Soll an die 102.000 niederländischen Holocaust-Opfer erinnern: Daniel Libeskinds Entwurf für ein "Labyrinth aus Namen" in Amsterdam.

Studio Libeskind

Ein Mahnmal aus 102.000 Backsteinen mit eingravierten Namen – genau ein Backstein für jedes niederländische Holocaust-Opfer. Von oben betrachtet bilden die Backsteinmauern die vier hebräischen Buchstaben des Wortes "Gedenken". Ein "Labyrinth aus Namen" soll es werden, 380 Meter lang und stellenweise bis zu sieben Meter hoch. So sieht das umstrittene nationale Holocaust-Monument aus, das Stararchitekt Daniel Libeskind im jüdischen Viertel von Amsterdam errichten will, zwischen zwei Grachten an der Weesperstraat auf einem Grünstreifen mit Bäumen.

Genau 24 sind es – und eigentlich hätten sie schon längst abgeholzt werden sollen. Doch das wusste eine Reihe von Anwohnern mit einer einstweiligen Verfügung zu verhindern: Sie finden den geplanten Standort viel zu klein für das in ihren Augen viel zu kolossale Monument.

Widerstand der Anwohner

"Unbegreiflich!", schimpft Jacques Grishaver, Initiator und Vorsitzender des niederländischen Auschwitz-Komitees. "Wenn das so weitergeht, sind bis zur Realisierung dieses Projekts alle Angehörigen der Opfer tot!"

Denn eigentlich sollte das Monument schon seit mehr als zehn Jahren stehen – allerdings weiter nordöstlich in einem Park. Dort jedoch befindet sich bereits ein Denkmal, das Auschwitz-Monument des Künstlers Jan Wolkers. Das würde durch das kolossale Libeskind-Mahnmal regelrecht erdrückt werden, fanden die dortigen Anwohner und leisteten erfolgreich Widerstand.

Worauf ein neuer Standort gesucht wurde, die Weesperstraat – mit dem bekannten Ergebnis: Auch dort begannen die Anwohner zu protestieren – zur großen Enttäuschung von Daniel Libeskind: "In einer Zeit von zunehmendem Antisemitismus und Rassismus darf die Judenverfolgung nicht vergessen werden", warnte der Architekt. In Amsterdam werde versucht, die Erinnerung auszulöschen: "Und ohne Erinnerung gibt es keine Zukunft."

Ausschreibung vonnöten?

Aber, stellt Petra Catz klar, Vorstandsvorsitzende der Anwohnervereinigung des Viertels: "Wir sind nicht gegen dieses Mahnmal, wir sind gegen den Ort und die Art und Weise, wie das Projekt zustande kam." Es gehe zwar um ein private Initiative – aber im öffentlichen Raum, realisiert mit öffentlichen Mitteln: Stadt und Regierung wollen den größten Teil der Baukosten – insgesamt 14,6 Millionen Euro – übernehmen. Hätten die Anwohner da nicht stärker einbezogen werden müssen? Verlangt das EU-Recht in einem solchen Fall nicht die Ausschreibung eines Wettbewerbs? So wie in Berlin und in London, wo bis 2021 ebenfalls ein nationales "Holocaust Memorial" realisiert werden soll?

Viele Niederländer stellen sich inzwischen auch Fragen ganz grundsätzlicher Art: Ist die Idee eines Namens-Mahnmals, wie es 1982 mit dem Vietnam Veterans Memorial von Maya Lin in Washington erstmals realisiert wurde, nicht längst überholt? Wird das geplante Namensmonument von Libeskind dadurch nicht zu einem, wie es der Amsterdamer Soziologieprofessor Abram de Swaan nannte, "monumentalen Klischee"?

Bäume der Weesperstraat

Und überhaupt: Brauchen kolossale Ereignisse der Weltgeschichte unbedingt kolossale Mahnmäler? "Nein", findet der niederländische Publizist Herman Vuijsje. Ganz im Gegenteil, das mache das Gedenken "anonym und grotesk". Amsterdam kenne bereits mehrere kleinere Mahnmale, die seien viel intimer, leiser, eindringlicher.

Das letzte Wort hat am 28. Mai der Richter in einem weiteren Verfahren, das die Mahnmal-Gegner eingeleitet haben. Bis dahin geht die Debatte weiter. Und bis dahin müssen die 24 Bäume an der Weesperstraat stehen bleiben. (Kerstin Schweighöfer, 29. 4. 2019)