Es ist ziemlich genau neun Jahre her, dass ein Sensationsfund ein neues Kapitel der Menschheitsgeschichte eröffnete: Forscher konnten dank eines etwa 40.000 Jahre alten Fingerknochens, den sie in der Denisova-Höhle im südsibirischen Altai-Gebirge fanden, einen bisher unbekannten Vertreter der Gattung Homo identifizieren.

Ein Unterkiefer, der schon 1980 in einer Höhle in Tibet gefunden wurde: eine neue Spur des erst vor neun Jahren entdeckten Denisova-Menschen.
Foto: Jean-Jacques Hublin, MPI-EVA

DNA-Analysen ergaben damals, dass sich der Träger dieses Fingerknochenstücks sowohl vom Homo sapiens als auch vom Neandertaler unterschieden hat. Es war also eine neue, aus dieser Zeit bisher unbekannte "Kreatur, die wir nicht auf unserem Radar hatten", sagte damals der Paläogenetiker Svante Pääbo vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig, dessen Team die Sequenzierung des Genoms durchführte. Der Denisova-Mensch war entdeckt, ein Urmensch, der an die dünne Höhenluft genetisch angepasst war.

Spurensuche in heutigen Populationen

Genetische Studien konnten zwar belegen, dass er nicht nur in Zentralasien, sondern auch in Südostasien zu Hause gewesen sein muss. Spuren von Denisova-DNA sind im Erbgut heute lebender asiatischer, australischer und melanesischer Bevölkerungsgruppen zu finden, was darauf hindeutet, dass diese Menschenform einst weit verbreitet gewesen sein könnte.

Weitere Fundorte blieben aber bisher aus. Das hat sich nun geändert: Ein Mönch hatte das Fossil, in dem noch zwei Backenzähne stecken, schon 1980 im Hochland von Tibet, in der Baishiya-Karst-Höhle in Xiahe, China, entdeckt. Der Fund gelangte über den sechsten lebenden Gungthang-Buddha an die Universität Lanzhou – und wurde nicht weiter beachtet. Lanzhou ist die Hauptstadt der Provinz Gansu im Norden der Volksrepublik.

Der Eingang der buddhistischen Höhle liegt im Südosten.
Foto: Dongju Zhang, Lanzhou University

Erst 2010 wurden zwei Wissenschafter dieser Uni, Fahu Chen und Dongju Zhang, wieder auf den Kiefer aufmerksam und untersuchten ihn, seit 2016 kooperierten sie dabei mit Forschern des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie. Die Wissenschafter konnten schließlich Eiweißstoffe aus den Backenzähnen filtern. Mit Proteinen aus Knochen lässt sich ein Stammbaum erstellen, Verwandtschaften können ermittelt werden. Das gelang auch hier. "Die Proteinanalyse hat ergeben, dass der Unterkiefer zu einer Population gehörte, die eng mit den Denisova-Menschen aus der Denisova-Höhle verwandt war", werden die Forscher in einer Pressaussendung der Max-Planck-Gesellschaft zitiert. Anhand einer Uran-Thorium-Datierung einer Kalkkruste auf dem Unterkiefer konnte das Team schließlich belegen, dass der Kiefer mindestens 160.000 Jahre alt ist, womit das Relikt aus der gleichen Zeit stammt wie die Funde aus der berühmten sibirischen Höhle.

Ältestes Fossil eines Homininen

Damit dürfte auch das älteste Fossil eines Homininen im tibetischen Hochland gefunden worden sein. Diese Menschen hatten sich an das Leben in dieser sauerstoffarmen Umgebung angepasst. Heute im Himalaja lebende Menschen tragen das EPAS1-Allel in ihrem Genom und können entgegen allen westlichen Tibet-Besuchern, die auf eine Seehöhe von 4.000 Metern und mehr meist mit Höhenkrankheit reagieren, dem deutlich geringeren Sauerstoffanteil der Luft standhalten.

Arbeiten in der Baishiya-Karst-Höhle in Xiahe.
Foto: Dongju Zhang, Lanzhou University

Da die Denisova-Höhle nur auf 700 Meter Seehöhe liegt, rätselten Forscher bisher, warum sie ein EPAS1-Allel nachweisen konnten. Nun scheint klar, dass die Anpassung an wirklich große Höhen im Mittleren Pleistozän im Himalaja-Plateau gelang – und zwar lange vor der Ankunft des Homo sapiens. (Peter Illetschko, 1.5.2019)