Die politische Leitlinie, dass Österreich kein Einwanderungsland sei, macht es Migranten schwer, hier ansässig zu werden. Als Sprungbrett für radikale Populisten hingegen sei es ideal, so Rüdiger Wischenbart. Im Gastkommentar unterzieht der Journalist und Autor Migration und Tradition einem Reality-Check.

Als Anfang der 1980er-Jahre gut 30.000 polnische Flüchtlinge nach Österreich strömten, hörte ich immer wieder diesen Satz: Diese Polen seien viel zu katholisch, die ließen sich nicht in die österreichische Gesellschaft integrieren. Die etwas seltsame Argumentation erlebte ich hautnah als Zivildiener 1983/84 im Flüchtlingslager in Traiskirchen. Das Ziel österreichischer Politik war dann auch, diese Polen nur rasch wieder loszuwerden, denn Österreich dürfe kein Einwanderungsland werden. Die Gutausgebildeten und Zielstrebigen bekamen dann auch rasch Einwanderungsvisa nach Kanada oder Australien.

Illustration: Felix Grütsch

Tradition des Hindreschens

Kein Einwanderungsland! Das war bereits politische Leitlinie, als ab den 1970er-Jahren sogenannte Gastarbeiter – also Arbeitsmigranten – aus Jugoslawien und der Türkei aktiv angeworben wurden, um die boomende heimische Wirtschaft mit anzuschieben.

Dementsprechend schwer wurde es diesen Migranten gemacht, ansässig zu werden. Deutlich weniger als in Deutschland schafften es in der Folge, sich selbstständig zu machen. Attila Dogudans Do & Co ist eine rare Ausnahme. Und bis in die dritte Generation gelingt "Gastarbeiter"-Kindern bei uns kaum jemals eine Karriere in Medien und Kultur. Comedystars wie Kaya Yanar oder Filmleute wie Fatih Akin (Gegen die Wand, Goldener Bär auf der Berlinale 2004) oder Sibel Kekilli (Game of Thrones, Tatort) gibt es in Österreich kaum. Die Tradition des Hindreschens auf Migranten hat ihren gesellschaftlichen Preis.

Sprungbrett für Radikale

Als Sprungbrett für radikale Populisten funktioniert das Thema indessen perfekt, seit mehr als 100 Jahren. In den 1980er-Jahren etwa wurde Österreich spürbar moderner und weltoffener. Der Fall des Eisernen Vorhangs 1989 beschleunigte den Prozess, und Österreich bewarb sich um die Mitgliedschaft in der Europäischen Union.

Jörg Haider erkannte sofort: Hier lag das Ticket für seinen Aufstieg. Bei der von ihm 1993 angezettelten Volksabstimmung "Österreich zuerst" lautete die oberste Forderung: "Österreich darf kein Einwanderungsland werden". Damit machte er die Angst vor den Fremden zum heiligen Gral, den seine Partei seither vor sich herträgt, und über den sie extern wie auch intern ihre Hackordnung festlegt.

Hang zur Symbolpolitik

Haider trat damit, vielleicht nicht einmal bewusst, in die ebenso tiefen wie alten Fußstapfen des Georg von Schönerer (1842–1921), der schon im 19. Jahrhundert massenwirksam, lautstark und mit furiosem Hang zur Symbolpolitik – seine blaue Kornblume ist bis heute Wahrzeichen der blauen Bewegung – die Ausgrenzung der "Anderen" zur Erkennungsmarke und zum Dynamo seiner Politik machte.

Schönerer war nicht nur deutschnational, Antisemit und ein Aktionist gegen Pressefreiheit und Medien. Insbesondere in der sogenannten Nationalitätenfrage, welche die Monarchie zunehmend zerrissen hatte, lief Schönerer zur Hochform auf. Als in Böhmen und Mähren – die ja zu Österreich gehörten – Beamte neben deutschen auch noch tschechische Sprachkenntnisse nachweisen sollten, legte Schönerer monatelang den Reichsrat lahm. Die heutige Kopftuchdebatte lässt grüßen.

Die Unerwünschten

"Tradition schlägt Migration", das unlängst vom Ring Freiheitlicher Jugend verwendete Plakatmotto mit der Gegenüberstellung eines grünen Steirer-Dirndls und Jankerls mit Migranten samt der Drohung, wonach die "Fremden" demnächst den Osterhasen aus den steirischen Kindergärten verbannen würden, baut auf diese hundertjährige Kontinuität in der Identitätspolitik auf.

Bereits 1945 war "Wir gegen die anderen" schon so selbstverständlich, dass auch die sudetendeutschen Vertriebenen aus Böhmen und Mähren keineswegs bereitwillige Aufnahme in Österreich fanden. Auch diese Flüchtlinge waren "oft unwillkommene Eindringlinge mit fremdem Dialekt, Konkurrenten um das Wenige im zerbombten Land, 'Polacken' oder 'Rucksackdeutsche'", wie 2015 in der Süddeutschen Zeitung zu lesen war. Meine Mutter gehörte zu diesen Unerwünschten ebenso wie Heinz-Christian Straches Vater.

Komplizierte Umbrüche

Um einen "Bevölkerungsaustausch", den Strache heute herbeifantasiert, ging und geht es in keiner einzigen der hier in Stichworten angerissenen Migrationsbewegungen. Schon gar nicht bei der jüngsten Flüchtlingswelle von 2015. Die Triebkräfte sind vielmehr komplizierte Umbrüche, hervorgerufen durch politische Bewegungen wie den Nationalitätenstreit in der Monarchie oder die Weltmachtkonkurrenz und die daraus resultierende Neuordnung im Nahen Osten heute, jeweils verstärkt durch den Transformationshebel neuer Technologien. Im 19. Jahrhundert waren dies Dampfkraft und Elektrizität, Eisenbahn und Telegraf, die zu breiten Abwanderungen aus den Schtetln und fernen Landkreisen im Süden und Osten führten, hin zu von den "Ziegel-Böhmen" gebauten neuen Metropolen wie Wien. Heute lautet die große Überschrift knapp "Globalisierung plus Internet".

Dies zu bewältigen erfordert mehr als lautes Rabaukentum. Eine "Versachlichung der Diskurse über Geflüchtete" verlangte etwa der Migrationsforscher Heinz Faßmann noch 2016 in seinem Projekt Loslassen – durchstehen – ankommen an der Akademie der Wissenschaften. Man müsse "Integration als gesellschaftspolitisches Thema" nämlich "sachlich fundiert" diskutieren, sekundierte Sebastian Kurz, 2016 noch Integrationsminister, der später als Kanzler Faßmann in sein Regierungsteam holte.

Ich versuche mir vorzustellen, wie heute diese beiden, Faßmann und Kurz, im Ministerrat – wo alle Entscheidungen einstimmig gefällt werden – Woche um Woche den Vorschlägen ihrer Regierungspartner von der FPÖ zuhören und dann auch zustimmen. Einen kleinen Geschmack der Stimmungslage bekam, wer Harald Vilimsky im Fernsehinterview lauschte, als dieser gegen seinen ÖVP-Konkurrenten bei den Europawahlen, Othmar Karas, herzog.

Angst schüren

Vilimsky ist als Parlamentarier und Generalsekretär ein direkter Nachfahre im Geiste des Georg von Schönerer. Sein Parteichef Strache schürt derweil mit Unsinnsslogans wie dem "Bevölkerungstausch" – ehemals "Umvolkung" genannt – im Bierzelt die Angst, die er ironischerweise auch noch im Namen trägt. Denn nichts anderes bedeutet im Tschechischen "strach". Zurück auf der Regierungsbank gibt er den Vizekanzler, und gemeinsam mit dem "Regierungspartner", mit Faßmann und Kurz und den anderen, wird auf dieser Grundlage Asyl-, Migrations- und Zukunftspolitik für Österreich gemacht.

Bild nicht mehr verfügbar.

FPÖ-Feindbild im Europawahlkampf: "EU-Asylchaoten".
Foto: REUTERS/Leonhard Foeger

Die "Asylchaoten" – wie die FPÖ ihre Feindbilder neuerdings auf Plakaten attackiert –, die sitzen wohl eher nicht in der EU, sondern in Parteizentralen und auf der Regierungsbank in Wien, und knüpfen an eine Tradition an, die in über hundert Jahren nur wenig Gutes für das Land erbracht hat. (Rüdiger Wischenbart, 3.5.2019)