Vorbei die Zeiten, in denen die FPÖ wie im Nationalratswahlkampf fast schon auf staatstragende Partei machte: Nachdem Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) unter dem Prädikat "widerlich" seinen blauen Koalitionspartnern Distanzierungen von den rechtsextremen Identitären abgerungen und die Verse des Rattendichters von Braunau, bis vor kurzem blauer Vizebürgermeister, als "abscheulich" qualifiziert hat, scheinen bei den Freiheitlichen erst recht alle Dämme gebrochen.

Harald Vilimsky, EU-Spitzenkandidat der FPÖ, eröffnete die Attacken gegen ORF-Journalist Armin Wolf: Hinter den blauen Kulissen herrsche aber eine gewisse Panik, analysiert Politikexperte Thomas Hofer.

Seitdem hagelt aus der zweiten Reihe Attacken gegen den "ZiB 2"-Anchorman Armin Wolf ("kann nicht ohne Folgen bleiben", "Verhörton wie in einem Volksgerichtshof", "würde ein Sabbatical nehmen"). Damit nicht genug, bekennt sich Vizekanzler und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache nun höchstpersönlich zum "Kampf gegen den Bevölkerungsaustausch" – und damit zu einem belasteten Terminus, dessen sich die Identitären oft bedienen. Warum sorgen die Blauen im EU-Wahlkampf jetzt absichtlich für einen Eklat nach dem anderen?

Neue Panik, alte Paranoia

Angesichts des Urnengangs am 26. Mai herrsche hinter den Kulissen eine gewisse Panik, ist der Politikexperte Thomas Hofer überzeugt. Denn nach den Kurz'schen Disziplinierungsversuchen befürchten die FPÖ-Spitzen mit ihren Abgrenzungen von den Identitären das bis dahin treue Dritte Lager allzu sehr vergrämt zu haben. Hofer: "Deswegen heißt es jetzt wieder, die Reihen geschlossen zu halten, um sich Kurz' ÖVP ja nicht zu sehr zu unterwerfen."

Dazu komme, dass die Türkisen in den Umfragen stetig zulegen, was die alten Ängste befeuere, dass der Kanzler – wie einst ÖVP-Chef Wolfgang Schüssel – bald die Reißleine ziehen und in Neuwahlen gehen könnte. "Die FPÖ traut Kurz zu, mit einem Plan B oder C zu kalkulieren", so Hofer.

Rückblick: Nach dem blauen Parteitag in Knittelfeld, wo die Basis einst gegen die FPÖ-Regierungsmannschaft putschte, sackte die Partei 2002 nach Schüssels Aufkündigung der Koalition von fast 27 Prozent auf zehn Prozent ab. Im Zuge der Abspaltung von Altparteiobmann Jörg Haider mit dem BZÖ war die FPÖ im März 2006 plötzlich gar nur mehr mit zwei Abgeordneten im Nationalrat vertreten.

Ringen um Vorherrschaft

Bis heute, erklärt Hofer, sitzen Strache und Innenminister Herbert Kickl diese Vorgänge in den Knochen – und sie haben auch registriert, dass ihnen Kurz längst die Vorherrschaft beim Ausländerthema abgerungen hat.

Für die FPÖ ebenfalls ungünstig: Die Beteiligung an der letzten EU-Wahl lag bei 45,4 Prozent – und diesen Urnengang lässt vor allen die FPÖ-Klientel gern aus. Der Experte: "Auch deswegen setzt es derzeit die alten Reflexe. Mit dem Schaffen von Außenfeinden befördert man wie in Oppositionstagen die Haltung, sich ja nicht unterkriegen zu lassen – und hofft so, den kleinen Mann zu mobilisieren." (Nina Weißensteiner, 30.4.2019)