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Wien – Die von der Regierung geschnürte Steuerreform wird das Wirtschaftswachstum in Österreich in den kommenden Jahren verstärken, birgt aber gleichzeitig die Gefahr, dass die absehbar leicht wachsenden Budgetüberschüsse vermindert werden – und im Extremfall gegen null gehen. Das sagt Wifo-Experte Josef Baumgartner zur neuen Mittelfristprognose des Wirtschaftsforschungsinstituts.

Die erst seit Dienstag bekannten Details der etappenweise kommenden Steuerreform konnte das Wifo nicht mehr berücksichtigen, in der Tendenz lässt sich aber einiges abschätzen. So ist ein relativ starker Konsumeffekt – und damit auch eine Konjunkturbelebung insgesamt – durch den "Sozialversicherungsbonus" anzunehmen, bei dem ab 2020 bei Niedrigeinkommen die Krankenversicherungsbeiträge geringer ausfallen sollen beziehungsweise zum Teil refundiert werden. Auch die für 2021 geplante Senkung der untersten Lohn- und Einkommensteuerstufe von 25 auf 20 Prozent habe unmittelbare Konsumwirkung, so Baumgartner.

Konsumeffekt Krankenversicherung

Beim Krankenversicherungsbonus sei der Konsumeffekt am stärksten, weil hier von jedem zusätzlichen Euro an verfügbarem Einkommen 80 Prozent noch im selben Jahr direkt ausgegeben würden. "Wenn der Krankenversicherungsbeitrag reduziert wird, erhöht das beim untersten Einkommensdrittel tendenziell die verfügbaren Einkommen", sagt der Wifo-Prognoseverantwortliche. Ab 2020 werde das BIP so etwas höher sein als bisher angenommen, wenn auch nur im Zehntelprozentbereich.

Durch die Tarifabsenkung von 25 auf 20 Prozent für Einkommensteile zwischen 11.000 und 18.000 Euro ab 2021 seien alle Steuerpflichtigen begünstigt. Auch hier sei mit einer "unmittelbaren Konsumwirkung" zu rechnen, weil das alles aufs verfügbare Haushaltseinkommen gehe. 2022 sollen dann die nächsten Stufen reduziert werden, von 35 auf 30 Prozent und von 42 auf 40 Prozent. "Da sollte sich in Summe und auch in jedem einzelnen Jahr jeweils ein positiver Konsumeffekt ergeben", ist Baumgartner überzeugt.

KÖSt-Senkung könnte Investitionen ankurbeln

Nicht so einfach sei der Konjunktureffekt bei der Absenkung der Körperschaftsteuer (KÖSt) zu prognostizieren, die für 2022 von 25 auf 23 Prozent geplant ist. Zunächst erhöhe das unmittelbar die Gewinne der KÖSt-Pflichtigen, in der Regel Kapitalgesellschaften (Aktiengesellschaften, GmbHs) und einige Genossenschaften. Dies seien meist große Unternehmen mit etwa zwei Drittel der Umsätze bzw. zwei Drittel der Beschäftigten. Die begünstigten Firmen könnten die höheren Gewinne investieren, "das hätte gesamtgesellschaftlich den größten Effekt, weil das zusätzliche Nachfrage nach Investitionsgütern auslösen würde". Von diesen Gütern werde zwar ein großer Teil importiert, es bliebe aber doch einiges an zusätzlicher inländischer Wertschöpfung.

Abhängig sei der Wille zu Investitionen auch von der Einschätzung, ob man die mit Investments ermöglichten zusätzlichen Produkte auch absetzen könne. Es gehe also um eine Einschätzung der wirtschaftlichen Entwicklung. Exporteure seien dabei obendrein von der internationalen Nachfrage abhängig. Möglich sei freilich auch, das die Begünstigten die Zusatzgewinne ausschütten: Das würde nur teils in den Konsum gehen und zudem versteuert werden müssen, der Fiskus erhielte auch was.

Dämpfer für Überschüsse

Dem Ziel der Regierung, dass die Budgetüberschüsse in den kommenden Jahren schrittweise anwachsen, wird die Steuerreform aber doch einen starken Dämpfer versetzen, glaubt man im Wifo. "Wir rechnen schon, dass das den Überschuss gegen null gehen lässt", sagt Baumgartner. An sich geht das Wifo in seiner neuen Mittelfristprognose für 2019 bis 2023 von einem schrittweisen Anstieg des Budgetüberschusses (laut Maastricht) von 0,4 bis 1,1 Prozent des BIP aus – allerdings ohne Steuerreform.

Der Wifo-Experte glaubt, dass der Überschuss "eher gegen null geht, als dass er in der Nähe der 1,1 Prozent bleibt". Es könnte sogar sein, dass im Zieljahr der Mittelfristprognose, 2023, statt einer Null "sogar ein leichtes Minus" steht. Denn der Einnahmenrückgang sei jedenfalls größer als die Gegenfinanzierungen.

Der Entfall der Krankenversicherungsbeiträge für Niedrigverdiener geht eins zu eins in den privaten Konsum, sagen Ökonomen.

Für die kommenden fünf Jahre (2019–2023) erwartet das Wifo ohne Berücksichtigung der Steuerreformeffekte ein etwas schwächeres Wirtschaftswachstum – weniger als voriges Jahr gedacht und auch weniger als im Zeitraum 2014 bis 2018. Weil auch Österreich die internationale Konjunkturabkühlung zu spüren bekommt, wird sich das Wachstum im Schnitt auf 1,6 Prozent pro Jahr abbremsen, bis 2018 waren es im Schnitt 1,8 Prozent.

"Die Steuerreform haben wir noch nicht einbeziehen können, weil wir sie im Detail noch nicht gekannt haben", sagt Baumgartner. Um sie zu berücksichtigen, müsste man sie erst mit einem Mikrosimulationsmodell und dann einer Makrosimulation durchrechnen, Dauer wohl zumindest eine Woche bis zehn Tage.

Wachstum schwächer, aber besser als in Eurozone

Die Wachstumseinschätzung für Österreich ist freilich besser als jene für den Euroraum – wegen der Entlastung der privaten Haushalte durch mehr familienpolitische Maßnahmen, wie sie schon bisher umgesetzt sind (Stichwort Familienbonus), betont das Wifo. Damit werde die wirtschaftliche Abkühlung im Land 2019 und 2020 abgemildert und dem internationalen Sog entgegengewirkt.

Der Beschäftigungszuwachs wird für Österreich – mit der etwas schwächeren BIP-Ausweitung – im Schnitt mit 1,2 Prozent pro Jahr erwartet (nach 1,5 Prozent p. a. 2014–2018). Bis inklusive 2021 rechnet das Wifo mit stabilen 7,3 Prozent Arbeitslosenquote. Ab 2021 werde das Arbeitskräfteangebot aber wieder stärker zunehmen als die sich konjunkturbedingt abschwächende Arbeitsnachfrage, sodass die Arbeitslosenquote bis Ende des Prognosezeitraums auf 7,5 Prozent steigt – mit wohl schlussendlich rund 320.000 Arbeitslosen im Zieljahr 2023, zuletzt waren es knapp 300.000.

"Peak" überschritten

Für die internationale Konjunktur erwartet das Wifo in der Mittelfristprognose "eine leichte Abkühlung, von der sich die österreichische Wirtschaft nicht gänzlich abkoppeln kann". Ihren Peak habe die Expansion der Weltwirtschaft 2018 erreicht. Aus den internationalen Rahmenbedingungen ergeben sich aus Wifo-Sicht "durchwegs Abwärtsrisiken für die vorliegende mittelfristige Prognose", wie die Autoren betonen. So würde sich eine Verschärfung des Handelskonflikts zwischen den USA und der EU mittelfristig auf beide Ökonomien negativ auswirken.

Vom Brexit werde "auch die Wirtschaftsentwicklung im übrigen Europa in Mitleidenschaft gezogen werden", wiewohl der Austritt aus der EU mittelfristig in erster Linie für die Wirtschaft des Vereinigten Königreichs selbst negative Effekte haben würde – abhängig vom dann umgesetzten Austrittsszenario.

Risiken für den Haushalt

Sollten die Abwärtsrisiken für die Weltwirtschaft eintreten, würde dies die in der Prognose unterstellten internationalen Bedingungen für Österreichs Exportwirtschaft verschlechtern und das Wirtschaftswachstum, den Beschäftigungs- und Einkommenszuwachs in Österreich schwächen.

Für die Mittelfristentwicklung der öffentlichen Haushalte Österreichs sieht das Wifo mehrere Risiken: Einerseits dürfte ein Brexit den Nettobeitrag zum EU-Budget erhöhen – andererseits seien die von der Regierung geplanten Maßnahmen der Einkommens- und Unternehmensbesteuerung in dieser Prognose nicht berücksichtigt. Das betrifft die geplante Reform der Lohn- und Einkommensteuertarife, aber auch eine Senkung des Körperschaftsteuersatzes.

Verbesserung ohne Steuerreform

Für den gesamtstaatlichen Finanzierungssaldo geht das Wifo – ohne Berücksichtigung der Steuerreform – von einer stetigen Verbesserung aus, also von einem schrittweise anwachsenden Überschuss, wie das auch die Regierung plant. 2019 soll dieser Überschuss 0,4 Prozent des BIP ausmachen, 2023 dann 1,1 Prozent. Dieses stetige Verbesserung ergibt sich daraus, dass das durchschnittlich erwartete Ausgabenwachstum von 2,5 Prozent pro Jahr schwächer ausfällt als das prognostizierte Einnahmenwachstum von 3,0 Prozent pro Jahr im Zeitraum 2019–2023.

Insgesamt ergibt sich in der Projektion (ohne Berücksichtigung der Steuerreform) ein mäßiger Rückgang der Staatseinnahmenquote von 48,5 Prozent des BIP im Jahr 2018 auf 47,5 Prozent im Jahr 2023. Etwas höher als in der letzten Mittelfristprognose des Wifo von Oktober ist die Quote deshalb, weil ein langsameres nominelles BIP-Wachstum angenommen ist. Die Ausgabenquote soll von 42,1 Prozent 2018 leicht bis auf 41,6 Prozent 2023 zurückgehen – und läge damit ohne Steuerreform 1,6 Prozentpunkte über dem finanzpolitischen Zielwert von 40 Prozent des BIP. (APA, red, 2.5.2019)