Bonn – Eines von 700 Neugeborenen kommt mit einer Lippen-Kiefer-Gaumenspalte zur Welt. Ursache ist eine Entwicklungsstörung in den ersten Wochen der Embryonalentwicklung. Dadurch verwachsen Teile des Gesichts oder Gaumens nicht wie vorgesehen miteinander.

Seit längerem ist bekannt, dass Mutationen des Gens TP63 besonders schwere Formen dieser Störung auslösen können. Die Betroffenen leiden nicht nur unter der Spaltenbildung im Gesichtsbereich, sondern gleichzeitig unter Fehlbildungen der Extremitäten und Erkrankungen im Haut-, Haar- und Zahnbereich. Mediziner sprechen bei einer solchen Kombination vieler Merkmale von einem Syndrom.

Ursprünglich wurde angenommen, dass TP63 nur bei der Entstehung dieser "syndromalen" Form der Lippen-Kiefer-Gaumenspalte eine Rolle spielt. "In den vergangenen zwei Jahren mehren sich jedoch die Hinweise darauf, dass das nicht stimmt", erklärt Kerstin Ludwig vom Institut für Humangenetik des Universitätsklinikums Bonn. "Wir konnten in unserer Arbeit nun erstmals zeigen, dass TP63 tatsächlich ein Bindeglied zwischen der syndromalen und der isolierten Form darstellt, und wie es in die Gesichtsentwicklung eingreift."

Den Knoten lockern

Den Wissenschaftern ist es gelungen, menschliche Zellen in Kultur zu Gesichtszellen zu "programmieren". Dadurch konnte das Team die Wirkung von TP63 auf genau diesen Zelltyp analysieren. Diese Daten wurden anschließend mit genetischen Daten großer Patientenkohorten verschnitten. "Wir konnten dabei zeigen, dass TP63 die Aktivität einer ganzen Reihe von Genen erhöht, die bei der Entstehung von isolierten Formen der Lippen-Kiefer-Gaumenspalten eine Rolle spielen", sagt Ludwig.

TP63 verändert die Struktur des Chromatins – so nennt man den Komplex aus DNA und verschiedenen Proteinen. Normalerweise bildet der Chromatin-Faden im Zellkern ein kompaktes Knäuel. Wenn TP63 sich an den Faden heftet, lockert sich das Knäuel an dieser Stelle aber etwas. Zusammen mit anderen Modifikationen kann das dazu führen, dass ein bestimmtes Gen in dieser Region verstärkt abgelesen wird.

Der vielfältige Einfluss von TP63

"Nach heutigem Kenntnisstand reguliert TP63 auf diese Weise mehrere Tausend Stellen in unserem Erbgut", erklärt Julia Welzenbach, Ko-Autorin der Studie. "Darunter sind 17, von denen man aufgrund großer genetischer Studien bereits weiß, dass sie an der Entstehung von Spalten beteiligt sind, sowie eine Vielzahl weiterer Regionen, deren Beteiligung bisher noch unbekannt war."

Die große Zahl der von TP63 aktivierten Regionen zeigt, wie wichtig TP63 beim Menschen ist. Wenn es durch eine Mutation in seiner Funktion stark beeinträchtigt wird, betrifft dieser Defekt daher in aller Regel eine Vielzahl von Organen. Das erklärt, warum TP63 ursprünglich nur mit der syndromalen Form der Lippen-Kiefer-Gaumenspalte in Verbindung gebracht wurde. "Bei der nicht-syndromalen Ausprägung ist seine Aktivität dagegen lediglich in sich entwickelnden Gesichtszellen gestört", erklärt Ludwig. (red, 5.5.2019)