Das Zuhause von Abiye Oluwatoyin Shodele wurde von den Behörden zerstört. Im Hintergrund ist ihr letztes Hab und Gut auf vier Holzpaletten zu sehen.

Foto: Gänsler

Bimbo Osobe ist etwas außer Atem. Die Frau mit dem knallroten T-Shirt kommt zu spät am Autobahnkreuz von Badia East an, dem vereinbarten Treffpunkt. Je näher sie kommt, desto mehr verfinstert sich ihr Gesicht. Nur wenige Minuten von hier hat sie bis 2013 gewohnt, dann wurde sie vertrieben. Sie ist eine von Tausenden in der Megacity Lagos, die zwischen 21 und 22 Millionen Einwohner hat und wo Wohnraum zu kostbarem und unbezahlbarem Gut geworden ist. Heute spricht sie mit Politikern, Menschenrechtsorganisationen und Journalisten über ihre Erfahrungen und kämpft so gegen Zwangsräumungen.

Langsam geht Bimbo Osobe von den verstopften Schnellstraßen weg und folgt einem längst stillgelegten Gleis. Wenn jemand sie erkennt und mir ihr sprechen will, bleibt sie stehen. Abiye Oluwatoyin Shodele gehört dazu. Die Frau in dem gemusterten Kleid und mit dem grauen Haar zeigt auf vier Holzpaletten, auf denen sie ihren letzten Besitz aufgebaut hat. Wenn die Regenzeit beginnt, weiß die Getränkehändlerin nicht, wie sie die beiden Kühltruhen und die letzten Kleider schützen soll.

"Sie haben mir nichts gegeben. Wir müssen draußen schlafen. Meine Kinder haben nicht einmal mehr Dokumente und können nirgendwohin gehen", sagt sie wütend. Mit sie meint sie die Regierung des nigerianischen Bundesstaates Lagos, die seit Jahren mutmaßlich informelle Siedlungen mit Bulldozern niederwalzen lässt. Eine Entschädigung habe sie dafür bisher nicht erhalten. Stattdessen zeigt sie mit ihrem Finger auf die Wade. "Sie haben mich sogar angeschossen und Tränengas eingesetzt." Das war im Dezember 2018, bisher der letzte Versuch, die noch rund 15.000 Einwohner zu verjagen.

Nur mündliche Zusagen

Bis zur ersten Vertreibungswelle 2013 lebten in Badia East gut 30.000 Menschen. Amnesty International dokumentierte damals, dass mindestens 266 Häuser dem Erdboden gleichgemacht wurden. Immer im Abstand von zwei Jahren kamen die Bulldozer wieder. Dabei wurde den Bewohnern das Land 1973 zugewiesen, als wenige Kilometer weiter nordöstlich das National Theatre entstand und sie von dort wegmussten. Generell sind Besitzverhältnisse häufig nicht schriftlich festgehalten. Anstelle von Dokumenten gibt es nur mündliche Zusagen, die in Streitfällen wertlos werden können.

Die Landesregierung von Lagos schätzte 2017, dass täglich 6000 Menschen in die Stadt drängen. In Lagos gehören gut zwei Drittel der armen Bevölkerung – den Urban Poor – an. Sie wohnen in Siedlungen wie Badia East und arbeiten oft im informellen Sektor, in dem 57 Prozent der Erwachsenen ihr Einkommen verdienen. Viele schlagen sich täglich aufs Neue als Straßenverkäufer, Wächter oder Autowäscher durch und haben keinerlei Sicherheiten. Schon eine Malaria-Erkrankung kann den vorläufigen Ruin bedeuten.

Bimbo Osobe bleibt vor dem kleinen Friseursalon stehen. Da der Generator brummt, muss sie laut sprechen. Eine Infrastruktur wie Stromleitungen, Wasseranschlüsse oder eine Müllabfuhr gibt es nicht. Sie zeigt auf die Autobahn, die zum Hafen nach Apapa führt. "Von hier aus ist alles gut erreichbar", sagt sie.

Begehrtes Viertel

Weiter östlich führt eine Straße zu den Inseln Lagos Island und Victoria Island, den teuersten Wohnvierteln und dem Geschäftszentrum. Aber auch der Flughafen in Ikeja ist gut erreichbar, weshalb Badia East zu einem der letzten Filetstücke geworden ist, mit denen sich gutes Geld verdienen lässt. Das Problem ist schließlich auch der chaotische Transport: Wer nicht nahe den Inseln wohnt, verbringt täglich viele Stunden im Stau. Einen funktionierenden Nahverkehr gibt es nicht.

Auf Lagos Island hat die Architektin Olayinka Dosekun ihr Büro. Seit sie vor zweieinhalb Jahren aus London zurück nach Lagos kam, arbeitet sie auch an Konzepten zu finanzierbarem Wohnraum. "Die Regierung muss akzeptieren, dass Wohnraum ein Grundrecht ist", sagt Olayinka Dosekun. Anstatt Menschen zu vertreiben, müsse in sozialen Wohnungsbau investiert und Marktanreize geschaffen werden. "Das kann über gesenkte Steuern für Baumaterial oder die Besteuerung von nicht genutztem Land geschehen."

Unleistbare Wohnungen

Brach liegen soll Badia East, glaubt man einem der Schilder, künftig aber nicht. Entstehen soll ein Verkaufszentrum für Arzneimittel. Dicht am Autobahnkreuz liegt bereits ein halbfertiger Mietblock, der von einem Polizisten bewacht wird. Emmanuel Oladele Ojuri, der Sprecher der verbliebenen Bewohner, wird ärgerlich, wenn er nur daran denkt: "Sie haben uns ein Vorkaufsrecht zugesagt. Die Wohnungen kosten aber 30 Millionen Naira, rund 73.000 Euro. Kann das irgendjemand bezahlen?"

In Nigeria ist der Mindestlohn gerade auf 30.000 Naira erhöht worden. Köche, Fahrer und Putzfrauen verdienen in Lagos oft zwischen 40.000 und 50.000 Naira. 30 Millionen Naira, dafür braucht man keinen Taschenrechner, ist weit weg von allem, was für sie in ihrem Leben möglich ist. (Katrin Gänsler aus Lagos, 3.5.2019)