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Klare Sache: Diese Klamotten sind für Mädchen. Würden Eltern hier mit ihrem Sohn shoppen, würden sie ziemlich auffallen.

Foto: AP/Natacha Pisarenko

Dass man ein Ich ist, ein eigenständiges Wesen, völlig verschieden von der Umwelt, das lernt man in den ersten Lebensmonaten. Mira Lobe fasst diese Erkenntnis sehr schön mit Titel und Inhalt ihres Kinderbuches "Das kleine Ich bin ich" zusammen – quasi eine erste Selbstbewusstseinstheorie für Kinder.

Doch bevor sie selber wissen, dass sie sind, meinen schon alle anderen zu wissen, wie sie sind. Und das hat sehr oft irgendetwas mit dem Geschlecht des Kindes zu tun. "Hübsch", "bestimmt", "draufgängerisch", "lieb" und manchmal sogar "zickig". Auch wenn es vielleicht nett gemeint ist, kündigt sich so dennoch schon für Babys eine rigorose und radikale Geschlechtersegregation an. Sie beginnt bei bestimmten Attributen, die man vom Geschlecht ableitet, und sie bestimmt, wieder vom Geschlecht abgeleitet, die Wahl von Spielzeug und Kleidung. Geschlechterstereotype für Kinder sind konsumierbar wie nie zuvor.

Feministische FanatikerInnen

Was mit Farben, Schnitten und Designs exklusiv für jeweils ein Geschlecht schon Stunden nach der Geburt beginnt, setzt sich ungebrochen bis ins Vorschulalter mit sozial ausgerichtetem Spielzeug für sie und martialisch ausgerichtetem Spielzeug für ihn fort. Es ist erstaunlich, wie viele Eltern bei der Wahl der Kleidung und des Spielzeugs zu hundert Prozent den genderspezifischen Vorgaben der Konsumwelt folgen. Wäre es nicht so, wären die Geschäfte nicht knackevoll mit "Buben"- und "Mädchen"-Zeug. Doch während dieses völlig marktkonforme Verhalten nicht weiter auffällt, fühlen sich Mütter und Väter von zu wenig pinken Mädchen oder nur mäßig blauen Buben angesichts rar gesäter Gleichgesinnter als feministische FanatikerInnen.

Die Warenwelt ist ein sichtbarer Beweis für unsere Fixierung auf das biologische Geschlecht – schon von Kindern. Ein bisschen ist man inzwischen bei der Gleichberechtigung wohl weitergekommen, gerade deshalb irritiert die Ignoranz, sobald es um Konsumgüter geht. Man sieht heute zwar hier und da ein, dass es für Buben zum Problem werden kann, wenn ihnen Konfliktlösungspotenzial ständig nur auf körperlicher Ebene zugetraut wird. Oder wenn an Mädchen nur ihre "Sozialkompetenz" gelobt wird, die man überall zu beobachten meint. Doch bei pinker versus blauer Krempel, Superhelden versus Prinzessinnen, Traktor versus Puppenwagen bleibt man standhaft. Und wer einem Buben Pink und Tüll nicht reflexhaft ausredet, gerät schnell in den Verdacht, daheim tagtäglich ein genderneutrales Bootcamp zu veranstalten.

Selbstverständlich genderneutral

Überhaupt: Genderneutral! Diesen Begriff als bedrohlich aufzuladen ist schon beim Thema Sprache gelungen. In der Nähe von Kindern klingt er für viele nach politischer Radikalisierung der Kleinsten. Dabei sollte genderneutral Kindern gegenüber eigentlich selbstverständlich sein, sprich: sie nicht aufs Mädchen- oder Bub-Sein zu reduzieren. Das klingt zwar einfach, tatsächlich haben wir aber den Salat, dass sich ein Bub mit pinkem Fahrradhelm erklären muss. Und das wird er vermutlich nicht können, denn es kann letztlich niemand erklären, was daran nicht stimmen soll. (Beate Hausbichler, 8.5.2019)