Der österreichische Grafikdesigner Henry Steiner ist 1964 nach Hongkong emigriert. Seit 18 Jahren wohnt er dort nun im Büro sowie in einem Hotelzimmer im 22. Stock mit Blick auf die Bucht.

"Eigentlich habe ich kein Zuhause. Oder ich habe zwei, denn ich wohne einerseits in meinem Büro, andererseits in einem gemütlichen Vier-Sterne-Hotel in Sai Ying Pun im Western District, und das schon seit 18 Jahren. Ausschlaggebend dafür war meine damalige Scheidung, die mich in meinen Grundfesten, was Heimat, Zuhause und Privatsphäre betrifft, erschüttert hat. Obwohl meine damalige Frau und ich uns einvernehmlich getrennt haben, habe ich damals jegliches Vertrauen in die materielle Manifestation des Wohnens verloren. Wohnen ist für mich seitdem eine orts- und personenunabhängige Tätigkeit.

"Ich bin ein Jäger und Sammler." Henry Steiner zuhause.
Foto: Dustin Shum; Shum Wan Yat

Und so wohne ich nun hier in meinem Büro in der Conduit Road, wo es auch ein Bad und eine Übernachtungsmöglichkeit gibt, sowie in einem Hotel, ein paar Tram-Stationen hinter dem Western Market. Das Hotel ist nett und unaufgeregt und bietet alle Annehmlichkeiten, die man als Junggeselle benötigt: Bar, Restaurant und nette Menschen. Das Zimmer befindet sich im 22. Stock, hat 30 oder 35 Quadratmeter und offenbart eine tolle Aussicht auf die Bucht von Hongkong, was ziemlich gut ist, wenn man so klaustrophobisch ist, wie ich es bin.

Mein Hotelzimmer ist, um mit Le Corbusier zu sprechen, eine Wohnmaschine. Nicht mehr und nicht weniger. Selbst nach so vielen Jahren habe ich daran nichts verändert – abgesehen von zwei minimalinvasiven Eingriffen: einem Bücherregal, das ich hineingestellt habe, und den Hotelkunstwerken, die ich aus nachvollziehbaren Gründen von der Wand abgenommen habe. Ansonsten unterscheidet sich das Hotelzimmer nicht wirklich davon, wie Hotelzimmer halt ausschauen. Ich brauche keinen Teddybären, um es gemütlich zu haben.

Manchmal denke ich, dass sich mein Teddybärgefühl ganz anders entfaltet, nämlich in den kleinen Dingen, die mich hier im Büro umgeben. Ich bin ein Jäger und Sammler. In den 85 Jahren meines Lebens hat sich schon so viel Zeug angesammelt, dass ich es kaum fassen kann – Zeug, das kein Mensch braucht und bei dem man sich wundert, dass irgendwer diese Sachen entwirft und produziert, weil irgendwer anderer sie verkauft, weil wiederum irgendwer anderer tatsächlich Geld ausgibt, um sie zu kaufen. Mich faszinieren diese Kreisläufe.

Ein buntes Sammelsurium.
Foto: Wojciech Czaja

Fakt ist: Sobald man einmal zu sammeln begonnen hat, kann man nie wieder damit aufhören. Ein Freund von mir sammelt Roboter. Ich beneide ihn darum, denn das ist ein klarer Bereich mit klaren Grenzen. Ich hingegen sammle alles: Cowboy-Boots, Blechspielzeug, Tongefäße, Coladosen, Gummienten, Aschenbecher, Eier und Eierbecher aus diversen Ländern und Kulturen. Es ist verheerend! Das Meiste davon nimmt man im Alltag nicht einmal mehr bewusst wahr. Aber wehe, der ganze Kitsch wäre nicht da! Das wäre ein emotionaler, atmosphärischer Verlust, den man erst einmal verarbeiten müsste.

Früher oder später werde ich mich trennen müssen, denn es quillt schon alles über. Und so übe ich den Umgang mit meinen Verlustängsten in regelmäßigen Abständen. Vor ein paar Monaten habe ich meine Sammlung japanischer Holzschnitte und Drucke aus den Jahren 1670 bis 1870 verkauft und in andere Hände übergeben.

Henry Steiner sammelt Cowboy-Boots, Blechspielzeug, Tongefäße, Coladosen, Gummienten, Aschenbecher, Eier und Eierbecher.
Foto: Wojciech Czaja

Ich weiß nicht, ob ich in Hongkong bis zu meinem Lebensende bleiben werde. Ich glaube nicht. Ganz ehrlich? Je älter ich werde, desto mehr merke ich, wie es mich mit 85 wieder nach Wien zieht, obwohl ich dort nur wenige Jahre meines Lebens verbracht habe. Wien bietet das, was Hongkong nicht hat: Gemütlichkeit. Ob ich mir diesen Wunsch je erfüllen werde? Ob das ein Plan oder einfach nur ein Traum ist? Aber ja, beides!" (29.4.2019)