Der Autofahrer, der den Sanitäter im Rettungseinsatz niederschlägt, weil er ihm die Ausfahrt aus der Parklücke blockiert; die Amateurfußballer, die zuerst einander und dann die Polizei attackieren; der Bahnkunde, der auf eine Zugsverspätung mit ausgeklapptem Messer reagiert: Das deutsche Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" hat vor kurzem eine ganze Reihe an Begebenheiten gesammelt, um die gefühlte und tatsächliche Gereiztheit unserer Zeit zu vermessen.

Medienforscher Bernhard Pörksen hat zu diesem Gefühl das passende wissenschaftliche Buch geschrieben über die "große Gereiztheit" unserer Gesellschaften. Letztlich sei eine von Wut und Ärgerattacken geprägte Politik demokratiegefährdend und destabilisierend. Er fordert deshalb, die "Empörungsdemokratie in Zeiten digitaler Medien" zu stoppen. Betrachtet man den eben angelaufenen EU-Wahlkampf in Österreich, stellt man fest: Leider passiert hier gerade genau das Gegenteil. Jeden Tag steigt das politische Empörungsthermometer um ein paar Grade.

Rhetorische Tiefpunkte

Die vergangene Woche war dominiert von: einem hetzerischen "Gedicht" des ehemaligen Braunauer FPÖ-Vizebürgermeisters; Beleidigungen des FPÖ-EU-Spitzenkandidaten Harald Vilimsky für seine Mitbewerber; einer Drohung desselben gegen ORF-Anchor Armin Wolf; auf all das Reaktionen, die wiederum für Empörung sorgen. Jüngster Tiefpunkt: die ehemalige ÖVP- und jetzige FPÖ-Politikerin Ursula Stenzel, einst selbst ORF-Moderatorin, die die Interviewführung ("Verhörton") ihres Ex-Kollegen Wolf in die Nähe von Nazi-Richtern rückte.

Angreifen, Feindbilder benennen, provozieren, Eklats erzeugen, sich selbst am Ende als Opfer hinstellen: Das ist seit jeher blaue Wahlkampfstrategie. Etwa als Harald Vilimsky bei der Präsentation seiner Wahlplakate Othmar Karas (ÖVP) einen "Apparatschik", Andreas Schieder (SPÖ) einen "politischen Loser" und Claudia Gamon (Neos) ein "EU-Groupie" nannte.

Verschiebung der Gewichte

Das ist aber nicht die ganze Erklärung für die jüngsten rhetorischen Eskalationen. Die ständig aufpoppenden "Einzelfälle" in den blauen Reihen, die das Koalitionsklima trüben und die bisherige Erfolgsstrategie der Message-Control unterwandern, sind sicherlich nicht Teil der Wahlkampfstrategie. Das passiert, und das macht FPÖ und ÖVP gleichermaßen unrund.

Indem Vizekanzler und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache den Misstrauensantrag der SPÖ gegen ihn als "Hetze" bezeichnet, begeht er eine weitere rhetorische Grenzüberschreitung. Wenn eine Oppositionspartei im Nationalrat gegen die Regierung vorgeht, so ist das ein demokratischer Prozess – aber keine "Hetze". Dieses Wort ist angebracht, wenn ein politischer "Dichter" Menschen mit Ratten gleichsetzt. So werden Gewichte verschoben, so wird Unvergleichbares gleichgemacht.

Raum für Sachlichkeit

Die Medien, so lautet eine häufige Kritik – auch von Buchautor Pörksen –, bedienen die Empörungsspirale, indem sie die Eskalationen im politischen Diskurs immer weitertragen. Das ist schwer zu vermeiden: Medien haben die Aufgabe, Grenzüberschreitungen in der Demokratie aufzuzeigen. Die Frage ist, wie sie es tun. Und ob daneben auch noch Raum und Zeit für die Erörterung inhaltlicher Fragen bleibt. Das wird nicht zuletzt auch davon abhängen, wie sachlich die übrigen Kandidaten im EU-Wahlkampf bleiben. (Petra Stuiber, 26.4.2019)