Bergretter riskieren freiwillig ihr Leben. Immer öfter weigern sich Gerettete, die Kosten dafür zu übernehmen.

Foto: APA / Bergrettung Bad Hofgastein

Tannheim – Es war am 3. Februar dieses Jahres, als die Nordalpen gerade unter Schneemassen zu ersticken drohten. Um halb sieben Uhr abends wurden die Bergretter in Tannheim von der Leitstelle Tirol alarmiert: Zwei Schneeschuhwanderer hatten sich trotz erheblicher Lawinengefahr im Gelände verirrt. Sie seien durchnässt, erschöpft und hätten nur mehr ihr Handy als Lichtquelle. Angesichts der tiefen Temperaturen und unwirtlichen Bedingungen herrschte akute Lebensgefahr.

Aufgrund der vagen Angaben der verirrten Männer konnte die Einsatzleitung das Suchgebiet auf drei mögliche Gräben eingrenzen, in denen sich die Deutschen befinden mussten. Drei Suchtrupps zu je fünf Mann wurden losgeschickt. Gegen 21 Uhr konnten die Verirrten gefunden werden – stark unterkühlt. Die Freude bei den Geretteten sei groß gewesen, berichtet Hermann Spiegl, Landesleiter der Tiroler Bergrettung. Man habe sie mit trockener Kleidung, Decken und warmen Getränken versorgt, bevor sie in Sicherheit gebracht wurden.

Geretteter ist Jurist und will klagen

Doch die Freude der Geretteten währte offenbar nicht lange. Denn vor kurzem flatterte ein Anwaltsschreiben bei der Tannheimer Bergrettung ins Haus. Einer der beiden Geretteten ist Jurist und will sich nun gegen die in Rechnung gestellten Bergungskosten in Höhe von 2.261 Euro wehren. Die Summe sei zu hoch, so der Vorwurf, der Einsatz überzogen gewesen. Laut dem verirrten Schneeschuhwanderer wären zwei Mann mit einer Lampe ausreichend gewesen. Der Deutsche will die Kosten vor Gericht bekämpfen.

Geretteter Wanderer beeinsprucht Rechnung.
ORF

Bei der Bergrettung ist man verärgert, wie Spiegl erklärt: "Die beiden wären gestorben, wenn wir sie nicht gefunden hätten." Die Wahl der zur Rettung nötigen Mittel und Mannstärke obliegt dem jeweiligen Einsatzleiter der Bergrettung. Oberstes Prinzip dabei ist, das Leben der Retter nicht zu gefährden. Nur zwei Mann bei Nacht, Kälte und Lawinengefahr loszuschicken, wäre Irrsinn gewesen.

Gefährlicher Einsatz

"Wir erfuhren von den beiden telefonisch, dass sie völlig erschöpft seien, stark durchnässt und stark frieren, sie wussten nicht mehr vor noch zurück", berichtet Ortsstellenleiter Reinhold Bilgeri aus Tannheim vom Einsatz. Zudem herrschte Lawinenwarnstufe 3, also erhebliche Gefahr, und das Gebiet war weitläufig und von zahlreichen Gräben durchzogen. Außerdem sollen sich die Schneeschuhwanderer auch nicht an die ausdrückliche Aufforderung der Bergrettung gehalten haben, am zuletzt georteten Platz zu bleiben.

Tirols Bergretter absolvieren jährlich über 2.000 Einsätze. Sie arbeiten ehrenamtlich und müssen sogar ihre Ausrüstung selbst bezahlen. Zwar gibt es dafür eine Subvention des Landes, doch wie Spiegl erklärt, muss jeder Bergretter pro Jahr rund 500 bis 700 Euro aus eigener Tasche bezahlen, um sein Equipment auf dem neuesten Stand zu halten. Wenn Gerettete die Kosten beeinspruchen oder nicht bezahlen wollen, so bleiben diese bei der Bergrettung hängen. Versicherung für solche Ausfälle gibt es nicht, so Spiegl.

Salzburger Bergrettung gewann Prozess

Und es kommt immer öfter vor, dass die Retter im Nachhinein ihren Einsatz rechtfertigen müssen. Erst kürzlich gewann die Salzburger Bergrettung den Prozess nach einer Klage eines deutschen Wanderers, der sich ebenfalls weigerte zu bezahlen. "Der Mann war 2018 mit einer Gruppe am Hohen Göll im Grenzgebiet zu Bayern unterwegs", erzählt Peter Gruber, Geschäftsstellenleiter der Salzburger Bergrettung. Es kam zu einem Streit unter den Wanderern, der Mann trennte sich von seinen Begleitern und tauchte nicht wie vereinbart bei einer Hütte auf.

Die Bergrettung wurde alarmiert und suchte eine Nacht lang ergebnislos. Als der Einsatz am nächsten Tag fortgesetzt wurde, kam plötzlich die Nachricht, dass der Gesuchte mit der Bahn nach Hause gefahren war. Weil er die Retter nicht selbst alarmiert habe, wollte er die in Rechnung gestellten Einsatzkosten nicht tragen und zog vor Gericht. Nun verlor er in zweiter Instanz und zog die Klage zurück.

Klagen und Beschwerden auf Tagesordnung

Rechtliche Grundlage für das Urteil ist das Salzburger Landesrettungsgesetz. Denn die Materie ist Ländersache. Gruber hofft nun auf Beispielwirkung des Urteils, denn auch in Salzburg ist es mittlerweile nicht selten, dass die Bergretter die ihnen entstandenen Einsatzkosten durch Inkassobüros eintreiben müssen oder vor Gericht darum kämpfen.

In Tirol wundert sich Spiegl über die Vehemenz des geretteten Juristen, der sogar bei der Ortsstelle in Tannheim vorstellig wurde, um sich persönlich zu beschweren. Für die 4.600 aktiven Tiroler Bergretter sind derartige Beschwerden eine Belastung. "Unser System wird allein von der Motivation der Freiwilligen am Leben erhalten", erklärt Spiegl. Wenn statt Dank aber Klagen drohen, werden sich immer weniger Menschen finden, die für andere freiwillig ihr Leben aufs Spiel setzen.

Bergekosten für Organisation nötig

Die verrechneten Bergekosten nutzt die Organisation, die nicht wie etwa Feuerwehren überwiegend aus öffentlichen Mitteln finanziert wird, um Versicherungen zu bezahlen, Gebäude und Fahrzeuge in Schuss zu halten, Ausbildungen zu ermöglichen oder auch Verbrauchsmaterialien wie Medikamente zu kaufen. Die Bergretter selbst erhalten weder Lohn noch Aufwandsentschädigung für ihr Engagement.

In Salzburg finanziert sich die Bergrettung etwa zu 40 Prozent aus öffentlichen Geldern, weitere 40 Prozent kommen über Beiträge von Förderern und die restlichen 20 Prozent werden durch Bergekosten, Sponsoren und Spenden bestritten. Allein 2016 rückten die Salzburger Bergretter 575 Mal aus, das entspricht fast zwei Einsätzen täglich, und hat dabei 549 Verunfallte geborgen. Jährlich fallen allein in diesem Bundesland rund 113.000 ehrenamtliche Stunden an, von denen nur 6 Prozent tatsächlich verrechnet werden. Denn Zeit für Ausbildung, Sitzungen, Dienste oder Übungen werden nicht in Rechnung gestellt. (Steffen Arora, 8.5.2019)