Die Probleme begannen bereits kurz nach dem Start in Moskau-Scheremetjewo: Der Pilot meldete Funkstörungen und bat um Landeerlaubnis. Augenzeugenberichten zufolge hatte ein Blitz in das Flugzeug vom Typ SSJ 100 eingeschlagen. Wegen der schlechten Wetterbedingungen konnte der Pilot erst im zweiten Anlauf die Maschine landen. Doch noch während der Bruchlandung ging der hintere Teil des Suchoi Superjet 100 in Flammen auf.

"Als das Flugzeug hielt, hat sofort die Evakuierung begonnen ... Ich habe die Tür mit dem Fuß aufgestoßen und die Passagiere hinausgestoßen. Ich habe sie am Kragen rausgezerrt, damit sie die Evakuierung nicht behindern", erzählt die Stewardess Tatjana Kassatkina anschließend. Ihren Worten nach war das Feuer außen zwar zu sehen, im Inneren aber war es stockdunkel. Die meisten Opfer sind offenbar im Rauch erstickt. Unter den 41 Toten sind auch zwei Kinder.

Die genaue Unglücksursache soll nun eine Untersuchungskommission des Ermittlungskomitees klären. Vor dem Katastrophenflug nach Murmansk hatte Aeroflot an dem Sonntag mit dem SSJ 100 bereits drei andere Linienflüge bedient: von Saransk nach Moskau, von Moskau nach Saratow und wieder zurück. Über technische Probleme während dieser Flüge ist bislang nichts bekannt – der am Montag untersuchte Flugschreiber ist nach Angaben der russischen Behörden durch den Brand schwer beschädigt. Die Aufzeichnung der mündlichen Kommunikation im Cockpit habe man hingegen auslesen können.

Allerdings ist die Liste an Flugzeugabstürzen in Russland lang (siehe Chronologie unten). Im Februar 2018 stürzte eine Antonow 148 über dem Gebiet Moskau ab (71 Tote), 2016 gab es gleich zwei schwere Unglücke: Im März stürzte eine Boeing 737 in Rostow am Don ab (62 Tote), im Dezember eine Tupolew 154 der russischen Streitkräfte kurz nach dem Start in Sotschi. An Bord waren 92 Personen auf dem Weg nach Syrien, darunter ein Militärorchester und mehrere TV-Teams. 2015 sprengten Terroristen über dem Sinai den Airbus einer russischen Fluggesellschaft (224 Tote).

Grafik: DER STANDARD

Total-Chef in Moskau gestorben

2014 kam Total-Chef Christophe de Margerie bei einem Crash seiner Falcon 50 mit einem Schneepflug auf der Startbahn in Moskau-Wnukowo ums Leben. 2013 erwischte es die Boeing einer tatarischen Airline in Kasan (44 Tote), und 2012 gab es gleich eine Serie von Unglücken mit Großflugzeugen: In Tjumen kamen bei der Bruchlandung einer ATR 72 31 der 43 Insassen ums Leben, im Dezember stürzte eine glücklicherweise fast leere Tupolew 204 in Wnukowo ab (fünf Tote).

In dem Jahr traf es auch erstmals einen Superjet, der ausgerechnet bei einem Demonstrationsflug für Fluglinien in Asien abstürzte und dabei 45 Insassen, vor allem Manager der indonesischen Luftfahrtbranche, in den Tod beförderte. Hinzu kommen rund 150 Abstürze von Kleinflugzeugen und Hubschraubern in dem Zeitraum.

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Das Innere der Unglücksmaschine.
Foto: REUTERS

Statistisch ist die Gefahr, mit einem russischen Flugzeug einen Unfall zu erleiden, deutlich höher als weltweit. Die Ursachen der Abstürze sind mannigfaltig. So muss Russland bis heute mit einer erhöhten Terrorgefahr kämpfen, auch wenn die Sicherheitsbestimmungen an den Flughäfen nach einem Doppelanschlag tschetschenischer Selbstmordattentäterinnen auf zwei in Moskau-Domodedowo startende Maschinen 2004 (insgesamt 90 Tote) stark erhöht worden sind.

Häufigste Ursache sind laut den Ermittlungsbehörden Pilotenfehler. Allerdings kritisierte der Oppositionspolitiker Gennadi Gudkow, dass die Schuld zu schnell auf einzelne Piloten und Wetterbedingungen geschoben werde, obwohl es systematische Probleme im gesamten russischen Luftfahrtsektor gebe.

Mangel an Piloten

Tatsächlich sind Ausbildung, mehr noch aber Vergütung und Auslastung der Piloten infrage zu stellen. Viele russische Airlines fliegen dicht über dem finanziellen Abgrund, was sich auf die Wartung der Maschinen, aber natürlich auch auf die Arbeitsbedingungen der Crews auswirkt. Es gebe einen absoluten Personalmangel. "Alle Profis haben entweder schon im Ausland Arbeit gefunden oder werden das in den nächsten Jahren tun", klagte Juri Sytnik, selbst Pilotenveteran und inzwischen Mitglied der präsidialen Luftfahrtkommission, bereits vor einem Jahr über die Lage im Sektor.

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Blumen und ein Teddybär am Moskauer Flughafen Scheremetjewo in Gedenken an die Opfer.
Foto: AP/Pavel Golovkin

Die Bruchlandung in Scheremetjewo verband Sytnik allerdings auch mit der schlechten Qualität des Flugzeugs selbst. "Die Maschine taugt nichts ... Passagiere! Öffnet eure Augen und hört auf, Tickets für den SSJ 100 zu kaufen", forderte er.

Russlands Prestigeobjekt

Das russische Verkehrsministerium sieht hingegen keinen Anlass, den SSJ 100 aus dem Verkehr zu ziehen. Es gebe keinen Grund, die Flüge zu stoppen, sagte Verkehrsminister Jewgeni Dietrich russischen Nachrichtenagenturen. Kein Wunder – handelt es sich bei der Maschine doch auch um ein Prestigeobjekt.

Der SSJ 100 ist das erste russische Passagierflugzeug der nachsowjetischen Geschichte. Der für Mittelstrecken konzipierte Flieger wurde 2011 in Dienst gestellt und soll der Airbus-A320-Familie und der Boeing 737 Konkurrenz machen. Bislang wurden 186 Maschinen produziert, verkauft wurden sie vorwiegend an russische Fluggesellschaften. Größter Abnehmer ist die staatliche Aeroflot.

Allerdings kam es in der Vergangenheit immer wieder zu kleineren technischen Problemen. Vor allen Dingen die Triebwerke machen Schwierigkeiten. So streitet die mexikanische Interjet, mit 22 Flugzeugen größter Kunde im Ausland, seit Monaten mit dem Hersteller wegen der vielen nötigen Reparaturen. Da nur sieben Superjets einsatzbereit sind, hat Interjet auf den Kauf weiterer Flugzeuge verzichtet und fordert die Reparatur der bestehenden auf Kosten des Flugzeugbauers Suchoi.

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Alexander Bastrykin (links), Chef des russischen Ermittlungskomitees, inspiziert den Unfallort.
Foto: REUTERS

Unrentabler Superjet

Auch russische Fluggesellschaften haben ihren Unmut in der Vergangenheit mehrfach bekundet. Wegen der vielen Ausfall- und langen Wartezeiten auf Ersatzteile ist laut Statistik ein SSJ 100 pro Tag nur 3,3 Stunden in der Luft, die Konkurrenz von Boeing und Airbus etwa zehn Stunden. Damit ist der SSJ, obwohl er in der Anschaffung billiger ist, am Ende unrentabler für viele Fluggesellschaften.

Das Image des SSJ als problembehaftet ist eine schwere Bürde für Russlands Himmelsstürmer-Pläne. Denn das nächste Projekt, der von Moskau vielgepriesene MC-21, ist so etwas wie der größere Bruder des SSJ. Ebenfalls für die Kurz- und Mittelstrecke konzipiert, soll der MC-21 zwischen 150 bis 210 Passagiere befördern können. Dummerweise musste seine Markteinführung schon mehrfach verschoben werden, zuletzt von 2019 auf 2021. (André Ballin aus Moskau, 6.5.2019)