Papst Franziskus fordert, dass Missbrauchsfälle angezeigt werden. Jene, die das tun, müsse man vor Diskriminierung schützen.

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Zwei Monate nach dem Abschluss des Missbrauchsgipfels im Vatikan, zu dem Franziskus die Präsidenten der Bischofskonferenzen aus aller Welt eingeladen hat, legt der Vatikan nun die versprochenen neuen Richtlinien zur Missbrauchsbekämpfung und zur Verhinderung von Vertuschung vor. Die Regeln sind in einem Motu proprio, einem persönlichen Schreiben des Papstes, zusammengefasst. Es trägt den Titel "Vos estis lux mundi" ("Ihr seid das Licht der Welt") und richtet sich an alle Kleriker und Ordensleute der katholischen Weltkirche, ganz besonders aber an die Bischöfe. Bisher musste sich Papst Franziskus den Vorwurf gefallen lassen, nicht mit der nötigen Entschiedenheit gegen den sexuellen Missbrauch innerhalb seiner Kirche vorgegangen zu sein.

Diesen Vorwurf versucht er nun mit seinem Motu proprio zu entkräften. Die auf den ersten Blick spektakulärste Neuerung im päpstlichen Erlass ist die Einführung einer in der ganzen Weltkirche geltenden Meldepflicht: Laut dem neuen Gesetz sind alle Kleriker oder deren Mitarbeiter, denen Berichte über sexuellen Missbrauch oder Vertuschung zu Ohren kommen, verpflichtet, dies unverzüglich an die zuständige kirchliche Autorität – in der Regel der Bischof – zu melden.

Allgemein anerkanntes Rechtsgebot

"Betraf diese Verpflichtung bisher in gewissem Sinne nur das individuelle Gewissen, so wird sie von nun an zu einem allgemein anerkannten Rechtsgebot", erklärte am Donnerstag der Chefredakteur der Kommunikationsabteilung des Vatikans, Andrea Tornielli.

Eine Meldepflicht an staatliche Stellen ist zwar nicht vorgesehen, aber: Die Verpflichtung zur Anzeige an die kirchlichen Autoritäten beeinträchtige oder ändere keineswegs andere Meldepflichten, die in den zivilen Rechtssystemen vorgesehen sind, betonte Tornielli. In jedem Fall seien die Bischöfe verpflichtet, die zivile Justiz bei ihren Ermittlungen zu unterstützen. Das war bis jetzt nicht immer so.

Kreis der möglichen Opfer wird größer

Im päpstlichen Schreiben wird außerdem der Kreis der möglichen Opfer erweitert: Anzeigepflichtig ist nicht mehr "nur" die sexuelle Gewalt an Minderjährigen, sondern ganz allgemein sexuelle Gewalt oder Belästigung durch den Missbrauch von Autorität – also auch der Missbrauch von Ordensfrauen durch Priester oder den von Seminaristen oder Novizen durch deren Obere.

Eine der wichtigsten Neuerungen des Motu proprio ist zweifellos die Fokussierung auf die Bischöfe – also auf diejenigen kirchlichen Führungskräfte, die bisher nur allzu oft zwar von Missbrauchsfällen Kenntnis hatten, dann aber untätig blieben, die Täter schützten oder die fehlbaren Priester einfach in eine andere Pfarrei versetzten. Das neue päpstliche Gesetz sieht Verfahrensregeln für Ermittlungen gegen Bischöfe, Kardinäle und Ordensobere vor, die sich der Vertuschung oder des selber begangenen sexuellen Missbrauchs schuldig gemacht haben.

Untersuchungen binnen drei Monaten

In diesem Fall werden die Metropolitan-Erzbischöfe mit der Leitung des Verfahrens betraut. Sie können zu ihrer Unterstützung auch externe Fachleute beiziehen. Untersuchungen gegen Bischöfe müssen dem Erlass zufolge innerhalb von drei Monaten abgeschlossen sein. Binnen eines Monats nach Erhalt der ersten Meldung ist der Vatikan über den Stand der Ermittlungen zu informieren.

Damit auch Opfer unbürokratisch gegen fehlbare Kleriker Anzeige machen können, verpflichtet Papst Franziskus in seinem Schreiben die Bistümer in der ganzen Welt, bis Juni 2020 "stabile und der Öffentlichkeit leicht zugängliche Verfahren" einzuführen, mit denen sexueller Missbrauch durch Geistliche und Ordensleute sowie andere Delikte wie etwa die Kinderpornografie gemeldet werden können.

Wie diese Verfahren im Einzelnen aussehen sollen, schreibt der Papst nicht vor: Das sollen die Ortskirchen je nach eigener Kultur und eigenen Gegebenheiten entscheiden. Es müsse aber sichergestellt werden, dass die Anzeigen "mit größter Ernsthaftigkeit" behandelt würden und dass all jene, die sich an die Kirche wendeten, vor eventuellen Vergeltungsmaßnahmen geschützt werden.

Strafenkatalog unverändert

Den Strafenkatalog für sexuellen Missbrauchs lässt das Motu proprio unverändert. Nach Abschluss der Untersuchungen in der Diözese leitet der Bischof die Ergebnisse an den Vatikan weiter, und damit ist seine Arbeit beendet. Das zuständige vatikanische Dikasterium sanktioniert in der Folge den Täter auf der Grundlage der bereits bestehenden kirchenrechtlichen Normen. Schon vor der Verurteilung kann der Heilige Stuhl dem mutmaßlichen Täter unverzüglich vorbeugende und einschränkende Maßnahmen auferlegen, heißt es im neuen Erlass.

Das Motu proprio tritt am 1. Juni in Kraft und gilt vorerst für drei Jahre. Ein ähnliches Gesetz hatte der Papst bereits Ende März erlassen – es galt aber nur für den Kirchenstaat, nicht für die gesamte Weltkirche. (Dominik Straub aus Rom, 9.5.2019)