Leonid Breschnew fehlt noch. Aber vom sowjetischen Langzeit-KP-Chef abgesehen, ist die Liste langgedienter Kommunistenführer fast verbraucht, in deren Nähe die SPÖ in den vergangenen Tagen gerückt wurde. Am Dienstag versuchte Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) die Aufmerksamkeit vom "Rattengedicht" aus den Reihen seines freiheitlichen Koalitionspartners abzulenken, indem er dieses in der ZiB 2 mit der angeblichen SPÖ-Affinität zu "Lenin, der ein Massenmörder ist", verglich. Beides widere ihn an.

Stalin, Hitler, Mao und Faschistenchef Mussolini – sie alle feierten schon Gastspiele in Österreichs Politik.
Foto: Weltquartett/Hamburg

Es sollte eine Anspielung auf ein Instagram-Posting der Sozialistischen Jugend Wiener Neustadt sein, die am 22. April dazu aufgerufen hatte, den 149. Geburtstag des sowjetischen Exdiktators und Revolutionärs zu begehen. Tags darauf, zum 1. Mai, twitterte Kurz über Transparente der "stalinistischen" PKK, die beim Aufmarsch der Sozialdemokraten auf dem Wiener Rathausplatz gezeigt worden seien. Die FPÖ sekundierte dem Kanzler wenig später via Presseaussendungen: Die SPÖ stecke "tief im Linksextremismus-Sumpf".

Die Behauptung, verbotene Symbole der Untergrundarmee, die die EU als Terrorgruppe einstuft, wären beim Maiaufmarsch gezeigt worden, dementierte die Wiener Polizei. Sympathisanten der Gruppe waren aber – wie jedes Jahr – durchaus dabei. Die SPÖ selbst besteht darauf, dass man sich stets vom Kommunismus und der Sowjetunion distanziert habe – aus freien Stücken, besonders, als diese Besatzungsmacht in Österreich war und auch, als "die Sowjets" noch mächtig waren. Ausnahmen wie den Kuss des Moskauer Bodens durch den damaligen Vizechef der Sozialistischen Junginternationalen, Alfred Gusenbauer, 1983 ausgenommen. Aber er will es ja ironisch gemeint haben.

Mao-T-Shirts gegen Rommel-Socken

Geht es also um Ablenkung im EU-Wahlkampf, dann bliebe noch eine Frage: Funktioniert die Strategie? Antwort: gut möglich. Denn die Debatte greift ein Klischee auf, das weitverbreitet ist. Jenes, dass Geschichtspolitik im vermeintlichen Mainstream oft ideologisch geprägt sei. Wie, fragen viele, könne es sein, dass Mao-Tse-tung-T-Shirts als hipsterfreundliches Humorprodukt durchgehen und Touristen von Berlin bis Prag Kitschsouvenirs mit Hammer-und-Sichel-Emblemen heimschleppen, ohne sich für Nähe zu kommunistischen Diktaturen rechtfertigen zu müssen. Mit Erwin-Rommel-Socken und Hakenkreuz-Brieföffnern ginge Ähnliches nicht im Traum. Kurz gesagt: Gibt es da einen DoppelStandard?

Liest man sich abseits ideologischer Aufrechnereien in die Diskussion ein, stößt man oft auf zwei Argumente. Erstens: Österreich habe im 20. Jahrhundert zwar eine von den Christlichsozialen begründete Diktatur und den Nationalsozialismus erlebt, in letzterem System haben Österreicher an den schlimmstmöglichen Verbrechen mitgewirkt. Ein autoritär-linkes Herrschaftssystem gab es nicht. Die historische Verantwortung gebiete es daher, besonders gegenüber Rechtsradikalismus wachsam zu sein. Eine Argumentation, die für Österreich funktioniert. Aber für Deutschland? Und: Wäre Erfahrung mit einer Form von Gewaltherrschaft nicht auch Warnung vor anderen?

Das zweite Argument betrifft den Ausgangspunkt der jeweiligen Ideologien. Der Kommunismus habe zwar blutig-totalitäre Systeme hervorgebracht, basiere aber auf dem Streben nach Gerechtigkeit und Gleichheit. Ähnliches lasse sich über Faschismus nicht und über Nationalsozialismus schon gar nicht behaupten. Deren ideologischer Kern beinhalte den Kampf einer Gruppe mit angeblichen Gegnern – bis zum Extrem der Auslöschung. Aber sollten historische Personen anders behandelt werden, weil sie im Namen einer womöglich menschenfreundlicheren Ideologie Schlechtes getan haben? Wohl kaum.

Lueger gegen Ché Guevara

Es ist jedenfalls eine Diskussion, die sich im kleineren Maßstab an Beispielen aus dem ganzen Politikspektrum abbildet, nicht nur dem linken: Über das Porträt des austrofaschistischen Diktators Engelbert Dollfuß im ÖVP-Parlamentsklub wurde jahrzehntelang diskutiert, bis es 2017 endlich abgehängt wurde; der Streit um den Namen des Karl-Lueger-Rings und -Platzes in Wien wirkt schier unendlich, weil der Antisemitismus des christlichsozialen Bürgermeisters mit seinen Leistungen um die Wiener Infrastruktur gegengerechnet wird.

Wer in Wien den Julius-Tandler-Platz besucht, wird hingegen selten an die Thesen des Sozialdemokraten bezüglich eines "unwerten Lebens" erinnert. Ebenso denken wohl nur wenige Bahnreisende in St. Pölten an den Antisemitismus von ÖVP-Gründervater Leopold Kunschak, wenn ihr Zug an der nach ihm benannten Wohnanlage vorbeifährt. Das Ché-Guevara-Denkmal im Wiener Donaupark sorgte bei der Eröffnung 2008 für laute Proteste, "HC Stra-Ché", mit dem die FPÖ im selben Jahr für sich warb, weniger. Und wenn an Häusern im Osttiroler Villgratental das austrofaschistische Kruckenkreuz prangt, wird dies als Symbol für das "Nein" der Bewohner bei der Abstimmung über den "Anschluss" Österreichs an Nazideutschland 1938 gedeutet.

Manchmal geht es bei der Beurteilung historischer Personen und Symbole womöglich einfach um Zufall, mediale Konjunktur – und um politische Kommunikationsstrategien.

Bleibt die Frage der Anbiederung. Ein Revival an Diktatorenbewunderung ist derzeit in keinem europäischen Land zu beobachten. Zumindest der Melodie nach machte aber ein Jahr nach Amtsantritt, Ende 2000, Russlands Präsident Wladimir Putin die ehemalige Sowjethymne wieder zu jener Russlands. Später bezeichnete er das Ende der Sowjetunion als "größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts" – und nun lässt er die Aufarbeitung des Stalinismus zunehmend blockieren. Eine Form historischer Diktaturverklärung, die die FPÖ 2016 freilich nicht davon abhielt, ihre "Vereinbarung über Zusammenwirken und Kooperation" mit Putins Partei "Einiges Russland" abzuschließen. (Manuel Escher, 4.5.2019)