Ungarns Premier Viktor Orbán ist im Moment der Spaltpilz der Europäischen Union.

Foto: APA/AFP/ATTILA KISBENEDEK

Viktor Orbán hat seinem Ruf als Enfant terrible – als schreckliches Kind – in der Parteienfamilie von Europas Christdemokraten (EVP) alle Ehre gemacht. Wieder einmal. Er betätigt sich (nicht nur dort) als Meister der Unruhestiftung, der bösartigen Selbstinszenierung. Ungarns Premier ist im Moment der Spaltpilz der Europäischen Union. Wo er hingreift, gibt es Streit, Illoyalität, Regelverletzung.

Die Zeiten sind günstig für solche Störer und Zerstörer der EU. Nach all den Jahren der Krisen – Finanz- und Eurokrise, Beinahe-Grexit, Chaos um die Migration, Lähmung durch den Brexit – sind viele Bürger quer durch den Kontinent verärgert und/oder verunsichert. Vor allem die Jungen ringen um gute Jobs – Folge nicht zuletzt der Globalisierung und der davongaloppierenden Digitalisierung. Die etablierten Volksparteien, auch die Grünen, die die EU in Jahrzehnten konstruktiv aufgebaut haben, bangen den Wahlen entgegen.

In nicht einmal drei Wochen finden sie statt. Die Wähler bestimmen nicht nur die 751 Abgeordneten ihres Parlaments für mehr als 500 Millionen Einwohner. Auch Europas künftige "Regierung", die EU-Kommission, und ihre Präsidentin oder ihr Präsident werden im Herbst bestimmt.

Vom Wahlausgang, von der Stärke der Fraktionen wird es abhängen, wohin die Reise bis 2024 gehen wird: in Richtung Stärkung der Gemeinschaft oder in Richtung Schwächung der EU, wie das die radikalen Rechten und EU-Skeptiker propagieren – Italiens Lega-Chef Matteo Salvini ebenso wie Marine Le Pen in Frankreich oder die FPÖ unter Heinz-Christian Strache.

Koalition mit den Nationalisten

Und was tut Orbán, der immer betont, welch gefestigter christlicher Politiker im Lager der EVP er doch sei? Er hält Hof auf der Burg in Budapest, empfängt dort – ausgerechnet – Salvini und Strache, um fast nebenbei zu erklären, dass er Manfred Weber, den Spitzenkandidaten der Christdemokraten für die Nachfolge von Jean-Claude Juncker, nicht unterstützt.

Nicht mehr unterstützt? Es war Orbán, der Weber neben den anderen EVP-Mitgliedern beim Parteikongress in Helsinki noch demonstrativ mit auf den Schild gehoben hat. Dort hatte Weber in einer flammenden Rede klar gesagt, wer die wahren Gegner seien: die "Europahasser" von rechts außen. Im Standard-Interview betonte er am Samstag erneut: keine Kooperation mit Le Pen oder Salvini. Orbáns demonstrative Abkehr war eine kolossale Brüskierung Webers und der EVP. Er verband sie mit der Idee, es solle auf EU-Ebene nach dem "Vorbild Österreich" zur Koalition mit den Nationalisten unter Salvini kommen. Dieser hat Orbán auch schon heftig umworben, in sein Lager zu wechseln.

Diesen Schritt setzt Orbán nicht, obwohl die EVP die Mitgliedschaft der Fidesz suspendiert hat. Er taktiert weiter. CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer sagte, der Ungar habe seine "letzte Chance" zur Rückkehr vergeben, werde wohl selbst austreten.

Diesen Gefallen dürfte Orbán der EVP nicht tun. Er sieht es als seine Mission an, die Christdemokraten nach rechts zu rücken. Da die traditionellen Mehrheiten in Straßburg bröckeln, rechnet er damit, dass Fidesz mit zwölf Mandaten bei der Wahl des Kommissionschefs entscheidend sein könnte. Und er setzt darauf, dass Salvini in Italien "durchmarschiert". Wie die Umfragen zeigen, könnte dieser nach vorgezogenen Wahlen bald Ministerpräsident in Rom sein. Dann würde es im Rat der Staats- und Regierungschefs ungemütlich. Italien ist zu groß, um in der EU isoliert zu werden. (Thomas Mayer, 7.5.2019)