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Gekündigt, weil sie nicht produktiv genug waren. Das passierte fast 300 Amazon-Mitarbeitern, die in einem Lager in Baltimore nicht schnell genug Pakete schupften, wie kürzlich bekannt wurde. Sie wurden nicht von ihrem Vorgesetzten gekündigt, sondern von einem Algorithmus. Darf ein Programm so über einen Menschen bestimmen? Ist das moralisch verwerflich?

Die Digitalisierung wirft ethische Fragen auf. Und es scheint, als wären diese vielen Technologiekonzernen egal oder als fehle ihnen das nötige Denkwerkzeug. Ein Trend aus dem Silicon Valley legt nahe, dass hier ein Wandel stattfinden könnte. Laut Medienberichten stellen immer mehr Firmen sogenannte In-House-Philosophen ein, darunter auch Google, Facebook und Apple. Sie erstellen nicht die Firmenphilosophie, sondern beraten etwa in Ethikfragen oder lassen Chefs reflektieren: Wie bin ich eine gute Führungskraft? Wie wirtschafte ich über den kurzfristigen Profit hinaus?

Dass das Denken außerhalb der Tech-Schublade zu Erfolg führen kann, zeigen prominente Philosophie-Absolventen. So hat Linkedin-Mitgründer Reid Hoffmann in Cambridge Philosophie studiert. Pay-Pal-Mitgründer Peter Thiel, Instagram-Mitgründer Mike Krieger und die ehemalige Yahoo-Chefin Marisa Mayer haben das interdisziplinäre Studium Symbolic System Program in Stanford absolviert, das Kurse in Philosophie, Psychologie, Linguistik und Computerwissenschaften enthält. Ob es die Gründer sind oder der digitale Wandel, der sie antreibt: In den USA inskribieren sich immer mehr für Philosophie.

Stabile Zahlen

Ist das für Philosophie-Absolventen hierzulande auch ein ernst zu nehmender Trend? Nicht wirklich, zeigen die Zahlen. Erstens sei die Zahl der Philosophie-Anfänger seit Jahren "relativ stabil", heißt es vom Institut für Höhere Studien. Insgesamt ist die Anzahl von belegten Erststudien in Philosophie zwischen 2008 und 2016 um sechs Prozent gesunken – um zehn Prozentpunkte weniger als insgesamt an den Unis. Auch die Absolventen sind rückläufig.

Zweitens sei "keine gezielte Arbeitskräftenachfrage" nach In-House-Philosophen spürbar, sagt René Sturm. Er ist Arbeitsmarktforscher beim AMS. "Die Jobs gibt es sicher, aber das ist eine Nische und mindert nicht die Arbeitsmarktprobleme der Philosophen."

In den USA sei es üblicher, dass Geisteswissenschafter in der Wirtschaft tätig sind, sagt Sturm. In Österreich sei das noch ein Widerspruch. Das liege auch daran, dass die meisten Firmen Klein- und Mittelunternehmen sind. Und schlichtweg nicht das Budget haben, Philosophen einzustellen, die längerfristig einen Reflexionsprozess begleiten und "nichts im Sinne von raschen Renditen beitragen", sagt Sturm.

Trend nicht Stellenangebot

Diese Meinung teilt der Philosoph Leo Hemetsberger, der selbst seit Jahren Unternehmen berät. "Ein Trend ist noch lange kein Stellenangebot. Vor einigen Jahren geisterte der Wissensmanager durch die Blätter, auch hier sollten die Philosophen Fuß fassen." Doch er kenne keine österreichische Firma, die so eine Stelle besetzt habe.

Und: Österreichische Firmen hätten noch nicht das Mindset dafür, findet Florian Windberger (23), der gerade einen Philosophie- und einen Ethik-Master an der Uni Wien macht. Er sagt: "In den USA herrscht eine Firmenkultur, die ihren Fokus auf Sinnfindung und Coaching legt."

Trotzdem gibt es auch hierzulande Philosophen, die in der Wirtschaft tätig sind. Oft arbeiten sie in Unternehmensberatungen, wo seit den Neunzigern nicht mehr nur Betriebswirte die Zahlen aufbessern und Führungskräfte beraten. "Eine philosophische Perspektive eröffnet neue Sichtweisen und rückt menschliche Komponenten und Sinnhaftigkeit in den Fokus", sagt Hemetsberger.

Für den Arbeitsmarkt gewappnet

Nicht nur in der Beratung lohne es sich, Philosophen einzustellen, sagt Windberger. Die Fähigkeiten, logisch zu argumentieren, analytisch zu denken und strukturiert zu präsentieren, wappneten einen für den Arbeitsmarkt. Das weiß der Student, der für ein Wiener Start-up neue Geschäftsideen entwickelt, aus eigener Erfahrung. Nur einen "minimalen Teil" davon lerne man im Studium. So soll auch Gründer Thiel gesagt haben: Den Rest lerne man "on the job".

Es sei dennoch wichtig, sagt Arbeitsmarktforscher Sturm, sich nebenbei auf ein Fachgebiet zu spezialisieren. Nur mit einem Abschluss in Philosophie sei man "tunlichst angehalten, an einer Hochschule tätig zu sein" – sonst seien die Jobchancen zu gering.

Sollte es künftig tatsächlich mehr Philosophen in Firmen geben, werden sie vermutlich im Hintergrund agieren. Als Berater seien sie schon immer im Schatten derer gestanden, die nach ihren Prinzipien handelten, sagt Hemetsberger. Bei Apple dürfen Fulltime-Philosophen scheinbar nicht einmal öffentlich über ihre jahrelangen Tätigkeiten sprechen. (Allegra Mercedes Pirker, Selina Thaler, 9.5.2019)