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Der Einzelne als unverwechselbares, einzigartiges Wesen, das in der Konkurrenz der vielen nicht als austauschbar erscheint? Das Berufsleben kann eine permanente Castingsituation sein.

Foto: Getty Images/Orbon Alija

Das Programm gegen den Austausch des eigenen Volkes muss – zu Ende gedacht – in Gewalt enden, warnt der Sozialpsychologe und Psychotherapeut Klaus Ottomeyer. Im Gastkommentar erklärt er, warum rechte Politiker damit dennoch erfolgreich sind.

Heinz-Christian Strache will also den Kampf gegen den "Bevölkerungsaustausch" weiterführen. Es handle sich schließlich um einen "realen Begriff", so der Vizekanzler. Darf man sich nun langsam an den Begriff gewöhnen, nachdem der Massenmord in Christchurch schon bald zwei Monate vorbei ist? Das Programm gegen den Austausch und für die Reinhaltung des eigenen Volkes ist nicht praktikabel und muss zu Ende gedacht in Gewalt enden: in Attentaten, am Stacheldraht von Zäunen, in der Deportation, in kontrollierter Ghettobildung oder in Heiratsverboten.

Aber warum ist dieses Programm für die rechten Bewegungen so unverzichtbar und für viele Anhänger und Sympathisanten bis in die politische Mitte hinein so attraktiv? Den Demagogen gelingt es offenbar, sehr tiefsitzende Ängste der Menschen vor dem Ausgetauschtwerden anzusprechen, sie zu bündeln und die damit verbundene Wutreaktion auf Sündenböcke in Gestalt von Einwanderern und Flüchtlingen umzulenken. Es gibt hier mehrere Angstquellen.

Angst im Job

Es liegt auf der Hand, dass der Kapitalismus, besonders in seiner neoliberalen Ausprägung, bei allen arbeitenden Menschen und Bewerbern eine große Angst vor dem Ausgetauschwerden produziert. Es ist interessant, dass Renaud Camus, der französische Philosoph, der mit seinem Buch über den "Großen Austausch" den Begriff erfunden hat, den Einfluss des globalisierten Marktes durchaus erwähnt, um dann aber doch der Verschwörungstheorie Tür und Tor zu öffnen.

Das wichtigste Subjekt, welches Menschen austauscht, ist das deregulierte Kapital, welches man schwerlich aus dem Land jagen kann. Vor allem dann, wenn es keine starken Arbeitnehmervertretungen mehr gibt, verlieren Arbeiter und Angestellte immer wieder ihre Arbeit, wenn sie zu alt, zu schwach, zu langsam, zu wenig lernfähig oder zu unangepasst sind, um dann durch preisgünstigere, frischere, angepasste Individuen ersetzt zu werden. Dabei ist es den meisten kapitalistischen Unternehmern ziemlich egal, welcher Hautfarbe oder Herkunft die neuen Mitarbeiter sind. Es regiert vor allem der Rechenstift.

Permanentes Casting

Seit etwa 20 Jahren haben wir bei uns das Programm der Marke Ich, welches bedeutet, dass sich der Einzelne als unverwechselbares, einzigartiges, von sich selbst begeistertes Wesen stilisieren soll, damit er in der Konkurrenz der vielen Bewerber nicht als austauschbar erscheint: Die Angst führt zum Leben als Dauercasting. In den USA ist ein Mann Präsident, der schon früher in seiner TV-Casting-Show auf die von Schadenfreude begleitete Entlassung arbeitssuchender Kandidaten spezialisiert war. "You're fired" ist die Formel.

Vor allem die Digitalisierung vergrößert heute überall die Angst, ausgetauscht zu werden. Wer Angst hat, früher oder später ausgetauscht und in ein Nichts hinein abgeschoben zu werden, den kann man leicht dazu einladen, beim Abschieben von Gruppen mitzuwirken, welche angeblich ins Land kommen, um unsere Arbeitsplätze zu übernehmen und Sozialleistungen zu kassieren.

Aufmerksamkeit schenken

Es gibt aber auch einen biografischen und familialen Komplex, der bei der Austauschangst mitwirkt. Die Flüchtlinge werden als verwöhnte, anspruchsvolle Personen hingestellt, die uns sehr viel wegnehmen: nicht nur materielle Versorgung und unsere "Identität", sondern vor allem auch die Aufmerksamkeit, die eigentlich uns zusteht. Im Jahr 2015 hatten sie nach einer heute verbreiteten Auffassung eindeutig zu viel davon. Kann man auf eine Gruppe von Menschen, von denen viele schwere Verluste und Traumata erlitten haben, neidisch sein und sie sich wegwünschen? – Ja! Menschen sind so.

Manche Kinder, die zum Beispiel ein schwerkrankes Geschwister haben, sprechen es noch aus: Mama, ich möchte auch einmal Krebs haben, dann kümmern sich alle um mich. Oder denken Sie an Natascha Kampusch, die nach anfänglicher Publikumsneugier Objekt von unsäglichen Neid- und Hassattacken wurde, weil sie so viel Aufmerksamkeit bekommen hatte. Rechte Politiker schüren den Neid auf Flüchtlinge wie auf nach uns gekommene kleinere Kinder, die noch nicht richtig sprechen können, noch nichts geleistet haben, aber von Vater Staat und Mutter Gesellschaft mit Nahrung, Geschenken und Aufmerksamkeit versorgt werden. Sie sollen endlich verschwinden und uns Platz machen.

Unsägliche Wut

Nur so ist die unsägliche Wut zu erklären, die "Mama Merkel" traf, als sie sich auf Selfies mit Kriegsflüchtlingen fotografieren ließ. Der FPÖ-Politiker Udo Landbauer versuchte im Landtagswahlkampf damit zu punkten, dass er seine Konkurrentin auf einem Plakat als "Moslemmama Mikl-Leitner" bezeichnete.

Und noch ein Punkt zur Austauschangst: Eine der schlimmsten Vorstellungen ist für uns alle, dass wir als Sexualpartner wegen bestimmter Mängel oder weil wir ganz einfach langweilig sind, vom Partner ausgetauscht werden könnten. Früher traf das vor allem Frauen, heute gilt das immer mehr auch für Männer. Immerhin jede zweite Ehe ist davon betroffen. Was ist, wenn die Frauen und Männer aus der Gruppe der Fremden mit der etwas anderen Farbe und Erscheinung für viele Menschen körperlich attraktiver sind als die ihnen bekannten Mitglieder der In-Group? Die Natur scheint es so eingerichtet zu haben, dass dies sehr häufig der Fall ist.

Die Gegner des Austauschs und der Vermischung verlieren an dieser Front ihren Kampf täglich, nicht nur im Falle von Meghan Markle und Prinz Harry. Das erklärt einen Teil der Wut in ihrem Abwehrkampf. Und dann nähert sich noch der große Sensenmann, der uns alle zugunsten einer nachkommenden Bevölkerung abservieren wird. (Klaus Ottomeyer, 8.5.2019)