstellbar seltenen radioaktiven Zerfall dingfest gemacht. Gelungen ist das in einem Labor (den Laboratori Nazionali del Gran Sasso, LNGS) tief im italienischen Gran-Sasso-Gebirge, wo Forscher abgeschirmt von jeglicher Radioaktivität eigentlich nach Dunkler Materie suchen. Herzstück des Detektors ist ein etwa einen Meter großer zylinderförmiger Tank, in dem sich 3.200 Kilogramm des Edelgases Xenon in gekühltem flüssigem Zustand befinden.

Dieser Detektor sollte eigentlich Teilchen der rätselhaften Dunklen Materie einfangen bzw. entsprechende Kollisionen sichtbar machen. Das ist den Forschern zwar noch nicht gelungen, dafür haben sie erstmals den Zerfall des Atoms Xenon-124 beobachtet, das rund 0,1 Prozent der Xenon-Menge im Detektor ausmacht. Der Atomkern dieses Isotops besteht aus 54 Protonen und 70 Neutronen und zerfällt sehr langsam in Tellur-124, mit der Betonung auf "sehr".

18 Trilliarden Jahre

Neuen Schätzungen zufolge hat der subatomare Prozess eine Halbwertszeit von 18 Trilliarden Jahren – das ist eine Zahl mit 23 Stellen und über eine Billion Mal mehr als das Alter des Universums, das seit etwa 13,8 Milliarden Jahren existiert. Ein einzelner Xenon-124-Atomkern ist nach dieser Zeitspanne mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent zerfallen. Betrachtet man jedoch sehr viele der Atomkerne auf einmal, steigt die Wahrscheinlichkeit, einem der seltenen Zerfälle tatsächlich beizuwohnen. Und genau das ist jetzt gelungen, wie die Forscher der Xenon Collaboration um Christian Weinheimer (Uni Münster) im Fachblatt "Nature" berichten.

Die technischen Details des Prozesses sind freilich nicht ganz unkompliziert: Der Atomkern von Xenon-124 besteht aus 54 positiv geladenen Protonen und 70 neutralen Neutronen und wird umhüllt von mehreren Atomschalen, die mit negativ geladenen Elektronen besetzt sind. Beim sogenannten doppelten Elektroneneinfang fangen zwei Protonen des Kerns zwei Elektronen aus der innersten Schale des Atoms ein, wandeln sich in Neutronen um und senden zwei Neutrinos aus.

Schematische Darstellung des Zerfallsprozesses von Xenon-124 zu Tellur-124 (rechts).
Illustration: nature

Nachweis im Untergrundlabor

Da in der Atomhülle nun zwei Elektronen fehlen, sortieren sich die übrigen Elektronen um, wobei Energie in Form von Röntgenstrahlen ausgesendet wird. Dieser Prozess geschieht allerdings extrem selten und wird normalerweise von allgegenwärtigen Spuren "normaler" Radioaktivität überdeckt – in der abgeschirmten Umgebung des Untergrundlabors war der Nachweis nun indes möglich.

Die Fotodetektoren des inneren Detektors von Xenon1T spürten die Lichtblitze auf.
Foto: Xenon Collaboration

Die Röntgenstrahlen aus dem doppelten Elektroneneinfang erzeugten innerhalb des flüssigen Xenons im Xenon1T-Detektor ein erstes kurzes Lichtsignal und freie Elektronen. Diese bewegten sich in den oberen Teil des Detektors und erzeugten dort ein zweites Lichtsignal. Aus der Richtung und der Zeitdifferenz zwischen den Signalen konnten die Forscher die genaue Position des doppelten Elektroneneinfangs sowie die beim Zerfall freigewordene Energie ermitteln.

126 beobachtete Vorgänge

Aus insgesamt 126 solcher in den letzten zwei Jahren beobachteten Vorgängen berechneten die Physiker dann die enorme Halbwertszeit von 1,8 mal 1022 Jahren – die bereits angeführten 18 Trilliarden Jahre. Der beobachtete Prozess hat sich neben der Publikation in "Nature" auch einen Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde verdient: Denn es handelt sich dabei zugleich um den seltensten jemals direkt nachgewiesenen Vorgang im Universum. (Klaus Taschwer, 26.4.2019)