Plötzlich herrscht völlige Funkstille. Beim Ghosting wird von einem Moment auf den anderen das emotionale Band durchgeschnitten. "Das kann den Selbstwert beschädigen", sagt der Münchner Psychotherapeut David Wilchfort.

Foto: Getty Images/iStockphoto

Es ist ein ungeschriebenes Gesetz: Wer eine Beziehung beendet, schuldet seinem Partner oder seiner Partnerin eine Erklärung. Das heißt, man redet miteinander oder hinterlässt zumindest einen Abschiedsbrief. Das gilt nicht nur für Liebesbeziehungen, sondern auch für Freundschaften. Diese soziale Regel beachtet allerdings nicht jeder. Tatsächlich gibt es Menschen, die sich vor dem Schlussmachen drücken, sich einfach aus dem Staub machen und danach nicht mehr zu erreichen sind – weder per Telefon noch per SMS.

Ghosting haben Soziologen dieses Phänomen getauft. Denn wer verlassen wird, hat das Gefühl, als hätte sich der andere wie ein Geist in Luft aufgelöst. Dass Ghosting kein Nischenphänomen ist, zeigt eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts You Gov von 2014. US-Forscher haben rund 1000 Menschen befragt. Das Ergebnis: Gut 13 Prozent wurden schon einmal "geghosted", elf Prozent haben Ghosting schon selbst betrieben. Bei einer repräsentativen Untersuchung der Partnerbörse Elite Partner von 2018 gab sogar jeder vierte bis fünfte Befragte zu, schon einmal jemanden wortlos verlassen zu haben.

Konfrontationen meiden

Aber warum macht ein Mensch sich aus einer Beziehung oder Freundschaft einfach so aus dem Staub? Wie fühlen sich die "Opfer"? Und gibt es eine Möglichkeit, sich vor Ghosting zu schützen? Ghosting findet in der Regel in Beziehungen statt, in denen über Differenzen nicht gesprochen wird", erklärt der Psychotherapeut David Wilchfort. Das heißt, je stärker zwei Freunde oder ein Paar Konfrontationen und Meinungsverschiedenheiten aus dem Weg gehen, desto größer ist das Risiko, dass einer der beiden sich sprachlos aus der Beziehung verabschiedet.

Ghosting ist demnach nicht einfach ein plötzliches Sich-Davonmachen, sondern es zeigt, dass in der Beziehung schon vorher etwas nicht gestimmt hat. Nämlich: dass hier zwei Menschen sind, die es nicht schaffen, ihre Bedürfnisse zu artikulieren und sich miteinander auseinanderzusetzen. Was am Ende bleibt, ist das schlechte Gewissen: "Um sich selbst nicht schlecht zu fühlen, schieben viele Geister daher ihr eigenes Leid in den Vordergrund", so Wilchfort. Etwa indem sie betonten, dass sie es in der Beziehung einfach nicht mehr ausgehalten hätten oder sie mit dem Partner nie etwas besprechen könnten.

Sich das eigene Verhalten schönzureden mag zwar kurzfristig entlasten – auf Dauer hilft es jedoch nicht. Denn wer Konflikten immer aus dem Weg geht, wird es nicht nur auch in der nächsten Beziehung schwerhaben, sondern meistens auch im Beruf. Betroffenen rät Wilchfort daher, sich der Frage zu stellen, warum es ihnen so schwerfällt, Konflikte auszutragen.

Beschädigter Selbstwert

Für den Verlassenen ist die Situation ebenfalls nicht schön. "Aus heiterem Himmel sitzengelassen zu werden macht nicht nur wütend", so Wilchfort, "es beschädigt auch den Selbstwert." Denn wenn sich der Partner oder Freund einfach verdünnisiert, stellt man sich natürlich die Frage, was man selbst falsch gemacht hat und warum man das Ende nicht hat kommen sehen. Mit all diesen Fragen im Kopf bleibt die betroffene Person jedoch allein. "Diese ungelösten Fragen verunsichern und können sogar die nächste Beziehung belasten", so Wilchfort – etwa weil es dem oder der Verlassenen schwerfällt, dem neuen Partner zu vertrauen. Denn woher weiß man, dass er oder sie nicht ebenfalls verschwindet?

"Geghosteten" rät Wilchfort, sich nicht von der Erfahrung entmutigen zu lassen. Vielmehr sollten sie froh sein, den Geist los zu sein. Wie sich Ghosting vermeiden lässt? "Miteinander reden und sich auf die positiven Aspekte der Beziehung konzentrieren", so der Experte. Damit sei natürlich nicht gemeint, die negativen Dinge zu ignorieren. Nur haben zwei Menschen sich erst einmal gesagt, was sie aneinander schätzen, falle es ihnen in der Regel auch leichter zu sagen, was sie stört. "Schaffen sie es dann, die Störungen gemeinsam zu beseitigen, muss sich auch niemand aus der Beziehung verabschieden." (Stella Hombach, 27.4.2019)