Um punkt neun Uhr holt Kristina Lindelöf die Fläschchen. Jetzt gibt es kein Halten mehr. Die Lämmer stürzen sich auf ihr Frühstück und nuckeln, was das Zeug hält. Das Publikum, vorwiegend Zwei- bis Dreijährige, ist hin- und hergerissen zwischen Angst und Begeisterung. Kein Wunder, sind die ungestümen Wollknäuel doch ausnahmsweise mal agiler als sie selbst. Anfangs klammern sich die Kleinen noch an ihre Eltern, bald greifen sie aber doch zu den Flaschen, um die Lämmer zu füttern.

Der südschwedische Bauernhof Ingebo Hagar ist ein Idyll. Kinder lernen dort, das gutes Essen keine Selbstverständlichkeit ist.

Nach nicht einmal einer Minute ist die Milch verputzt und es geht weiter zu urtümlich wirkenden, schwarz gefleckten Schweinen. Zwei von ihnen, Susi und Emil, kämen bald zum Schlachter, erzählt Lindelöf – und wenig später als Wurst zurück auf den Hof. Kinder sollen auf dem Hof in Vimmerby in der südschwedischen Provinz Kalmar lernen, woher die gute Wurst Småländska Isterband eigentlich kommt, die sie gerade gekostet haben. "So schätzen die Kleinen den Wert von Nahrungsmitteln ein wenig mehr", glaubt die zweifache Mutter. Sie selbst begehe dennoch immer wieder denselben Fehler wie ihre Kinder: Tieren Namen zu geben, die wenig später auf den Tellern landen.

Landleben nach Lindgren

Wer in Südschweden Familienurlaub auf dem Bauernhof macht, fühlt sich ein wenig in Astrid Lindgrens Welt versetzt, die sie in der Buchreihe Wir Kinder von Bullerbü zeichnet. Viele Dörfer bestehen wie in dem fiktiven Ort Bullerbü tatsächlich nur aus einer Ansammlung von Höfen, und die Sache mit dem gesunden Landleben stimmt auch irgendwie. Die Bio-Landwirtschaft liegt jedenfalls im Trend und war hier immer üblich, nur macht man darum kein Brimborium. Gemüse wächst hinterm Haus, die Preisel- und Heidelbeeren sammelt man in den Wäldern. Wildtiere wie Elch, Reh und Seesaibling stehen auch häufig auf dem Speiseplan.

"Massentierhaltung lehne ich ab, ein gutes Elchsteak nicht", sagt Ingrid Olsson, die Chefin des Naturparks Getnö Gård, in dem auch gejagt werden darf. "Seit Wolf, Luchs und Bär rar geworden sind, haben Elche im Süden Schwedens kaum noch natürliche Feinde.

Autor Marc Vorsatz mit seinem Sohn am Åsnen-See. Dort wird Südschwedens Natur für den familientauglichen Abenteuerurlaub inszeniert.
Foto: Madalina Dragoi

Vor über 50 Jahren kaufte Ingrids Vater die weitläufige Insel, auf der sich der Naturpark befindet. Dort haben die Olssons mit dem Lake Åsnen Resort über die Jahrzehnte ein kleines Reich für Naturliebhaber geschaffen. Und auf einer kleinen Nachbarinsel können Jugendliche ganz ohne Eltern in Zelten übernachten – Lagerfeuer und Flirten inklusive.

Der 15 Quadratkilometer große Naturpark Getnö Gård besteht aus einem Inselarchipel mit kleinem Resort.

Für viele Familien ist der Besuch des Öko-Resorts und Bio-Hofes "Urnatur", drei Autostunden weiter nördlich ein Höhepunkt – und das im Wortsinn: Zwei Baumhäuser, eines davon kindersicher, bieten tief im Wald fantastische Ausblicke. Erdverbundenere Gäste nächtigen in urigen Blockhütten mit grasbewachsenen Dächern. Drinnen fühlt sich alles an wie vor 100 Jahren: kein Strom, kein Wasser, kein Wlan, dafür der warme Schein einer Petroleumlampe und ein Kanonenofen.

Märchenhafte Kulisse

Doch bevor die langen nordischen Abende die kurzen weißen Nächte einläuten, heißt es selber kochen. Das macht man in einer offenen Gemeinschaftsküche an einem See, dessen märchenhafte Kulisse immer wieder in schwedischen Filmen, Werbespots und Fotoshootings auftaucht. Man befeuert dort einen gewaltigen gusseisernen Wok mit groben Holzscheiten und gart darin, wonach einem gerade der Sinn steht – und vertreibt auch gleich die Gelsen, die in der Dämmerung auf der Suche nach frischem Blut durch die Gegend surren.

Eine der urigen Hütten im Öko-Resort "Urnatur".

"Dabei sind die Gelsen eigentlich sehr wichtig in der Nahrungskette", erklärt Ulrika Krynitz den Kindern. "Ohne Insekten keine Vögel, ohne Vögel keine Pflanzen", beschreibt sie deren Rolle im Ökosystem als Bestäuber und Verteiler von Samen.

Baumhäuser gibt es dort auch als Unterkunft.

Krynitz verschlug es vor vielen Jahren aus Niedersachsen nach Südschweden. Die Liebe zur vielerorts unberührten skandinavischen Natur und zu einem schwedischen Naturburschen waren schuld. Zusammen mit Håkan Strotz hat sie in Ödeshög am Vättern-See "Urnatur" erschaffen, um das einfache Leben im Wald für Besucher zu inszenieren.

Die Kinder sind auch hier von den gewöhnlichen Tieren eines Bauernhofs beeindruckt: von den vielen Ziegen und Schafen, von gackernden Hühner und von Haily, dem alten Haushund, dem eine Arthrose zu schaffen macht. Noch mehr zum Staunen bringt die Kleinen aber, wie groß Ponys hier werden. Es sind Baschkire, robuste Pferde, die den Weg aus der russischen Steppe bis nach Südschweden fanden. Sie scheinen sich bestens eingefügt zu haben in Astrid Lindgrens Welt. (Marc Vorsatz, 27.4.2019)