Von einer inhaltlichen Kehrtwende kann nicht die Rede sein, daran ändert auch die Ansage von Parteichefin Pamela Rendi-Wagner nichts.

FOTO: APA/HERBERT NEUBAUER

Mit den Blauen regieren, das geht für die ehemalige SPÖ-Abgeordnete Sonja Ablinger gar nicht. Vom "Multiple-Choice-Test zur FPÖ" hält sie wenig, auch die jüngste rote Kritik an der FPÖ-Koalition überzeugt sie nicht ganz. Im Gastkommentar erklärt sie, warum die Partei eine "ernsthafte Debatte über ihre Ausrichtung führen" muss.

Die SPÖ scheint Ernst zu machen. Ausgelöst durch die jüngsten FPÖ-Turbulenzen rund um FPÖ-Verbindungen zu den rechtsextremen Identitären, das menschenverachtende "Rattengedicht" aus der FPÖ Braunau und die widerlichen Stürmer-ähnlichen Karikaturen auf einem Plakat des RFJ Steiermark, haben die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten einen Misstrauensantrag gegen FPÖ-Vizekanzler Heinz-Christian Strache eingebracht. Die FPÖ, so SPÖ-Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner, "säge jeden Tag an den Grundpfeilern der Demokratie", dabei werde die Sozialdemokratie "niemals tatenlos zusehen". Der stellvertretende SPÖ-Klubobmann Jörg Leichtfried fordert Bundeskanzler Sebastian Kurz auf, die Koalition mit der FPÖ zu beenden. Und doch ist die rote Kritik nicht ganz überzeugend.

Glaubwürdige Kritik?

Denn wie glaubwürdig ist die Forderung nach einem Koalitionsende mit der FPÖ, wenn die SPÖ Burgenland in einer rot-blauen Koalition steckt und sich die Linzer SPÖ zu einem "Arbeitsübereinkommen" mit der FPÖ in der Landeshauptstadt verpflichtet hat? Angesprochen darauf hat sich der SPÖ-Spitzenkandidat zur EU-Wahl, Andreas Schieder im ZiB 2-Interview persönlich gegen jede Koalition mit der FPÖ ausgesprochen. Auch die oberösterreichische SPÖ-Parteivorsitzende Birgit Gerstorfer lehnt aktuell eine Koalition mit der FPÖ ab. Und eine Sektion in der Linzer SPÖ will die "Arbeitskoalition" mit der FPÖ zur Diskussion stellen.

Das ist gut nachvollziehbar: Die FPÖ ist eine rassistische und autoritäre Partei, die eine neoliberale Agenda verfolgt. Sie steht für soziale Ungleichheit, Nationalismus, Antifeminismus, Sozialabbau und für autoritäre Law-and-Order-Politik. Sie sichert die Interessen der Vermögenden und verknüpft ihre Politik für die Wenigen mit xenophoben Angstparolen. Die türkis-blaue Bundesregierung liefert dazu regelmäßig Anschauungsbeispiele: Jede Maßnahme gegen Geringverdiener, Alleinerziehende und Arbeitslose wird mit einer hysterischen Debatte gegen Flüchtlinge oder Kopftuch umhüllt.

Warten auf ein lautes Nein

Doch die SPÖ-Forderung nach einem Koalitionsende mit der FPÖ bleibt zahm: Der Kärntner SPÖ-Landeshauptmann Peter Kaiser nennt sie eine "philosophische Diskussion". Er verweist auf den SPÖ-Kriterienkatalog, mit dem die jeweilige SPÖ-Ebene die FPÖ individuell bewerten kann und dann für sich entscheiden soll, ob sie eine Koalition mit der FPÖ eingeht. Mich hat der Multiple-Choice-Test zur FPÖ nie überzeugt. Der Kriterienkatalog ist in Parteistatut gegossene Feigheit. Mit ihm versucht die SPÖ, es innerparteilich allen irgendwie recht zu machen. Dabei aber weicht man die eigenen Grundsätze auf. Denn die Unterschiede zwischen der Linzer FPÖ und der Bundespartei sind marginal. Was in der FPÖ drin ist, kommt immer raus, ganz egal auf welcher Ebene und in welchen Regionen Österreichs.

Auf ein lautes und umfängliches Nein der SPÖ in Richtung der Freiheitlichen wartet man so noch immer. Zu groß ist die Angst, auf die eigenen Koalitionen angesprochen zu werden. Man kann sich die kommenden Diskussionen im Bundesparteivorstand bildhaft vorstellen. Die Kritiker der rot-blauen Koalitionen werden wortreich zur Geschlossenheit ermahnt, weil ein öffentlicher Streit nur dem politischen Gegner diene und die SPÖ schwäche. Man hätte das jetzt ganz sicher nicht nötig.

Rotes Dilemma

Genau darin aber liegt die Not und zeigt sich das Dilemma der SPÖ. Mit dem Ruf zur Geschlossenheit wurde schon in der Vergangenheit jegliche ernsthafte Diskussion über Kurs und Ausrichtung kleingehalten.

Programmdiskussionen verkümmerten zu Workshops über Vorlagen aus den Ministerbüros der SPÖ-Ressorts. Höhepunkte von Reformprozessen waren Personalrochaden und die Einführung von Probemitgliedschaften. Man regierte lieber entlang der Stimmungsschwankungen der Boulevardmedien. Lieber nicht zu viel anstreifen. In dieser Logik hat man jede Verschärfung der Asylgesetze mitgemacht und unsägliche Debatten über Grenzzäune und Obergrenzen geführt. Man wollte der FPÖ den Wind aus den Segeln nehmen. Funktioniert hat das alles nicht.

Rote Grundwerte

Von einer inhaltlichen Kehrtwende kann bei der SPÖ bei weitem nicht die Rede sein. Daran ändern auch die Ansagen von Rendi-Wager und Schieder in Richtung FPÖ nichts. Wenn die SPÖ nicht "tatenlos zusehen" will, wie die Demokratie untergraben wird, genügt kein Verweis auf den Kriterienkatalog. Sie muss eine ernsthafte Debatte über ihre Ausrichtung führen und glaubhaft machen, wofür sie steht. Die Sozialdemokratie muss ihre Grundwerte Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit und Solidarität neu aufladen. Die Themen liegen in der Luft: solidarische Lohnpolitik, ein moderner Geschlechtervertrag, Verteilungsgerechtigkeit und Armutsbekämpfung, um nur ein paar zu nennen. Wenn die SPÖ den wachsenden autoritären Verhältnissen überzeugend entgegentreten will, muss sie konkrete Vorstellungen für ein solidarisches Zukunftskonzept vorantreiben. Gerade auch wenn gegenwärtig politische Mehrheiten europaweit mit hetzerischen Angstparolen gewonnen werden.

Der Verlust der Glaubwürdigkeit ist nämlich langfristig für die Sozialdemokratie dramatischer als der zeitweilige Verlust der Macht. (Sonja Ablinger, 30.4.2019)