Handel bringt Wandel. Das war lange Zeit ein gern verwendeter politischer Slogan. Autoritäre Regime seien am besten einzuhegen, hieß es, indem man sie in den internationalen Wirtschaftsaustausch einbinde, ihnen damit Regeln vorgebe und vor allem Wohlstand in diesen Ländern erzeuge. Denn Wohlstand und eine erstarkende Mittelschicht, so die Annahme vieler strategischer Köpfe im Westen, müssten zwangsläufig dazu führen, dass auch aus der ärgsten Diktatur über kurz oder lang eine liberale Demokratie nach westlichem Vorbild werde. Die verwegensten Prognostiker errechneten sogar, dass Autokratien ab einem Pro-Kopf-Einkommen von rund 10.000 US-Dollar zu bröckeln begännen, weil sich bei unterdrückten Bürgern mit gesicherter materieller Existenz der unstillbare Hunger nach Freiheit und Pluralismus einstellen würde.

Die Entwicklung in China – Pro-Kopf-Einkommen 16.700 US-Dollar im Jahr 2018 – hat diese wohligen Erwartungen nicht nur widerlegt. In China wird dieser Tage auch ein Alternativmodell erprobt, das global immer mehr Anklang oder zumindest immer geringeren Widerstand findet: der digitalisierte Totalitarismus kombiniert mit völlig entgrenztem Kapitalismus.

Als es im "Reich der Mitte" noch Kaiser gab, nahmen diese es als selbstverständlich an, dass ihnen die gesamte Welt tributpflichtig sei. Heute sehen es die kommunistischen Mandarine in Peking ähnlich – nur dass sie keine Zehenten einkassieren, sondern stattdessen über das Vehikel der Neuen Seidenstraße Kredite verteilen, um von Chile bis nach Pakistan, von Ungarn bis nach Äthiopien politischen Einfluss zu gewinnen.

Damit setzen die Chinesen um, was Staats- und Parteichef Xi Jinping auf dem Parteitag der KPCh Ende 2017 angekündigt hat: Sie bauen an einer sinozentrischen Weltordnung, wollen "China wieder ins Zentrum der Welt rücken"und spätestens 2050 "globale Führungsmacht" sein. Das ist der "chinesische Traum", von dem Xi seither unentwegt spricht.

Die politischen und ökonomischen Zentripetalkräfte dieses neuen Reichs der Mitte sind inzwischen so stark, dass sich auch westliche EU-Länder wie Italien oder Luxemburg dem Ruf der Seidenstraße nicht mehr entziehen wollten. Beide haben Memoranden unterschrieben, in denen es um eine enge Kooperation mit China geht. Vor allem die Luxemburger hätten dabei die Hosen ganz weit heruntergelassen, echauffieren sich Diplomaten in Peking, und sich beinahe allen Wünschen der Chinesen gebeugt.

Bedeutet forcierte Expansion und Export des chinesischen Systems, dass vor allem europäische Staaten nicht mit Peking kooperieren sollten? Natürlich nicht. Der springende Punkt ist vielmehr, dass den chinesischen Schalmeientönen mit deutlich größerer Skepsis begegnet werden muss. China macht ausschließlich knallharte, amoralische Interessenpolitik. Der Westen, auch Europa, muss ihm eine ebenso standfeste Interessenpolitik entgegensetzen. Vor allem dann, wenn ihm sein Wertefundament wichtig ist.

Es kann nicht sein, dass EU-Beitrittswerber wie Serbien oder gar Mitgliedstaaten wie Ungarn zur fünften Kolonne der Chinesen in Europa werden. Dort wirbt man bereits für die "illiberale Demokratie", und es heißt oft, man müsse einen "Freiheitskampf" gegen Brüssel führen. Erstaunlicherweise hat in Budapest noch niemand daran gedacht, was es bedeutet, ein Vasall des Reichs der Mitte zu sein. (Christoph Prantner, 28.4.2019)