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Auch Portugals Premierminister António Costa stößt nicht nur auf Zustimmung. Rechtspopulisten konnte er aber bisher aus dem Parlament fernhalten.

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"Rechtspopulistische Parteien auf dem Vormarsch", "Europa in Gefahr" oder "Rechtspopulisten sind in Europa längst Mainstream" – kurz vor den Europawahlen sind das keine seltenen Überschriften. Es geht dann um die AfD in Deutschland, den Rassemblement National in Frankreich oder die FPÖ in Österreich.

Auch in Spanien ist die rechtsextreme Vox bei den Parlamentswahlen Ende April mit zehn Prozent ins Parlament eingezogen, aber ein Land taucht nie in den Schlagzeilen auf: Portugal scheint ein eigenes Rezept gegen rechtsextreme Parteien zu haben.

Nachwirken der Vergangenheit

Der Politikwissenschafter João Miguel de Carvalho von der ISCTE-Universität Lissabon, der zu rechtsextremen Parteien forscht, geht davon aus, dass daran auch die Neugründung der Partei Chega! nichts ändern wird. Grund dafür ist auch die dunkle Vergangenheit der vergleichsweise jungen Demokratie.

Klassischerweise sind es vor allem Wähler, die Protest und Unzufriedenheit ausdrücken wollen, die ihr Kreuz bei den Rechtspopulisten setzen. "Besonderen Anklang fanden die Botschaften der Rechtspopulisten deshalb bei jenen Personen, die von den Folgen der ökonomischen, kulturellen und politischen Globalisierung negativ betroffen sind", schreibt Werner T. Bauer in einer Studie der Österreichischen Gesellschaft für Politikberatung und Politikentwicklung aus dem Jahr 2018. Aber gibt es solche "Verlierer der Globalisierung" nicht gerade auch im krisengeplagten Portugal?

Vom Sorgenkind ...

Portugal ist eines der Länder, das infolge der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008 unter den europäischen Rettungsschirm genommen werden musste. Seit 2010 flossen rund 77 Milliarden Euro in das kleine Land. Und Portugal musste sparen.

Premierminister Pedro Passos Coelho von der liberal-konservativen Partido Social Democrata kürzte Löhne, Pensionen und Familienbeihilfen, entließ Angestellte im öffentlichen Dienst und privatisierte die Infrastruktur. Die Krise beendete das aber nicht. Portugals Haushaltsdefizit wuchs enorm, und die Jugendarbeitslosigkeit lag zeitweise bei 42 Prozent. Verlierer gab es also zur Genüge.

... zum sozialistischen Vorzeigeschüler

Doch was in Portugal folgte, war kein Aufstieg europakritischer, nationalistischer Rechter, sondern vielmehr eine Wende nach links: Nach den Parlamentswahlen 2015 gründete der jetzige sozialistische Premier António Costa (der kürzlich wegen des Streits über Lehrergehälter mit einem linken Bündnis, das seine Koalition stützt, seinen Rücktritt angedroht hatte) erstmals seit dem Ende der Diktatur eine linke Minderheitsregierung – mit dem Ziel, die Sparpolitik zu beenden.

Portugal im Jahr 2015: Als Premier Antonio Costa die Regierungsgeschäfte übernahm, stand das Land wirtschaftlich vor dem Abgrund.

Inzwischen wird Portugal häufig als Vorzeigeschüler der einstigen Sorgenkinder der EU betitelt. Ende 2018 lag die Arbeitslosenrate mit 6,7 Prozent nur knapp über dem EU-Durchschnitt von 6,6 Prozent.

Der Vergleich mit dem großen Nachbarn

Als Grund für die Linkswende sieht der Politikwissenschafter Carvalho auch Portugals Vergangenheit: Die Diktatur unter António de Oliveira Salazar, die noch bis 1974 andauerte, werde in der öffentlichen Meinung eindeutig negativ bewertet und mit der Unterentwicklung des Landes in Zusammenhang gebracht.

Wie in Spanien ist das ein Faktor, der einen Erfolg von Rechtspopulisten bisher verhinderte. Beide Länder teilen eine ähnliche jüngere Vergangenheit: Wenige Jahre nachdem Portugals Diktator Salazar an die Macht gekommen ist, begann auch in Spanien nach dem Bürgerkriegssieg der rechtsgerichteten Putschisten unter General Francisco Franco mit dem Franquismus eine autoritäre Herrschaft.

1974 starb Salazar, 1975 Franco. In beiden Ländern folgte der Beginn der Demokratisierung, in Portugal ausgerufen durch die Nelkenrevolution. 1986 traten Portugal und Spanien schließlich der EU bei.

Ein Rezept gibt es nicht

In Spanien ist die Immunität gegen rechts kürzlich geschwunden. Im Dezember 2018 zog die rechtsextreme Vox in das andalusische Regionalparlament ein. Aus dem Stand erhielt die Partei elf Prozent, bei den Nationalwahlen im April 2018 war es nur ein Prozentpunkt weniger.

Ein Rezept gegen Rechtspopulisten und Rechtsextreme, sagt Carvalho, gebe es auch in Portugal nicht. Vielmehr sei es ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren: die niedrige Wahlbeteiligung, eine geringe Kriminalitätsrate, niedrige Einwanderungszahlen. Die Portugiesen tendierten eher dazu, gar nicht zu wählen, als ihrer Stimme durch Protestwählen Ausdruck zu verleihen, sagt Carvalho.

Kein Streit um Migration und Sicherheit

Und Themen, die sich rechtspopulistische Parteien gerne auf die Fahne schreiben, funktionieren in Portugal nicht: Ein Diskurs über die Bedrohung der Sicherheit etwa wäre nicht erfolgreich, sagt Carvalho, weil Kriminalität kein großes Problem ist. Und auch das Lieblingsthema vieler Populisten, die Migration, sei in Portugal längst nicht so politisiert und umstritten wie in anderen EU-Staaten. Zur Position der Mainstream-Parteien, Migration als etwas Positives anzusehen, das zu einer funktionierenden Wirtschaft beiträgt, gebe es kaum Gegenstimmen.

Das liegt neben der fehlenden Politisierung auch an den Einwanderungszahlen selbst. Die sind in Portugal deutlich geringer als in anderen EU-Ländern – einer der großen Unterschiede zum Nachbarland Spanien.

Foto: APA

Portugal verzeichnete im vergangen Jahr rund 120 Asylbewerber je eine Million Einwohner. In Spanien waren es mit 1.130 fast zehnmal so viele. Zwischen 2010 und 2016 war Portugals Bevölkerung beständig gesunken: Jedes Jahr hatten mehr Menschen das Land verlassen, als zugezogen waren.

Auf dem Arbeitsmarkt gibt es keine Konkurrenz, sagt Carvalho. So besetzten Einwanderer die Jobs emigrierter Portugiesen oder diejenigen, die in Portugal niemand machen wolle. Ein weiterer entscheidender Faktor sei der geringe Anteil muslimischer Einwanderer, gegen die Rechtspopulisten häufig hetzen. Nach Portugal kommen dagegen häufig Menschen aus ehemaligen afrikanischen Kolonien, die Portugiesisch sprechen und denen die Kultur nicht fremd ist.

Portugal als Ausnahmefall

Aber ist es wirklich undenkbar, dass auch Portugal einen Rechtsruck erleben könnte? Auch wenn aktuell nicht viel darauf hindeutet, meint der Politikwissenschafter Riccardo Marchi, der ebenfalls an der ISCTE-Universität Lissabon lehrt, dass sich das schnell ändern könne, denn Potenzial für rechtspopulistische Rhetorik böte Portugals Entwicklung seit der Wirtschaftskrise trotz allem.

Bisher war der Partido Nacional Reservador (PNR) Portugals einzige Partei aus dem weit rechten Spektrum seit dem Ende der Diktatur. Der nationalistische, rechtsextreme PNR hatte jedoch nie Erfolg. Bei den letzten Wahlen erreichte er nicht mehr als 0,5 Prozent der Stimmen.

Ob die neue, von André Ventura, einem Ex-Politiker des konservativen Partido Social Demócrata (PSD), gegründete Partei Chega! sich das zunutze machen wird, wird sich spätestens bei den kommenden Parlamentswahlen im Oktober zeigen. Ventura war beim PSD nach einer rassistischen Kampagne gegen portugiesische Roma in Ungnade gefallen.

Chega!, Portugals neue Rechte

Sein neues Projekt ist Chega!, was so viel heißt wie "Es reicht!". Die Partei, die der Politikwissenschafter Carvalho als neoliberal und xenophob einstuft, verteidigt das Verbot der Sterbehilfe, fordert die Abschaffung gleichgeschlechtlicher Ehen und will die Grenzen schließen, damit keine Einwanderer ins Land kommen. Sie gleiche eher dem Front National der 90er-Jahre als dem Rassemblement National (RN) unter Marine Le Pen, so Carvalho.

Anders als die AfD in Deutschland oder der RN in Frankreich sieht Marchi die Partei längst nicht so verankert. Schon bei der Gründung Anfang des Jahres hatte sie Probleme, die dafür nötigen Unterstützungserklärungen zu erhalten.

Populisten ohne Twitter

Chega! erfährt zwar durch den Fernsehsender CMTV, der unter den fünf meistkonsumierten Sendern Portugals ist, wichtige Medienpräsenz, doch anders als andere europäische rechtspopulistische Parteien ist Chega! kaum in den sozialen Medien unterwegs. Das Twitter-Profil von Parteichef André Ventura wurde erst im Februar 2019 erstellt, seine Followeranzahl liegt gerade einmal bei rund 420 (Stand Mai 2019). Und auch dem Parteiprofil von Chega", dessen Slogan "Für Portugal, für die Portugiesen" lautet, folgen nicht einmal 800 User.

"Ihr größtes Problem ist, dass Chegas! Programm meiner Meinung nach weit entfernt von den Sorgen der Portugiesen ist, entfernt von einem Anti-Elite- und Anti-System-Diskurs", sagt Politikwissenschafter Carvalho.

Bei den Europawahlen am 26. Mai wird Chega! als Teil des rechten Bündnisses Basta antreten. Aktuellen Umfragen zufolge könnte der Zusammenschluss aus vier Parteien (die jedoch außer Chega! weder extrem rechts noch populistisch sind) auf 1,8 Prozent der Stimmen kommen. (Milena Pieper, 8.5.2019)