Im Gasthaus sitzen die Leute selten allein. Dabei wird natürlich auch politisiert.

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Theorie und Praxis haben es an sich, dass sie nicht immer zusammenpassen. Zum Beispiel findet Christian, ein Mann in mittleren Jahren, dass in seinem Bezirk Favoriten zu viele Ausländer sind. Andererseits schneidet der türkische Frisör ziemlich billig und gar nicht schlecht die Haare. Christian geht also aus praktischen Gründen zu einem Dienstleister, den er theoretisch ablehnt – von dem Detail, dass der junge Mann österreichischer Staatsbürger ist, einmal abgesehen.

Christian ist einer der drei Hauptdarsteller in Ulli Gladiks Dokumentarfilm Inland. Er stellt sich selbst dar: einen Bürger der Stadt Wien, der bei der letzten Nationalratswahl das Kreuzerl bei den Freiheitlichen gemacht hat. Bei so einer politischen Entscheidung fallen Theorie und Praxis immer zusammen und ergeben eine Stimme. Die FPÖ hat ausreichend Stimmen bekommen, um nun in der Regierung zu sein.

Ulli Gladik wollte wissen, was das für Menschen sind, die eine Partei wählen, die – sagen wir es einmal möglichst neutral – von Polarisierungen lebt. Sie fand Christian, Alexander, Gitti und noch ein paar andere, denn in dem Gasthaus, wo Gitti arbeitet, sitzen die Leute selten allein, und das Mitreden ist auch schon eine Form von Politik.

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Christian und Alexander hingegen sind eher Einzelgänger. Alexander hat zeitweilig eine Freundin, sogar eine Wählerin der Grünen, die Beziehung hält aber nicht. Und das ist beileibe nicht das einzige Problem von Alexander, dem es später aber auch wieder bessergeht. Der österreichische Sozialstaat sorgt dafür, dass er therapeutische Hilfe bekommt.

Es passt ihnen was nicht

Alexander hat einmal ein Bild auf dem Schirm, auf dem ein Boot mit Menschen zu sehen ist, die wohl nach Europa wollen. Darüber steht: "Wo ist der weiße Hai, wenn man ihn braucht?" Es ist sicher nicht verkehrt, hier ein Motiv für Ulli Gladiks Interesse zu sehen. Sie will wissen: Was sind das für Menschen, die – wie die FPÖ und inzwischen auch die ÖVP – überall "die Ausländer" als das grundlegende Problem sehen? Sie findet, wie nicht anders zu erwarten, vielschichtige Menschen, die aber etwas gemeinsam haben: es passt ihnen etwas nicht. Häufig dreht sich der politische Streit darum, ob einem nicht besser etwas anderes nicht passen sollte – zum Beispiel die Erderwärmung statt der türkischen Frisöre.

Ulli Gladik versucht gelegentlich, das Gespräch auf solche Problemkonkurrenzen zu bringen, aber sie bekommt dann von Gitti eine naheliegende Antwort: Das ist ihr zu hoch. Sie kann nur von den Erfahrungen in ihrer Welt ausgehen. Inland ist für Menschen, die die Weltsicht von Christian, Alexander, Gitti und Co nicht teilen, eine Übung in Geduld. Man kann hier nicht so sehr lernen, mit Rechten zu reden, wie es eine didaktische Aufklärung entweder für angebracht oder für verkehrt hält.

Gegen Rechthaberei

Man hört hier einfach einmal Menschen reden, die der politischen Rechten angehören, die auch Ressentiments äußern und die sich in Widersprüche verstricken. Ulli Gladik kennt dabei genau den Unterschied zwischen Dreinreden und Einwenden. Sie redet nicht drein, wendet aber manchmal etwas ein. Ihr ganzer Film ist im Übrigen ein sehr kluger Einwand gegen Rechthaberei auf beiden Seiten dieser politischen Konstellation.

In Menschen wie Christian spiegelt sich eine allen Menschen eigene Gebrochenheit, die keine Politik heilen kann. Dass die FPÖ das Gegenteil behauptet, wäre die erste Lüge, gegen die man mit diesem Film anfangen könnte theoretisch und praktisch zu argumentieren. (Bert Rebhandl, 3.5.2019)