Matteo Salvini muss seine eigenen Zahlen korrigieren.

Die Migranten können schon ihre Koffer packen!", polterte Matteo Salvini vor den Parlamentswahlen 2018 gern. "Wir werden einen nach dem anderen nach Hause schicken!" Dabei nannte er die Zahl von 500.000 potenziellen "Kandidaten", und manchmal waren es auch 600.000.

Die Zahl der halben Million illegal eingereister Migranten hat auch Eingang in den Koalitionsvertrag mit dem Regierungspartner, der Fünf-Sterne-Bewegung, gefunden. Mit der "Invasion" der Migranten hatte Salvini, der zum Innenminister avancierte Chef der rechten Lega, die Politik der "geschlossenen Häfen" begründet, mit denen Italien mehrere Völker- und Seerechtsnormen verletzt.

Doch nun scheint alles halb so wild: "Die Zahl der im Land anwesenden Migranten ohne Aufenthaltsbewilligung ist sehr viel kleiner, als man annehmen würde", erklärte nun Salvini. Alles in allem komme man auf eine geschätzte Zahl von 90.000 – "wenn man pessimistisch rechnet".

Und so rechnet Salvini: Seit 2015 seien in Italien zwar 478.000 Migranten angekommen – doch 268.000 von ihnen seien schon in andere EU-Länder weitergereist. Bleibt noch ein Plus von 210.000 Personen – und von denen hätten rund 120.000 eine definitive oder provisorische Aufenthaltsgenehmigung in Italien erhalten. Bleiben summa summarum noch 90.000 Migranten, die untergetaucht seien, um der Abschiebung zu entgehen.

Diese neuen Zahlen haben sowohl bei der Opposition als auch beim Koalitionspartner scharfe Kritik ausgelöst. "Seit einem Jahr schwadroniert der Innenminister von einer Invasion, und nun entdeckt er, dass es nicht 500.000, sondern nur 90.000 Personen sind?", wunderte sich Debora Serracchiani, Abgeordnete des sozialdemokratischen PD. Sarkastisch fügte sie hinzu, dass Salvini seine Bürgerwehren in den Städten wieder abziehen könne, da der Notstand ja nicht bestehe.

Niveau wie unter Gentiloni

Die Fünf-Sterne-Bewegung vermutet, dass es das Versagen des Innenministers bei den Abschiebungen sei, die ihn zu seiner neuen Schätzung veranlasst hätten. Tatsächlich schafft es Italien auch unter Hardliner Salvini nicht, die Zahl der Repatriierungen zu erhöhen. Der Durchschnitt liegt bei 500 Abschiebungen pro Monat – auf gleichem Niveau wie unter der Vorgängerregierung von PD-Politiker Paolo Gentiloni.

Mit seinem neuen "Migrantensaldo" bestätigt Salvini indirekt die Kritik der Nachbarstaaten, die Italien vorwerfen, illegal eingereiste Migranten einfach weiterzuwinken. Die Zahl der 268.000 ausgereisten Migranten entspricht der Anzahl der Gesuche für Rückübernahmen, die von den EU-Partnern seit 2015 in Rom eingetroffen sind.

Salvini brüstete sich damit, dass Italien gerade einmal 32.000 Migranten zurückgenommen habe, obwohl Italien aufgrund des Dublin-Abkommens verpflichtet wäre, alle zu übernehmen.

Entsprechend verärgert zeigte sich die EU-Kommission: "Wir haben die Mitgliedstaaten mehrfach aufgefordert, Maßnahmen gegen die Sekundärmigration zu ergreifen und die Zahl der Repatriierungen zu erhöhen. Empfehlungen in dieser Sache haben wir insbesondere an Italien geschickt", erklärte Kommissionssprecherin Natasha Bertaud in Brüssel.

Salvini lässt dies kalt – er beruft sich stattdessen auf die drastische Reduktion der neu ankommenden Flüchtlinge. Tatsächlich sind an Italiens Küsten in diesem Jahr bisher nur knapp 700 Migranten an Land gegangen – ein Bruchteil im Vergleich zu den Vorjahren. Experten warnen aber, dass im Zuge des Bürgerkriegs in Libyen bis zu 200.000 Menschen versuchen könnten, nach Italien überzusetzen: Bei solchen Zahlen von Kriegsflüchtlingen wird Salvini die Häfen kaum schließen können.

Hinzu werden rund 140.000 Menschen kommen, die in Italien in den vergangenen Jahren humanitäre Aufnahme gefunden hatten, deren Aufnahmestatus aber unter Salvini nicht mehr verlängert wird – und die damit in der Illegalität landen. "Auf diese Weise werden wir bald wieder bei der Schätzung Salvinis vor einem Jahr angelangt sein: bei 500.000 ‚Illegalen‘", kommentierte düster der Corriere della Sera. (28.4.2019)