Länder wie Deutschland und Frankreich schieben riskanten Insektiziden heuer einen Riegel vor. Österreich ist bei Ausnahmegenehmigungen großzügiger.

APA

Ernteausfälle und wachsende Probleme durch Wetterkapriolen heizen Debatten über Pestizide an. An Argumenten fehlt es weder Gegnern noch Befürwortern. Wer aber in Österreich nach harten Fakten rund um den Spritzmitteleinsatz sucht, stochert rasch im Dunkeln. Rar gesät werden vor allem Informationen über Insektizide, die regulär nicht zugelassen sind, aber im großen Stil über den Umweg der Notfallzulassung auf Felder und Plantagen gelangen.

Auch VP-Landwirtschafts- und Umweltministerin Elisabeth Köstinger trägt aus Sicht der Opposition nichts zu mehr Transparenz bei. Eine parlamentarische Anfrage der SPÖ rund um hochtoxische Neonicotinoide, die trotz EU-Verbots heuer hierzulande wieder auf die Bauernhöfe dürfen, blieb über weite Strecken unbeantwortet.

Am Wochenende lief die Frist für Köstingers Stellungnahme aus – und sie liest sich dürr. Ihr Ministerium gibt weder Auskunft über die Gesamtmenge der ausgebrachten Pestizide noch über das Ausmaß der behandelten Flächen. Erhebungen dazu seien aus verwaltungsökonomischen Gründen leider nicht möglich, heißt es. Daten dazu würden von ihren Behörden nicht erfasst. Die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln liege in der Kompetenz der Bundesländer.

43 Notfallzulassungen

Offengelegt wird, dass 2018 in Österreich 43 Notfallzulassungen erteilt wurden, darunter auch für das als hoch bienengefährlich eingestufte Präparat Mocap. 44-mal wurde diese Hintertür 2017 geöffnet, ähnlich oft auch in den Jahren zuvor. Neben Mocap regelmäßig zum Einsatz kam etwa das umstrittene Antibiotikum Streptomycin. Heuer ließ das Bundesamt für Ernährungssicherheit von Jänner bis Februar 18 Anträge zu – unter anderem drei für Neonicotinoide.

Diese zog die EU vor einem Jahr mit der Stimme Österreichs aus dem Verkehr, da sie ein hohes Gesundheitsrisiko für Hummeln und Bienen darstellen. Auch in Frankreich, Deutschland und Großbritannien suchte die Zuckerindustrie dafür um grünes Licht an, blieb dabei aber ohne Erfolg. Österreich hingegen lehnte seit 2011 in Summe nur acht Anträge ab.

Entschieden wird über eine aktuelle Notlage auf Basis von Informationen der Antragssteller, der Landwirtschaftskammer und Länder. Fachleute aus Unis oder Umweltorganisationen haben keinerlei Mitsprache. Begleitendes Monitoring bei der Ausbringung riskanter Pestizide betrifft allein die Honigbiene. Andere Insekten, Vögel und Amphibien werden davon nicht erfasst. Unbewertet bleiben auch mögliche Kombinationswirkungen einzelner Präparate, geht aus der Stellungnahme hervor.

"Massives Bienensterben"

Auf Fragen nach Ausmaß und Ursachen der hohen Verluste etwa in Österreichs Zuckerrübenanbau in den vergangenen acht Jahren ging Köstinger bis auf Erwähnung des Rüsselkäfers, der 2018 für erheblichen Schaden sorgte, nicht näher ein: Ihr Ministerium verfüge dazu über keine genauen Daten.

SP-Nationalratsabgeordnete Elisabeth Feichtinger brachte die Anfrage ein. Sie sei selbst Imkerin, werde von Kollegen immer wieder mit massivem Bienensterben konfrontiert, erzählt sie. Notfallzulassungen sieht sie kritisch, sie seien ein speziell österreichisches Instrument, auf das Länder wie Frankreich und Deutschland trotz großer Agrarbetriebe verzichteten.

Auf Köstingers "oberflächliche" Stellungnahme reagiert Feichtinger enttäuscht. Österreichs Politik schreibe sich Nachhaltigkeit, Biodiversität und kleinteilige biologische Landwirtschaft auf die Fahnen – evaluiere aber kaum Daten zu Pestiziden und gebe Notfallzulassungen zu leichtfertig her.

Beschwerde eingebracht

"Bauern dürfen bei Ernteausfällen nicht alleingelassen werden", betont sie. Finanzielle Einbußen gehörten über Förderungen abgefedert. Mit mehr Spritzmitteln ließen sich die Probleme der Betriebe jedoch sicher nicht lösen.

Notfallzulassungen verbotener Stoffe im Dienste der Schädlingsabwehr sind für Umweltschützer ein rotes Tuch. Die Umweltorganisation Global 2000 kämpft etwa mit Rechtsmitteln gegen sie und hat nun im Falle der Neonicotinoide beim Bundesamt für Ernährungssicherheit eine Beschwerde eingebracht, "da Österreich damit auch gegen EU-Recht verstößt". Sie sieht darüber hinaus eine neue Zulassung für den Wirkstoff Fipronil, die derzeit von vielen Erdäpfelbauern gefordert wird, rechtlich nicht gedeckt. Kommenden Dienstag werden die Details dazu vorgelegt.

Generell währen Sonderzulassungen für eine Dauer von höchstens 120 Tagen. Geht es dabei um unerlaubte Wirkstoffe, muss ihre Notwendigkeit umfangreich dokumentiert werden, lässt das Bundesamt auf Anfrage des STANDARD wissen und verweist auf Leitlinien für Notfälle im Pflanzenschutz. Geprüft werden die Anträge durch die Ages, der Agentur für Ernährungssicherheit. Je nach Kategorie werde zusätzlich eine Zustimmungserklärung seitens der Bundesländer eingeholt.

Teure Verfahren für Bio-Landbau

Darauf angewiesen ist übrigens auch der Biolandbau, der von chemisch-synthetischen Mitteln absieht. Bis auf wenige Ausnahmen wie Kupfer sind seine Präparate biologisch abbaubar. Geprüft und legalisiert gehören sie dennoch. Die notwendigen behördliche Verfahren dazu sind in der Regel aber auf die Chemieindustrie zugeschnitten und folglich mit enormen Kosten verbunden.

Wer so Seifenlösung, die Rosen gegen Blattläuse schützt, offiziell im Pflanzenschutz nutzen will, muss mit rund drei Millionen Euro rechnen. Da reguläre Zulassungen also fehlen, braucht es Abkürzungen über den Notfall. Branchenkennern zufolge ließen sich damit vortrefflich Biobauern in Schach halten: Aus Sorge um ihre Anträge und Angst vor einer Retourkutsche hielten sich viele mit Kritik an konventionellen Spritzmitteln zurück. (Verena Kainrath, 29.4.2019)