Computer war einst eine Berufsbezeichnung. Das ist lange her. Denn der digitale Wandel hat längst die Arbeitswelt aufgemischt, in Zukunft werden Automatisierung und künstliche Intelligenz die Anforderungen vom Busfahrer bis zum Topmanager verändern. Die Industriestaatenorganisation OECD schätzt, dass 14 Prozent der bestehenden Berufe akut von Automatisierung betroffen sind, weitere 32 Prozent werden sich substanziell verwandeln. Neu ist auch die zunehmende Schwierigkeit für Junge wie Erwachsene, einen sicheren Karrierepfad im Dickicht der Bedrohungsszenarien zu finden. Das führt zu teils paradoxen Entwicklungen.

Wie es OECD-Chef Ángel Gurría bei der Vorstellung einer Studie zum Thema digitale Kompetenzen sagte: "Ein Hochschulabschluss bedeutet nicht automatisch, hoch qualifiziert zu sein." Zumindest nicht über das ganze Arbeitsleben hinweg.

Paradoxon 1: Der Einsatz von neuen Technologien wie Tablets und Laptops in Schulen hat die Leistung von Schülern in Naturwissenschaften, Mathematik, Lesen und Problemlösen im Team gemindert.
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Nur wenige Länder ermöglichen ihren Bürgern die nötigen Kompetenzen und den Zugang zu lebenslanger Bildung, schreiben die Studienautoren. Neben Skandinavien sind dies Finnland und Belgien. Österreich bewegt sich irgendwo im Mittelfeld.

Gleichzeitig hat die OECD untersucht, wie aufwendig die (Um-)Schulung von bedrohten Arbeitern wäre, um diese für eine ähnlich bezahlte Stelle zu qualifizieren, die aber vor Automatisierung geschützt wäre. Demnach ließe sich jeder zweite bedrohte Arbeitsplatz mit einem Aufwand von einem halben Jahr Training retten beziehungsweise verlagern. Jeder fünfte Betroffene müsste über drei Jahre hinweg eine Ausbildung machen, um sich vor Digitalisierung zu schützen.

Paradoxon 2: Eine große Mehrheit europäischer Firmen nennt mangelnde Qualifikation als größte Hürde für neue Investitionen. Gleichzeitig sagen viele, dass sie ihren Mitarbeitern zu wenig an Weiterbildung bieten.
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In der Pflicht steht nicht nur der Staat, sondern auch die Wirtschaft und das Individuum. Die Erfahrung hat aber gezeigt, dass auf jeder dieser Ebenen, von überambitionierter Bildungspolitik über Firmen auf verzweifelter Suche nach Fachkräften bis zu überforderten Mitarbeitern, ein paradoxer Umgang mit den Chancen und Risiken durch neue Technologien entsteht, wie mehrere Beispiele illustrieren:

Tablets und Laptops in Klassen verschlechtern die Resultate von Schülern, weiß man mittlerweile. Die Antwort ist aber nicht, die Geräte zu verbannen, sondern sie richtig einzusetzen. Ein wiederkehrendes Problem ist die mangelnde Ausbildung der Lehrer. Österreich zählt sogar zu einer kleinen Gruppe von Ländern, in denen Personen trotz Hochschulabschlusses besonders oft auf Weiterbildung angewiesen sind, um sich vor Automatisierung zu schützen.

Paradoxon 3: Arbeiter in Jobs, die stärker von Automatisierung bedroht sind, nehmen seltener an Umschulungen oder Weiterbildungsmaßnahmen im Job teil als jene, die besser für den digitalen Wandel gerüstet sind.
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In diesen Ländern sagen Lehrer auch viel öfter als Vertreter anderer Berufsgruppen, dass sie ohne Weiterbildung überfordert sind. In der Lehrerausbildung liegt demnach ein wesentlicher Hebel, um Schüler auf die neue Arbeitswelt vorzubereiten, betont die OECD.

Unternehmen, die letztlich auf Fachkräfte angewiesen sind, springen aber auch zu wenig in die Bresche. Wie eine Umfrage der Europäischen Investitionsbank zeigt, beklagen über 70 Prozent der Firmen, dass mangelnde Qualifikation die größte Hürde für Investitionen sind. Gleichzeitig gestehen viele ein, dass sie ihre Mitarbeiter nicht genügend fortbilden. Der Grund: Viele fürchten, dass ihre Angestellten nach einer teuren Fortbildung zu einem anderen Unternehmen wechseln.

Paradoxon 4: Eine wachsende Zahl an professionellen Onlinekursen ist kostenlos verfügbar. Diese werden aber vermehrt von jenen beansprucht, die bereits eine – oftmals teure – Ausbildung abgeschlossen haben.
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Außerdem pflanzen sich früh entstandene Defizite fort: Wer bereits digitale Kompetenzen hat, kommt öfter in den Genuss von Fortbildungen im Unternehmen. Das umfangreiche Angebot an Gratiskursen im Internet wird vor allem von jenen genutzt, die bereits gut ausgebildet sind.

Das Fazit: Um die Gesellschaft auf den digitalen Wandel vorzubereiten, muss lebenslanges Lernen an die Stelle des straffen Bildungswesens treten.

Die gute Nachricht: Die Mittel dazu haben wir bereits; ironischerweise auch dank der Digitalisierung. Onlinekurse, Lernapps und leistbare Hardware haben in den richtigen Händen vielen Menschen geholfen. Der Trick ist, diese Mittel richtig zu portionieren und zu verteilen; ein Leben lang. (Leopold Stefan, 9.5.2019)