Elīna Garanča über Dirigenten: "Wenn einer quasi nur 'ich, ich, ich' sagt und dem Sänger keine Freiheit gibt, dann wird das nichts."

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Wien – Auch jener vom applaudierenden Opernglobus gefeierte Spitzengesang zwingt seine Geschöpfe zu einem seltsamen Seelenspagat. Hochempfindsam sei die Künstlerin, zugleich aber extrem robust. Dünnhäutigkeit ist die Prämisse ihres magischen Bühnenaugenblicks. Erkämpft wird selbiger jedoch durch eine Anspannung, die bisweilen brutal an den Kräften zehrt. Für Mezzostar Elīna Garanča ist dies zwar Alltag, sie nimmt es als Branchengesetz hin. Zur Entfaltung ihrer Qualitäten sei allerdings auch ein kollegiales Gegenüber hilfreich, ja eigentlich unerlässlich, das sich der intensiven Bühnensituation offen stellt.

"Ich kann – auch schauspielerisch – nur effektiv sein, wenn ich mit Kollegen arbeite, die nicht nur an sich denken." Auch bei Dirigenten sei es so: "Wenn einer quasi nur 'ich, ich, ich!‘ sagt, dem Sänger keine Freiheit gibt, wird das nichts. Das gilt auch für Kollegen, die nur Töne produzieren."

Das richtige Leben

Es gehe vielmehr darum, auf Energie zu antworten, so die Lettin. "Von der Dynamik her bin ich im Kopf ja irgendwie noch 27." Gelingt der Bühnendialog, "können wir Operncharaktere ans richtige Leben heranführen. Sie werden verstehbar – wie deine Nachbarin, wie deine Schwester." Tatsächlich war Garanča zuletzt an der Wiener Staatsoper als Dalila und später als Santuzza von sehr unmittelbarer Wirkung. Das Drumherum dürfte gepasst haben.

Zur Robustheit einer Sensiblen, findet Garanča, gehöre allerdings auch, mit unangenehmen Rahmenbedingen umgehen zu können. Beim Thema sexuelle Belästigung, durch die MeToo-Bewegung auch in der Opernwelt aufgedeckt, verfolgt sie etwa einen pragmatischen Ansatz. "Mir tut jede Frau leid, die unangenehme Erfahrungen ertragen musste. Seit ich in die Theaterwelt eintrat, habe ich einige Geschichten mit mehr als zweideutigen Angeboten erlebt ..."

Keine Witze machen

Das Unschöne "von damals möchte ich jedoch nicht mehr abrufen. Manches war mir egal, manches habe ich mit einem Witz gelöst, manches mit Klarheit nach dem Motto: Bis dahin und nicht weiter, sonst bin ich weg. Das Leben scheint nun aber etwas langweiliger zu werden: Man kann keine Witze mehr machen, hat Angst vor Umarmung oder mit jemandem auf einen Kaffee zu gehen." Sie hält das "für übertrieben", wie auch manch ausgiebige Probezeit vor Premieren. Sechs Wochen? Hält sie in der Regel für sehr viel.

Es sei verständlich, dass sich Inszenierungen bisweilen im Work-in-Progress-Modus entwickelt müssen. "Für uns würden aber zwei, drei Wochen reichen. Die Topsänger sind flexibel, sind die ganze Zeit in Sprintlaune. Wir können effektiv sein." Wenn es dann langwierig wird, "treibt es einen schon etwas in den Wahnsinn". Schließlich gibt es auch ein normales Leben mit zwei Kindern, die einmal sagen mögen, ihre Mutter "war nicht nur Sängerin, sondern eine Gesamtperson".

Es braucht Zeit

Es gibt Bereiche – etwa das Erweitern des Repertoires –, bei denen Effizienz allerdings keine Priorität genießt. Von Barock über Mozart (als Dorabella und Cherubino) sich Richtung Dramatik zu entwickeln – das hatte zu dauern. Bis man bei Wagners Kundry landet, die Garanča 2021 an der Wiener Staatsoper darstellen wird, heißt es geduldig bleiben.

"Ein Sänger kann die Jahre, die nötig sind, um zu wachsen, nicht überspringen. Man muss zwar Dinge ausprobieren, aber nur selten sollte man bravourös nach vorne stürmen." Überforderung werde bestraft, wie auch der Mangel an Entschleunigung. In Garančas neu aufgelegter und erweiterter Autobiografie Zwischen den Welten ist da einiges nachzulesen.

Ab nach Südamerika

Robustheit hin, Effizienz her: Offen erzählt Garanča von Krisen, auch ausgelöst durch den Tod ihrer Mutter, der sie für eine Weile verstummen ließ. "Ich erzähle, wie ich es empfinde. Wenn meine Mädchen größer sind, sollen sie nachlesen können, wie das damals war. Für mich war das Buch auch eine Verarbeitungstherapie. Wenn man reflektiert und formuliert, werden Dinge klarer", erzählt Garanča, von der dieser Tage auch eine neue CD bei der Deutschen Grammofon erscheint. Sol y Vida soll "einmal etwas Leichtes" bieten, indem es sich südamerikanischem Repertoire widmet.

Verdient man Geld mit CDs? Eher nein. "Eine CD ist Ehrensache, Dokument. Junge Sänger können auf sie zurückgreifen, wie ich es auch zwecks Studium tat. Ich habe übrigens gelernt, dass man nicht mehr CD sagen soll. Im Zeitalter des Streamings heißt es nur noch Album." Wie immer es zu nennen ist, es muss promotet werden, Konzerte werden folgen. Auch unter freiem Himmel. Hier dürfte es mit dem Dirigenten jedoch kein Ego- und Energieproblem geben. Er ist ihr Gatte Karel Mark Chichon. (Ljubiša Tošić, 7.5.2019)