PSD-Chef Liviu Dragnea, wegen Wahlbetrugs vorbestraft, lässt sich mögliche weitere Strafen ersparen.

Ein Bub in Plastikpatschen zerlegt Kleinholz für den Ofen. Gesichter sind kaum zu sehen, stattdessen zoomt die Kamera in Schwarz-Weiß auf den Dreck, in dem viele leben müssen. Dann erscheint das Gesicht des Schauspielers Victor Rebengiuc in Großaufnahme, seine Augen blicken minutenlang eindringlich, bewegen sich aber nicht. Mit schneidend klarer Stimme kommt die Anklage aus seinem Mund: "Wenn ich die Zahl 200.000 nenne, dann denkt ihr an Geld, das ihr illegal erworben habt. Aber ich denke an die 200.000 Kinder, die jeden Tag hungrig zu Bett und am nächsten Tag zur Schule gehen – wenn sie überhaupt zur Schule gehen, weil viele arbeiten, um Geld fürs Essen zu verdienen."

"Ihr Dreckskerle!", untermalt daraufhin ein Chor den Vorwurf von Rebengiuc. Das Lied Wie sie der rumänischen Pop-Rock-Band Taxi ist eine Kampfansage an die politische Klasse in dem osteuropäischen Land, die sich nicht um die Menschen in schlimmster Not kümmert, sondern lieber versucht, die eigenen Schäfchen ins Trockene zu bringen.

"Fahrlässige" Korruption straffrei

Rebengiuc protestierte in jüngster Zeit auch gegen die Reformen im Justizsystem, durch die Beamte und Politiker sich das Recht zurechtbiegen können und Parteiinteressen durchgesetzt werden. Das rumänische Parlament hat im April eine Reihe umstrittener Änderungen des Strafrechts abgesegnet. So werden Fristen für die Verjährung von Straftaten um zwei Jahre gesenkt. Die Annahme normativer Rechtsakte kann zudem nicht länger als Begünstigung von Straftätern betrachtet werden – dies betrifft etwa bereits getätigte Untersuchungen von Maßnahmen der Regierung durch die Staatsanwaltschaft. Die Regierung kann also in diesem Sinne nicht mehr belangt werden.

Weiters werden Bestechung und das "Kaufen" von Einfluss teilweise entkriminalisiert. Vollends straffrei wird "fahrlässiges Verhalten" von Beamten gestellt. Das Strafmaß für Veruntreuung und Amtsmissbrauch wird halbiert, wenn der Angeklagte den Schaden bezahlt. Zudem tritt ein Verbot, über Kriminalfälle zu "kommunizieren", in Kraft, Aufzeichnungen von Gesprächen in privaten Räumen können künftig nicht mehr für strafrechtliche Ermittlungen verwendet werden; Anschuldigungen können nur innerhalb eines Jahres nach der Tat gemacht werden. Die meisten Änderungen widersprechen den Empfehlungen der Venedig-Kommission, die im April einen offiziellen Besuch in Rumänien absolvierte.

Parteichef in Bedrängnis

Das Land, das derzeit den EU-Ratsvorsitz innehat, galt lange als Vorzeigebeispiel für Justizreformen in Ost- und Südosteuropa. Seit 2016 aber fährt die regierende populistisch-nationalistische sozialdemokratische Partei PSD einen zunehmend EU-feindlichen, gegen den liberalen Rechtsstaat gerichteten Kurs. PSD-Chef Liviu Dragnea, der wegen Wahlbetrugs vorbestraft ist und nicht selbst Premier sein kann, muss wegen Korruptionsvorwürfen am 20. Mai vor Gericht erscheinen. Die Führung der Sozialdemokratischen Partei Europas (SPE) hat indes die Beziehungen zur PSD "eingefroren". Im Juni soll über die Mitgliedschaft der Partei noch einmal diskutiert werden.

Die EU-Kommissarin für Justiz, Vera Jourová sagte kürzlich, dass auch Brüssel die Ereignisse mit Sorge beobachte. Frans Timmermans, Vizepräsident der EU-Kommission, hat in einem Brief die Regierung in Bukarest dazu aufgerufen, keine Änderungen durchzuführen, die den Rechtsstaat schwächen. Unterschrieben wurde der Brief zudem etwa von Deutschland, Frankreich und Österreich, aber auch von den Nicht-EU-Staaten Norwegen, USA und Kanada.

Indes will Rumäniens regierungskritischer Präsident Klaus Iohannis am 26. Mai ein Referendum über das Justizsystem abhalten. Das Parlament hat in Reaktion darauf ein Gesetz erlassen, dass die Inhalte des Referendums beschränken soll. Der Machtkampf zwischen Präsident und Regierung, der in Rumänien Tradition hat, geht also weiter. (Adelheid Wölfl, 9.5.2019)