Fünf auf einen Streich – Sophie Reyer: "Schreiben ist Schreien. Klingen. Sprache muss singen."

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Sophie Reyer, "Queen of the Biomacht, ehrlich". € 13,- / 96 Seiten. Limbus, 2019

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Sophie Reyer, "Die Freiheit der Fische". € 20,- / 160 Seiten. Czernin, 2019

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Sophie Reyer, "Veza Canetti. Eine Biographie". € 17,80 / 150 Seiten. Königshausen & Neumann, Würzburg 2019

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Sophie Reyer, Petra Ganglbauer, "P.ROSA. Textpartitur". € 16,- / 98 Seiten. Klever, Wien 2019

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Mit dem bloßen Auge sind sie kaum zu erkennen: neugeborene Seepferdchen. Wenig später nehmen sie die aparte Form eines Schnörkels an, ein Würmchen mit Pferdekopf. Sie haben ihren Platz in der antiken Mythologie und in Bilderbüchern und sind als Frühschwimmerabzeichen bekannt.

Winzige papierne Exemplare treiben aktuell auch durch die Gedichte von Sophie Reyer. Grazil, dünnhäutig, aber auch widerborstig, wie sie sind, werden sie fruchtbar gemacht in zwei Texten des aufregenden Bandes Queen of the Biomacht, ehrlich. Sie stehen für die Fragilität des Lebens, der Träume und der Liebe. Ein bisschen Seepferdchen muss auch in Sophie Reyer stecken, einer außergewöhnlichen Künstlerin und Autorin, bei der laut Selbstaussage die Grenzen verschwimmen.

Alles nur Lyrik

Wie fluide es zugeht, davon kann man sich ein eindrucksvolles Bild in diesem Bücherfrühjahr machen. Es erscheinen mit obigem Band insgesamt fünf Bücher von Reyer in fünf verschiedenen Verlagen. Keine Frage, die Zahl ist rekordverdächtig. Die Gleichzeitigkeit sei vor allem Glück. Nun sitzt sie da zwischen ihren Türmen an Büchern: Nach vielen Absagen habe auf einmal alles funktioniert, sagt Reyer bescheiden. Und wenn man vom Schreiben lebe, gehe es auch um die Notwendigkeit einer hohen Produktivität, der man bestenfalls die Mühe nicht ansehe.

Geboren 1984 in Wien, wo Sophie Reyer auch lebt, über den Dächern der Stadt, trat sie erstmals 2005 mit Gedichten in Erscheinung. Es folgten mehrere Romane, Theater- und Filmarbeiten, Hörspiele und immer wieder Gedichte, stets abseits von Trends. "In Wahrheit ist eh alles nur Lyrik, was ich mache, letzten Endes bin ich Lyrikerin", bekennt sie. 2017 erlangte sie den Doktor der Philosophie am Institut für Sprachkunst der Universität für angewandte Kunst Wien, als Erste überhaupt.

Wie geht das nun mit dem vielen Schreiben? Parallel. Sonst würde sie sich zu sehr in ein Projekt verbeißen. Beim Roman interessierten freilich mehr Handlung und Figuren, in der Lyrik Sprache und Form, experimenteller und "formal freier" geht es in der Verbindung von Wissenschaft und Kunst zu – einem für die Autorin von den Surrealisten und Dadaisten geprägten Ansatz. "Wenn man den Roman revolutionieren will, muss man ihn von innen heraus aufbrechen", sagt sie.

Prall alle. Palle. Rar. Parle. Para. Laller

Das Wort "parallel" ist auch der Quell für Reyers Fasziniertsein von Sprache, ihrem Sound. Sie hörte es in frühen Kindertagen, "wiederholte es stundenlang": "Par. All. Lalla. Rap. Parallel. Prall alle. Palle. Rar. Parle. Para. Laller." Heute drückt sie ihre Poetik so aus: "Schreiben ist Schreien. Klingen. Sprache muss singen. Für ein menschlicheres Miteinander jenseits vorgegebener Dichotomien und Zuschreibungen, in denen Sprache nur Bedeutungen erzeugt und Effizienz steigert." Beeinflusst wurde sie auch von den erfundenen Märchen ihres Vaters, in der Jugend folgten "Initiationen" durch die Lektüren von Celan und Jelinek.

Als ausgebildete Komponistin "hört" Reyer ihre Texte, umgekehrt "müssen sie tönen". Von "Klangfeldern" kam sie zur Beschäftigung mit "Textfeldern". Was sie schreibt, sind Partituren. Souverän bedient sie in den vorliegenden Büchern mehrere Genres, wiederholen sich Wortfelder, Motive und Themen, denen sie sich auf spielerisch leichte wie hochreflektierte, aber auch kühne Weise nähert. Neben Seepferdchen ist sie von so allerhand angetan: Fischen, Schnee, Steinen, Wurzeln, Ponys aus Plastik.

Der Gedichtband P.ROSA, gemeinsam mit der für ihre "Energie und Kraft" bewunderten Lyrikerin Petra Ganglbauer, versteht sich als Pingpong zweier Dichterinnen ("ELFCHEN, DU! Du Sprachfinderin, du!") bei gleichzeitigem Auflösen der Einzelstimmen. Die Biografie Veza Canetti hat sich Reyers "Urneugierde" auf eine rätselhafte und starke Autorin zu verdanken. Herausgekommen ist eine echte "Detektivgeschichte".

Im Roman Die Freiheit der Fische geht es um die Naherfahrung von Natur und das Ringen um Worte. Wie kann ein menschliches Leben zur Sprache gebracht werden, das unverstanden ist, weil es anders ist, ohne es als krank zu brandmarken? Jakob ist Autist, ein Junge "ohne Ränder", der nur "A" machen kann. Halt geben ihm Strukturen und Wiederholungen. Instinktiv spürt er, wer und was ihm schadet: der Vater, die Dorfschule, die Klinik. Aber vor allem spürt er, wer ihm guttut, nämlich Schwester und Mutter, und was – und er tritt einen radikalen Rückzug an in die für ihn lesbare Natur. Im rituellen Einklang mit dem ewigen Wandel der Jahreszeiten wird er dort über mehrere Jahrzehnte leben. Es flüstern die Bäume ihm, nähern sich angstfrei die Fische im Fluss.

Natur in all ihrer Güte und Grausamkeit

Reyer schildert Natur in all ihrer Güte und Grausamkeit. Das Leben dort sei ihre Idealvorstellung. Wir lebten schon so weit entfernt von ihr, dass Jakob als empfindsames Subjekt da draußen "Hoffnung" für sie bedeute. Von Nature-Writing habe sie erst später gehört. Eben, unser aller Sehnsucht nach Natur ist groß, auch nach Bäumen.

Denen ist gleich ein ganzes Buch gewidmet: BioMachtBäume. Sie stehen als "Substanzträger des Lebens" im Mittelpunkt von Betrachtungen, angefangen beim Schöpfungsmythos der Maya über die Edda, galoppierend bis ins Heute. Es ist das dezidiert politischste von allen. Dass hier der einäugige Odin an seiner Esche hängt, wie im Roman der halbblinde Jakob, ist nur ein Beispiel vervielfältigter Motive in der Reyer'schen Dichtkunst. Wie auch teils in ihrem Gedichtband setzt sie sich in BioMachtBäume mit der Biomacht im theoretischen Sinne Foucaults auseinander, entstaubt ihn für die Gegenwart und fragt etwa, welche Möglichkeiten des Widerstands wir gegenüber "biotechnologischen Machtstrukturen" haben. Was verlieren wir bei unseren permanenten Akten der Selbstoptimierung? Definitiv unsere "Menschlichkeit und Verletzlichkeit". Für Gegenwehr brauche es die Kraft der Poesie: "Anhalten, hinhören, aufbrechen." Sophie Reyers Utopie lautet: "Bäume an die Macht." (Senta Wagner, 5.5.2019)