Gedenkfeier im Vernichtungslager Mauthausen am 5. Mai 2019.

Foto: MKÖ/JACQUELINE GODANY

Der Antisemitismus, der zu Mauthausen und den vielen anderen Konzentrationslagern geführt hat, existiert weiter, sagte der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde, Oskar Deutsch, am Sonntag in Mauthausen. In seiner Rede bei der Gedenkfeier anlässlich der Befreiung des Konzentrationslagers kritisierte er, dass sich eine Partei, die FPÖ, schwertue, ihre Vergangenheit und Verantwortung aufzuarbeiten. Und er warnte davor, nur den "Antisemitismus der anderen" zu bekämpfen. Im Folgenden Auszüge aus der Rede:

"Weltweit ist eine Zunahme des Antisemitismus zu verzeichnen. Er äußert sich sehr unterschiedlich und kommt von verschiedenen Richtungen. Lassen Sie mich klipp und klar sagen: Es gibt kein Ranking! Rechtsextreme, linksextreme oder islamistische Antisemiten sind vor allem eines: Antisemiten. Und Terroristen sind vor allem eines: Terroristen.

Und politische Populisten bereiten ihnen den Boden. Die größten Pogrome, schon die im Mittelalter ebenso wie die im Russland des 19. Jahrhunderts oder jene im Nationalsozialismus, wurden durch bloße Gerüchte ausgelöst. Ich möchte die Worte des Philosophen Theodor Adorno in Erinnerung rufen: 'Antisemitismus ist das Gerücht über den Juden.'

Populisten säen Hass

Solche Gerüchte werden heute nicht mehr nur von harmlosen Randerscheinungen der Politik verbreitet. Nein, es geschieht in Ungarn vom Premierminister, in Polen von Regierenden, und auch in Österreich sind es Spitzenvertreter einer Regierungspartei, die Verschwörungstheorien verbreiten.

Diese Populisten haben etwas mit Muslimbrüdern gemeinsam: Mit ihren Verschwörungstheorien säen sie Hass. Und Hass tötet: in Pittsburgh in einer Synagoge, in Christchurch in einer Moschee, in Sri Lanka in Kirchen, in San Diego in einer Synagoge. Einmal sind Juden das Ziel – weil sie Juden sind. Dann sind es Muslime – weil sie Muslime sind. Christen werden ermordet – weil sie Christen sind.

Damit keine Missverständnisse aufkommen: Die Populisten in Europa und Amerika sind keine Mörder! Sie sind nicht mit den Terroristen zu vergleichen. Auch nicht mit dem Vernichtungsantisemitismus des iranischen Regimes. Vergleichbar ist, dass sie alle den Antisemitismus als politische Waffe verstehen. Die einen bewusster, die anderen, weil es tief in ihrer Ideologie verhaftet ist.

Klartext sprechen

Simon Wiesenthal und Leon Zelman waren Gefangene in Mauthausen. Ich bin davon überzeugt, dass sie beide uns dazu ermahnen würden, Klartext zu sprechen. Nicht nur über damals, sondern über das Hier und Jetzt. Für unsere Kinder und Enkelkinder. Für Österreich, für Europa. Sie würden uns auffordern, am 26. Mai wählen zu gehen!

Was bringen uns die vielen Befragungen und Studien der letzten Monate, wenn daraus keine Lehren gezogen werden? Was bringen die roten Linien, wenn sie ständig übertreten werden – und keine Konsequenzen folgen?

Früher sagten sie 'Umvolkung', heute nennen sie es 'Bevölkerungsaustausch'. Früher sagten sie 'Rothschild', heute ist es 'Soros'. Früher sagten sie 'Juden nach Palästina', heute sagen sie 'Juden raus aus Palästina'. 'Der' Jude oder Israel als Jude unter den Staaten wird zum Sündenbock.

(Un)aufgearbeitete Vergangenheit

In vielen politischen Parteien gab es Antisemiten. Alle haben ihre Vergangenheit und Verantwortung aufgearbeitet – nur eine Partei tut sich immer noch schwer. Diese Partei ist der blaue Schatten der Bundesregierung – und der burgenländischen Landesregierung. Dieser Schatten verdunkelt die Erfolge von ÖVP und SPÖ, aber auch die unmissverständlich antifaschistische Haltung von Neos, Grünen und anderen politischen Kräften in unserer Demokratie. Innerhalb der FPÖ gab es wohl auch Versuche, die braune Kruste des Dritten Lagers aufzubrechen. Bisher ohne Erfolg.

Alarmierende Zahlen

In unserer Gesellschaft – und fast überall in Europa – gibt es auch den muslimischen Antisemitismus. Ein gewaltiges Problem! Und obwohl vom Islamismus eine große Gefahr für Juden und für die westliche Kultur der Freiheit und Moderne insgesamt ausgeht, werden wir Muslime immer gegen Verunglimpfung, Pauschalisierung und Hass verteidigen – das gilt ebenso für Christen, Atheisten, Homosexuelle, und sämtliche andere Menschengruppen. Das ist eine Lehre aus der Shoah, das schulden wir den Millionen von Toten.

Da gab es zum Beispiel eine bemerkenswerte Studie, die Parlamentspräsident Wolfgang Sobotka in Auftrag gegeben hat. Angeblich ergab sie, dass der traditionelle Antisemitismus im Sinken sei, und ein sogenannter importierter Antisemitismus befinde sich im Steigen. Das stimmt so nicht! Und das ist auch nicht das Ergebnis der Studie!

39 Prozent der Österreicher sagen: 'Die Juden beherrschen die internationale Geschäftswelt.' ️39 Prozent von fast neun Millionen Einwohnern. 34 Prozent der Österreicher sagen: 'Die Israelis behandeln die Palästinenser nicht anders als die Deutschen im Zweiten Weltkrieg die Juden.'️ 34 Prozent von fast neun Millionen Menschen. 36 Prozent sagen: 'Juden versuchen einen Vorteil daraus zu ziehen, dass sie während der Nazi-Zeit Opfer waren.' 37 Prozent wollen nichts mehr über die Shoah hören. 19 Prozent sagen, dass Juden selbst schuld an den Verfolgungen waren. Das sind alarmierende Zahlen.

Der Antisemitismus der anderen

Der Hinweis auf zusätzliche Befragungen von arabischsprachigen und türkischsprachigen Österreichern, die seit mindestens zehn Jahren in Österreich leben, ist interessant. In diesen Gruppen, zu denen wahrscheinlich überwiegend Muslime und koptische Christen zählen, sind die Ergebnisse noch schlimmer.

Vor zehn Jahren lebten in Österreich weniger als 40.000 arabischsprachige Menschen. Selbst wenn 100 Prozent der Meinung sind, dass Juden die Welt beherrschen, die Israelis wie die Nazis seien, Juden selbst an der Verfolgung schuld sind, dann sind das noch immer weniger als 0,5 Prozent der Bevölkerung!

In aller Deutlichkeit: Der muslimische Antisemitismus ist eine besonders große Bedrohung, gegen die sich Jüdinnen und Juden seit langer Zeit wehren müssen.

'Alles hat seine Zeit', steht in der Thora. Für unser Leben hier und jetzt heißt das: Solange immer der Antisemitismus der anderen bekämpft wird, so lange werden wir nicht weiterkommen.

Jeder kann einen Beitrag zu Tikun Olam, zur Rettung der Welt, leisten. Beginnen wir bei uns selbst, unseren eigenen Familien und unseren eigenen Parteien." (Oskar Deutsch, 6.5.2019)