Zwei Kinder in Ostgrönland begutachten den Jagderfolg ihres Vaters: Robbenfleisch ist für Inuit-Familien ein wichtiger Bestandteil der Ernährung.

foto: thomas neuhold

Bergsteigerlegende Robert Peroni lebt seit Jahrzehnten in Ostgrönland. Er warnt vor dem Verschwinden einer ganzen Volkgsgruppe und ihrer Kultur.

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Dicke Schneeflocken tanzen durch die Luft, der Wind pfeift eisig durch das kleine Tasiilaq in Ostgrönland. In der 2.000-Einwohner-Gemeinde hundert Kilometer südlich des Polarkreises herrscht auch in der zweiten Aprilhälfte noch tiefer Winter.

Im Inneren des "Red House" ist es hingegen wohlig warm, eine Wohltat angesichts des nasskalten Wetters vor der Türe. Das "Red House" wird seit den 1990er-Jahren vom Südtiroler Robert Peroni geführt. Das knallrot gestrichene "Red House" ist Hotel, einer der wenigen Arbeitgeber für die Inuit sowie soziale Anlaufstation für viele Einheimischen in einem.

Ein Volk stirbt aus

Wenn "Hotelchef" Peroni erzählt, wählt er seine Worte ruhig und mit Bedacht. Der 1944 nahe Bozen Geborene zählte einst zur Weltelite der Leistungsbergsteiger. Außerhalb der Bergsteigerszene ist der heute 75-Jährige durch die spektakuläre Durchquerung des grönländischen Inlandeises 1983 gemeinsam mit zwei weiteren Abenteurern bekannt geworden: 1400 Kilometer Eiswüste ohne Hilfsmittel. Der Vorarlberger Schriftsteller Michael Köhlmeier widmete diesem Husarenstück den Roman Spielplatz der Helden. Peroni ist dem Tod mehrmals nur knapp entronnen, ihn regt so schnell nichts mehr auf.

Es gibt nur ein Thema, bei dem Peronis Augen zornig funkeln und sein Temperament mit ihm durchgeht: Greenpeace und die Kampagne der Umweltorganisation gegen die Robbenjagd. Der Feldzug würde die gesamte Gesellschaft der Inuit gefährden und "zur Auslöschung ganzer Volksgruppen" führen. Hier sei ein Volk am Aussterben, sagt Peroni.

Geschäftsmodell Robbenbaby

Durch die Greenpeace-Kampagne gegen das – auch von ihm abgelehnte – Abschlachten von Robbenbabys und das folgende Handelsverbot sei der Markt für Robbenfelle völlig zusammengebrochen. Da habe es auch nichts mehr genützt, dass von dem 2014 von der Welthandelsorganisation bestätigten Embargo Produkte der konventionellen Inuit-Jagd ausgenommen worden seien. "Niemand kauft das mehr", die Preise rutschten in den Keller. Für Greenpeace findet der streitbare Alpinist keine freundlichen Worte: "Die Kampagne mit den Kulleraugen der Robbenbabys wurde zu deren Geschäftsmodell."

Die Auswirkungen auf die rund 3500 in Ostgrönland auf tausende Kilometer Küste verteilt lebenden Inuit, ihre soziale Lage und Kultur seien dramatisch, berichtet Peroni. Die über Jahrhunderte autark lebenden Menschen seien plötzlich auf die dänische Sozialhilfe angewiesen.

Alkohol und Suizid

Die Jagd zur Selbsterhaltung der Ureinwohner sei zwar erlaubt geblieben, aber wovon sollen die Menschen Benzin für die Boote, wetterfesten Lack oder Reparaturen bezahlen? Es gehe aber nicht nur um Materielles, betont Peroni. "Ein Mann, der seine Familie nicht ernähren kann, verliert seine soziale Rolle und die Selbstachtung." Die Folge: Alkoholismus und eine dramatisch gestiegene Selbstmordrate.

Wirtschaftliche Alternativen zur Jagd gibt es an der Ostküste Grönlands im Distrikt Ammassalik kaum. Tasiilaq hat zwar eine Kirche, ein Postamt, zwei Supermärkte, Kindergarten, Schule und Spital sowie neben dem "Red House" noch ein zweites kleines Hotel – das Leben hängt hier aber am Subventionstropf Dänemarks.

Kaum Touristen

Der Anbau von Nutzpflanzen ist in einem Gebiet mit neun Wintermonaten genauso wenig Thema wie Viehzucht. Auch der Tourismus bietet nur geringe Chancen. Die Schotterpiste auf der Nachbarinsel kann wetterbedingt oft tagelang nicht angeflogen werden, der Hubschrauber weiter nach Tasiilaq fliegt unregelmäßig, und eine geregelte Schifffahrt ist im Eismeer unmöglich.

Kleine Anbieter wie beispielsweise in Österreich die Linzer Alpinschule Bergspechte haben Ostgrönland zwar im Programm, aber für die abenteuerliche und auch nicht billige Reise ans Ende der Welt findet sich meist kaum mehr als eine Handvoll Interessenten. Gerade einmal 2000 Touristen kommen insgesamt pro Jahr nach Tasiilaq, schätzt Peroni.

Greenpeace wiegelt ab

Greenpeace weist den Vorwurf, an der Auslöschung ganzer Völker beteiligt zu sein, strikt zurück. "Greenpeace erkennt das Recht der Indigenen in der Arktis zur nachhaltigen Nutzung natürlicher Ressourcen an, sofern keine vom Aussterben betroffenen Bestände gejagt werden oder das Ökosystem zerstört wird", heißt es in einer Erklärung. Um diese Haltung zu unterstreichen, stellten sich Greenpeace-Funktionäre sogar mit Robbenfell bekleidet vor die Kamera.

Peroni quittiert solche Aktionen mit bitterem Spott: Die Jagderlaubnis von Greenpeace sei "sehr großzügig", sagt er. Für die jahrhundertealte Kultur der Inuit hat er wenig Hoffnung. (Thomas Neuhold, 6.5.2019)