"Wir müssen Widerstand leisten", lautet das Credo und der Aufruf des Autors und Schriftstellers Martin Pollack.

Foto: Burgtheater / Georg Soulek

"Die Diskussionsreihe Grenzgänger/Grenzdenker", so kann man auf der Homepage des Burgtheaters seit 2014 lesen, "soll helfen, uns in diesen schwierigen wie turbulenten Zeiten zu orientieren". Das klingt aktueller denn je, denn an der Ausgangssituation hat sich seit ihrem Beginn vor fünf Jahren nichts geändert, im Gegenteil, wir bedürfen eigentlich noch mehr an Orientierung, um den politischen Diskurs weiterzuführen.

Mit Europa standen und stehen auch die unterschiedlichen Sichtweisen auf dem Prüfstand, und gerade hier fand in den letzten Jahren einiges an Aufklärung statt, die neuen Sichtweisen werden uns hoffentlich nicht verlorengehen.

Martin Pollack nimmt das Ende gelassen. "Man kann ja nicht nimmer dasselbe machen, und eine neue Burgtheaterdirektion will auch auf neue Formate setzen." Da ist was dran. Die Diskussionsreihe entstand unter der Intendanz von Karin Bergmann, Martin Pollack hat das Format mit seiner Sachkenntnis und seinen Kontakten nach Osteuropa mit Leben erfüllt, nicht zuletzt auch mit viel Engagement und Weitblick.

Als die Reihe im November 2014 startete, konnte niemand noch jene Entwicklungen in Europa voraussehen, die bald unter Bezeichnungen wie -Krise, -Welle, -Strom (voranzusetzen jeweils das Wort Flüchtling) unseren Diskurs und selbst unsere Sprache bestimmen würden, was letztlich, um auch das mit einem Bild zu bezeichnen, mit einer Vertiefung der Gräben zwischen West und Ost, aber auch quer durch unsere Gesellschaften einherging.

Heute geht es um nichts weniger als den Zusammenhalt der EU. Rechts- und Linkspopulismus, Einschränkungen von Justiz und Pressefreiheit stellen die Demokratie infrage, die Krise in der Ukraine und die Störmanöver Putins bedeuten eine ernstzunehmende Gefahr von außen.

Einen guten Riecher

Hier war Pollacks Denk- und Gesprächsreihe immer topaktuell. Am Höhepunkt der Ukraine-Krise, als plötzlich an der Außengrenze der EU ein kriegerischer Konflikt aufflammte, hatte er mit der Schriftstellerin Yevgenia Belorusets und dem Historiker und Publizisten Yaroslav Hrytsak zwei hochrangige ukrainische Intellektuelle zu Gast.

Als in Ungarn die Pressefreiheit immer mehr eingeschränkt wurde, diskutierte er mit György Dalos und Zsófia Bán. Mit den Schriftstellerinnen Olga Tokarczuk aus Polen und Kateryna Mishchenko aus der Ukraine sprach er 2016 über die Renaissance eines beängstigenden Patriotismus in beider Heimat. Und wenige Wochen bevor in der Slowakei eine liberale Politikerin überraschend zur Staatspräsidentin der Slowakei gewählt wurde, war jüngst Michal Hvorecký in Wien und äußerte eine vage Hoffnung.

Manchmal hat Pollack aber auch den richtigen Riecher gehabt: So war im November 2014 die weißrussische Schriftstellerin Swetlana Alexijewitsch sein erster Gast, damals konnte nicht einmal er noch ahnen, dass sie im Jahr darauf den Literaturnobelpreis erhalten würde, aber dass sie dafür prädestiniert war, war ihm – im Gegensatz zu vielen anderen Fachleuten des Literaturbetriebs – schon länger klar.

Wer damals im Kasino am Schwarzenbergplatz war, erlebte also exklusiv eine künftige Nobelpreisträgerin, bekam Auskunft über ihr Schreiben, über Repressionen in ihrer Heimat, vor allem aber den Einfluss, den "Putins neues Russland", so lautete damals das Thema, zunehmend auf Osteuropa nimmt.

Im Nachhinein war dieser erste Abend eine Sternstunde, ebenso wie jener mit Adam Michnik zwei Jahre später, als das Thema vielsagend "Rückkehr nach Europa und zurück" lautete, im Mittelpunkt jene Entwicklungen, die die ehemaligen Ostblockstaaten nach 1989 genommen haben, wobei der abermalige Richtungswechsel auch mit einem gesamteuropäischen Paradigmenwechsel zusammenfällt und Begriffe wie Backlash auch den Westen betreffen.

In den vergangenen fünf Jahren galt es immerhin auf neue Umbrüche in Europa zu reagieren. Mit seinen Gästen, darunter auch der Russland-Kenner Karl Schlögel (der einzige Nichtosteuropäer) oder der rumänische Autor Mircea Cărtărescu, hat Pollack aber nicht nur aktuelle Veränderungen erörtert, er hat auch ein Fenster in den Osten geöffnet, mit dem wir uns immer noch viel zu wenig auseinandersetzen, von dem wir auch kaum etwas wissen.

Dabei ist der Osten als geschichtlicher Raum Teil unserer eigenen Identität, jener Osten, der uns alle angeht und dessen Bedeutung Martin Pollack seit Jahrzehnten nicht müde wird uns ins Bewusstsein zu rufen.

Zeuge des politischen Wandels

Als Schriftsteller, Journalist, Übersetzer und Kulturvermittler ist er seit Jahrzehnten direkter Zeuge des politischen Wandels. Als Spiegel-Reporter verfolgte er einst die Anfänge der Solidarność-Bewegung, als niemand noch ahnen konnte, welche Auswirkung sie einmal haben würde. Mit Václav Havel führte er, am tschechischen Geheimdienst vorbei, ein Gespräch, als dieser noch Aktivist im Untergrund war.

Bei der samtenen Revolution 1989 stand er schließlich selbst auf dem Prager Wenzelsplatz. Und schon Jahre zuvor hat er Galizien, damals noch Sperrgebiet im Ostblock, wiederentdeckt und ins Blickfeld des Westens gerückt. Später hat ihn auch die Spurensuche nach seiner eigenen Familie über vielerlei Grenzen geführt (dem wird übrigens auch ein neues Buch im Herbst noch einmal Rechnung tragen).

Das Format Grenzgänger/Grenzdenker war jedenfalls maßgeschneidert für ihn. Zuvor hatte Pollack drei Jahre lang das Programm der Leipziger Buchmesse kuratiert, bekannte Autoren aus Osteuropa nach Leipzig gebracht und noch unbekannten die Tür in den deutschen Literaturbetrieb geöffnet.

So wie er auch am polnischen Kulturinstitut in Wien mit der Reihe "Martin Pollack präsentiert" jahrelang der polnischen Literatur ein wichtiges Forum geboten hat – bis die rechtspopulistische Kaczyński-Regierung diese wertvolle Zusammenarbeit und damit einen unschätzbaren Dienst an der polnischen Kultur beendete. Kritische Geister sind ein Störfaktor ...

Sorgen um die Pressefreiheit

Ja, hoffentlich! Umso mehr bräuchte es auch weiterhin, gerade wo wir uns auch hierzulande Sorgen um die Pressefreiheit machen müssen, solche Einlassungen, nicht zuletzt als jene Orientierungshilfe, die die Gesprächsreihe tatsächlich fünf Jahre lang war.

Dass der letzte Gast am 16. Mai Martin Pollack selbst sein wird, ist immerhin ein schöner und logischer Abschluss, und das Publikum, das stets auch von Pollacks Leidenschaft beeindruckt war, mit der er Themen und Gäste präsentierte, darf jedenfalls gespannt sein. Eines ist aber jetzt schon klar: Es wird ihn und seine Gäste vermissen. (Gerhard Zeillinger, 13.5.2019)