In dieser Ausgabe des Familienrats antworten Katharina Weiner vom Jesper-Juul-Familylab in Österreich und der Buchautor, Psychiater und Psychoanalytiker Hans-Otto Thomashoff auf die Frage einer Leserin.

Frage:

"Mein Sohn ist gerade drei Jahre alt geworden, kann schon sehr gut sprechen und weiß auch sehr genau, was er will. Da er eine ältere Schwester hat, darf er auch regelmäßig Süßigkeiten essen. Wir haben dafür fixe Regeln, die unsere größere Tochter (7 Jahre alt) auch gut akzeptiert: keine Süßigkeiten vor dem Mittagessen. Am Nachmittag vorher oder danach etwas Obst essen.

Die Verlockung ist oft viel zu groß.
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Manchmal fängt der Dreijährige schon in der Früh damit an, dass er etwas Süßes essen will, und ist sehr schwer davon abzubringen: Er will sich immer wieder etwas holen (wir sind der Meinung, dass es keine Lösung ist, alles in unerreichbare Höhe wegzuräumen) und akzeptiert kein Nein. Manchmal sehe ich sogar ein leeres Schokopapier am Boden liegen. Wie sollen wir damit umgehen?"

Antwort von Hans-Otto Thomashoff:

Das Problem besteht darin, dass Sie von Ihrem Dreijährigen die gleiche Impulskontrolle verlangen wie von Ihrer Siebenjährigen. Doch die kann er noch gar nicht haben, weil sein Gehirn noch gar nicht so weit entwickelt ist. Wir erinnern uns an den Marshmallow-Test (siehe: "Soll man Kinder belohnen?"). Erst mit vier Jahren sind Kinder alt genug, um auf eine Verlockung zu verzichten, wenn ihnen dafür eine Belohnung in Aussicht gestellt wird. Sofern sie das gelernt haben. Und das braucht seine Zeit. Der Kleine ist mit seinen drei Jahren einfach trotz seiner Intelligenz noch zu jung, um seine Bedürfnisse aufschieben und sich verlässlich an fremde Regeln halten zu können. Da ist es notwendig, dass Sie ihm die Verantwortung dafür abnehmen. Also sollten Sie die Süßigkeiten außerhalb seiner Reichweite aufbewahren.

Das ist dann eine der Regeln, die bei Ihnen zu Hause gelten. Denn auch die Regeln für den sozialen Umgang miteinander müssen Kinder erst lernen. Und das beginnt in der Familie. Welche Regeln gelten dort? Festlegen müssen das die Eltern. Das ist ganz legitim und richtig, und es ist Aufgabe der Kinder, sich an diese Regeln zu halten. So wie Ihre größere Tochter das ja auch schon kann.

Wenn sich der Kleine nun auch an diese Regeln halten muss, können Sie als Eltern nicht erwarten, dass er das mit Begeisterung, Freude oder auch Verständnis tun wird. Vielmehr wird er frustriert und entsprechend wütend sein. Doch das darf er auch. Schließlich muss er auch lernen, dass Wut ein Teil seines Charakters ist und sein darf! Und wie er mit elterlicher Anleitung lernt, mit seiner Wut umzugehen. (Hans-Otto Thomashoff, 5.5.2019)

Hans-Otto Thomashoff ist Psychiater, Psychoanalytiker, zweifacher Vater und Autor. Zuletzt veröffentlichte Bücher: "Das gelungene Ich" (2017) und "Damit aus kleinen Ärschen keine großen werden" (2018).
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Antwort von Katharina Weiner:

Betrachten Sie den Widerstand Ihres Sohnes als Einladung, Ihr eigenes Ja zu sich selbst in den unterschiedlichsten Situationen zu beobachten sowie Ihre Neins zu überprüfen, ob diese mit einem guten und liebevollen Gewissen ausgesprochen werden. Neins können aus einer Tradition entstehen oder dem allgemein als sinnvoll befundenen Zweck dienen. Persönliche Rückmeldungen hingegen beeindrucken, wohl auch oftmals unter Protest, viel mehr und unterstützen die gegenseitige Entwicklung.

Kinder möchten mit ihren Eltern und Erwachsenen kooperieren und nicht mit Regeln – schon gar nicht mit dem berühmt-berüchtigten "man" oder "wir". Es ist wichtig, dass Kinder Nein zu unseren Regeln, Ansichten et cetera sagen dürfen. Was nicht bedeutet, dass Sie ihr Nein in ein Ja umwandeln, sondern sich in einen Prozess wagen, um sich gegenseitig besser kennenzulernen. Vielleicht braucht Ihr Sohn etwas mehr an Information, Orientierung oder auch Klarheit als eine Schwester, um leichter mit den in Ihrer Familie geltenden Rahmenbedingungen umgehen zu können.

Folgende Überlegungen können dabei hilfreich sein: Was genau ist Ihre Wahrheit zu Ihrem Beispiel der Süßigkeiten? Ist der Widerstand gegen Ihre Süßigkeitenregel tatsächlich gegen die Regel an sich gerichtet, oder verbirgt sich dahinter ein anderes Bedürfnis Ihres Sohnes?

Je früher wir als Eltern uns auf Beziehungsprozesse einlassen, umso geübter sowie besser vorbereitet sind wir für die nächstgrößeren Herausforderungen. (Katharina Weiner, 5.5.2019)

Katharina Weiner ist Familienberaterin sowie Coachin und arbeitet als Trainerin in der Elternbildung. Die Mutter einer Tochter leitet das Jesper-Juul-Familylab in Österreich.
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