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Die Qual der Wahl: 48 Parteien drängen sich auf den südafrikanischen Wahlzetteln. Chancen haben nur wenige, die größten hat der ANC, der aber um die absolute Mehrheit bangen muss.

Foto: AP / Themba Hadebe

Samstagmittag um zwölf in der Mhlanga-Straße in Soweto wird das Wochenende gefeiert. Eine Gruppe von Männern sitzt vor einer Kneipe und trinkt Bier, Frauen schlendern auf der Teerstraße vom Einkaufen nach Hause, ein paar Teenager spielen Fußball. Die adretten Häuser an der Straße sind mit Mauern vor begehrlichen Blicken geschützt, in jeder zweiten Toreinfahrt ist ein Fahrzeug geparkt. "Du siehst, hier hat sich viel verändert", sagt Lawrence, "so trostlos wie damals ist es längst nicht mehr."

Als wir uns vor 25 Jahren hier kennenlernten, war die Mhlanga Road noch eine Staubstraße mit winzigen Häuschen. Mauern oder Fahrzeuge gab es so gut wie keine. Nachts sorgte ein Flutlichtmast aus der Nachbarschaft für fahle Beleuchtung: Nach Einbruch der Dunkelheit eilte ohnehin jeder nach Hause, weil es draußen viel zu gefährlich wurde. Fast täglich lieferten sich ANC- und Inkatha-Anhänger, weiße Sicherheitskräfte und schwarze Jugendliche, Gefechte. "Man mag gar nicht mehr daran denken", sagt Lawrence.

Zentrale Richtungswahl

Trotzdem drängt sich die Erinnerung dieser Tage auf: Denn die Südafrikaner sind am Mittwoch wieder zu den Wahlurnen gerufen – wie fast auf den Tag genau vor einem Vierteljahrhundert, als die schwarze Bevölkerung des Landes erstmals abstimmen durfte. Die kommende Wahl wird die wichtigste des neuen Südafrika sein, sagen Experten: Von ihr hängt ab, ob der 55-Millionen-Staat weiter den afrikanischen Weg in die Vetternwirtschaft, Korruption und sozialen Konflikte geht oder den Sonderweg zu einem Modellstaat findet. ANC-Chef Cyril Ramaphosa kündigte eine radikale Reinigungskur der verrotteten Regierungspartei an: Dass er es ernst meint, soll man ihm einfach einmal glauben.

Mmabatho Mokwena, die wenige Häuser von Lawrences Anwesen entfernt wohnt, wäre dazu sogar bereit: "Man muss dem ANC mehr Zeit geben. Die weißen Kolonialisten haben unser Land über 300 Jahre lang beherrscht." Mit Nelson Mandela habe es vor 25 Jahren auch gut begonnen: Die schwarzen Townships wurden aufgemöbelt, über drei Millionen Häuschen für mittellose Familien gebaut, neue Stromleitungen gezogen. Inzwischen ist die Schulausbildung bis zur Matura kostenlos: Fast alle jüngeren Bewohner der Mhlanga-Straße besuchten die nahe gelegene Highschool Morris Isaacson, von der im Juni 1976 der Schüleraufstand gegen das Apartheidregime ausging.

Die 24-jährige Mmabatho bestand ihre Matura, ein Studium konnte sie sich allerdings nicht leisten. Nur gelegentlich bekommt sie heute als Produktwerberin einen Job: Dann versucht sie Kunden in einem Supermarkt neue Hühnersuppen aufzuschwatzen und wird dafür auf Kommission bezahlt. Das größte Problem seien die mangelnden Arbeitsplätze, sagt Mmabatho: "Das ist unter ‚Msholozi‘ noch viel schlimmer geworden."

Zumas Misswirtschaft

Tatsächlich führte Msholozi, alias Jacob Zuma, das Land an den wirtschaftlichen Abgrund. Seine zehnjährige korrupte Herrschaft soll Südafrika mehr als 30 Milliarden Euro gekostet haben: Die Bevölkerung ist heute ärmer als vor sechs Jahren, dafür steigt die Arbeitslosenquote unaufhaltsam an, sie liegt bei fast 30 Prozent.

Mmeli Gebashe wird ganz bleich vor Zorn, wenn er darauf zu sprechen kommt. Der 22-jährige Lehramtsstudent ist vier Häuser straßenabwärts von Lawrence zu Hause: Doch die meiste Zeit verbringt er auf dem Campus der Johannesburger Witwatersrand-Universität, die ihn kürzlich für ein Jahr vom Studium suspendierte. Als Mitglied der Partei Economic Freedom Fighter (EFF) hatte er an Protestaktionen gegen Studiengebühren teilgenommen, die in Straßenschlachten mit der Polizei endeten.

Käme EFF-Präsident Julius Malema an die Macht, wäre es um Südafrika vollends geschehen, sind sich Beobachter einig: Die von dem militanten Populisten geforderte Enteignung weißer Farmer und die Verstaatlichung von Minen würden der lahmenden Wirtschaft vollends den Todesstoß versetzen.

Mmeli sieht das natürlich anders: "Es wäre der Anfang einer gerechten Verteilung der unglaublichen Reichtümer dieses Landes." In den Augen des Studenten ist die Apartheid auch ein Vierteljahrhundert nach ihrer Abschaffung nicht tot: Solange das Schicksal eines Johannesburgers davon abhänge, ob er in einem weißen Vorort oder in einer schwarzen Township geboren wurde, lebe die Rassentrennung weiter.

Ungerechtester Staat

Tatsächlich ist Südafrika nach wie vor geteilt: hier die Mehrheit der schwarzen Bevölkerung, die an oder unter der Armutsgrenze lebt, dort die wohlsituierte weiße Minderheit, zu der sich inzwischen ein nicht unbedeutender schwarzer Mittelstand gesellt hat.

Die Kluft zwischen Habenichtsen und Gutverdienern wird aber größer: Südafrika gilt heute als ungerechtester Staat der Welt. Die Ökonomischen Freiheitskämpfer hätten das Wohl des ganzen Landes im Auge, sagt Mmeli: Werde sich an den Besitzverhältnissen nichts Grundsätzliches ändern, würde Südafrika irgendwann von Aufständen zerfetzt.

Glaube an Regenbogennation

Auch Aphelele Gqalane kommt aus einer schwarzen Township, aus Motherwell bei Port Elizabeth. Heute schlendert der 19-Jährige über den Nelson-Mandela-Platz im Johannesburger Geschäfts viertel Sandton, wo schwarze und weiße Yuppies in Straßencafés an ihren Cappuccinos schlürfen. Unter Mandelas Statue ist die Dichte der Wähler der liberalen Demokratischen Allianz (DA) so groß wie nirgendwo im Land: Sie glauben an das Leistungsprinzip und den schlanken Staat und gehören sowohl der schwarzen Bevölkerungsmehrheit wie der weißen Minderheit an.

Mit diesem Programm kann die größte Oppositionspartei laut Umfragen mit bis zu 22 Prozent der Stimmen rechnen. "Auch wir Schwarzen haben inzwischen dieselben Chancen", meint Aphelele, der den Blazer der Nationwide School for Academic Excellence trägt: "Wir müssen sie nur wahrnehmen." Nelson Mandelas Traum von der Regenbogennation ist für ihn nicht ausgeträumt. (Johannes Dieterich aus Johannesburg, 8.5.2019)