Sylvia Plath (rechts) mit Mutter und Kindern

Foto: www.picturedsek.com / Everett Collection

Auf diesem Bild mit ihrem Ehemann Ted Hughes.

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Brauchen wir noch weitere Informationen über Sylvia Plath? Immerhin mischen seit einem halben Jahrhundert verschiedene Stimmen an der Erzählung über die Dichterin mit: Mutter, Ehemann, Tochter, Literaturwissenschafter, ja sogar Psychologen, die einen Zusammenhang von Depression und Lyrik besonders bei Autorinnen auszumachen glaubten und ihr Forschungsergebnis "Sylvia-Plath-Effekt" tauften. Oft wird dabei weniger Plaths Werk als ihr Selbstmord thematisiert: Suizid als logische Folge eines genialischen Geistes, als künstlerischer Akt, als Opferung.

Die Frauenbewegung der 70er-Jahre stilisierte die mit dem Lyriker Ted Hughes Verheiratete zur Leidtragenden einer rücksichtslosen Männergesellschaft; Anhängerinnen kratzten wiederholt den Namen des Mannes von Plaths Grabstein. Ihr Roman Die Glasglocke liefert ein Bild für bedrückende Seelenzustände. Nun gibt es mit der umfangreichen Publikation von Plaths Briefen ein zusätzliches Kapitel der Erzählung über die zur Ikone erklärten Autorin.

Cambridge und Flitterwochen

Der erste Band folgt dem Weg der begabten Schülerin bis zur Zäsur durch den frühen Tod des Vaters. Wir lesen über ihr Studium in Cambridge bis zu den Flitterwochen. Die Liebesbriefe an Ted Hughes zeigen, wie sehr Plath von seinem Genie überzeugt war und wie willig, alles zu tun, dies auch anderen zu beweisen.

Gemeinsam werden sie unschlagbar sein. Wir lernen Plath als Autorin, Tochter, Gefährtin kennen. Sie wirkt euphorisch, witzig, ehrgeizig. Der optimistische Ton wird auch im zweiten Band noch 800 Seiten lang gehalten. Dann endet die Hochstimmung, als Hughes die Familie verlässt.

Die sorgsam aufrechterhaltene Welt zerfällt. Und man begreift, dass die unzähligen Briefe auch ihrer Selbstvergewisserung dienen. In Berichten an andere formuliert Plath eine erstrebenswerte Existenz, und die Adressaten sollen anerkennen, dass dieses Leben tatsächlich so wunderbar ist, wie sie es ihnen beschreibt.

Mutter mit österreichischen Wurzeln

So erfährt die Mutter Aurelia Schober Plath, Lehrerin mit österreichischen Wurzeln, vor allem von Erfolgen. Nahezu ein Drittel der Briefe sind an sie gerichtet. Sie muss bekräftigen, wie toll es ist, dass Teds Gedichte in einem namhaften Verlag herauskommen, erfährt Details über Stoffe, die Plath gekauft hat, um Kostüme schneidern zu lassen, wozu die Seidenblusen passen, dass sie gut waschbar sind, in welchem Versmaß ihr Gedicht verfasst ist.

Der Mutter werden Rezepte mitgeteilt, Unterrichtsvorbereitungen berichtet, Begegnungen mit Berühmten nacherzählt. Sie erfährt von jedem Text, den Sylvia oder Ted veröffentlichen und wie viel Geld sie dafür bekommen. Als wäre die Mutter ein Spiegel, dem die Tochter sich unablässig zeigen muss, um zu begreifen, was sie ist. Und weil neben dem Literarischen auch Plaths Ehe ein Erfolg sein muss, hilft die Mutter beim Gelingen, besorgt Sommeranzüge und Hemden für Ted, damit er gute Figur machen kann.

Schickt Kuchenmischungen über den Atlantik und erfährt zum Dank, wie es dem Gatten schmeckt. Hughes wird bald der beste Dichter Amerikas sein, prophezeit Plath. Sogar Schwangerschaft und Hausgeburt des ersten Kindes verlaufen problemlos. Bereits am Tag danach tippt Plath neben dem Baby in ihre Olivetti, stolz auf das nächste erreichte Ziel einer ewigen Bindung an Ted, einer Symbiose, in der sie nicht mehr nur sie selbst sein muss. Wichtiger als Religion und Karriere sei ihr die Ehe, bekennt sie einmal.

Will alles und kriegt alles

So lesen wir in ihren Briefen ständig vom Glück der Überfliegerin in all den Bereichen, die eine Frau je ausfüllen kann. Beide Dichter können in den angesehensten Magazinen veröffentlichen. Sie ziehen aufs Land. Plath gärtnert, kocht, näht, streicht, mäht den Rasen, tippt ihre Texte und seine, managt die Finanzen, stillt und versorgt die Kinder. Sie will alles, sie kriegt alles.

Vergessen sind die Zeiten der Unsicherheit, des Zusammenbruchs nach ihrem Aufenthalt in New York, wo die Studentin ein Volontariat für die Zeitschrift Mademoiselle absolviert hatte, wie Plath in ihrem halb autobiografischen Roman Die Glasglocke beschreibt, welcher kurz vor ihrem Tod unter einem Pseudonym erscheint.

Die Vorgaben waren streng, nicht nur ihre Texte wurden beschnitten, auch Kleidervorschriften und soziale Codes schränkten sie ein. Belastend wirkte zudem ein sexueller Übergriff, sodass die Autorin kurz nach ihrer Abreise aus New York einen Selbstmordversuch unternahm. Betreut wurde sie damals von der Therapeutin Ruth Beuscher, deren erste Patientin Plath gewesen sein soll.

Als das junge Ehepaar in den USA lebt, sucht Plath Beuscher neuerlich auf. Die Therapeutin bleibt eine wichtige Bezugsperson, wann immer es kriselt. Bis zum Sommer 1962 schafft Plath es noch, die Anforderungen von Karriere, Ehe, Haushalt und Kindern zu bewältigen. (Außergewöhnlich für diese Zeit, denken wir an andere Autorinnen, zum Beispiel Ingeborg Bachmann, die kinderlos blieb.)

Nur die schönen Seiten

Dann wird nicht Plath, sondern Ted alles zu viel. Das Genie beginnt eine Affäre, will sich befreien, nicht mehr verheiratet, nicht mehr Vater sein. Das altbekannte Lied, es klingt bis heute: Frau arbeitet sich ab, Mann fühlt sich nicht genug beachtet, beginnt neues Leben, Frau bleibt mit dem Nachwuchs allein.

Als Plath von Teds Betrug erfährt, ist ihre Mutter aus den USA zu Besuch, und sie wagt es nicht, der angeblich so Vertrauten ihre Erschütterung mitzuteilen. Die Mutter darf nur die schönen Seiten der musterhaften Tochter kennen; den Misserfolg als Ehefrau verheimlicht sie. Das erfahren Leserinnen aber nur, weil in die Briefsammlung – durch einen Zufall – auch Plaths an Dr. Beuscher gerichtete Schreiben eingefügt wurden, in denen sie Klartext spricht.

Aufgetaucht waren sie in den Unterlagen einer feministischen Forscherin, landeten dann bei einem Händler, der sie zum Kauf anbot und für seine Ware warb, indem er gut lesbare Ansichten besonders brisanter Zeilen ins Netz stellte. Als Spekulationen aufflammten, erwarb das College, an dem Plath studiert und gelehrt hatte, die Briefe und übergab sie der Tochter des Dichterpaars, Frieda Hughes.

Im Vorwort des zweiten Bands schreibt diese über ihre Einschätzung des Materials und versucht nachträglich zwischen den Eltern zu vermitteln. Es gebe weder Heilige noch Opfer in der komplizierten Ehe der beiden. Die Tochter war drei Jahre alt, als ihre Mutter den Kopf ins Backrohr steckte, das Gas aufdrehte, nicht ohne vorher die Türritzen sorgfältig abgedichtet und das Frühstück für ihre schlafenden Kinder bereitet zu haben.

Ted zerstörte ihr letztes Tagebuch

Dichterin wie ihre Eltern, musste Frieda Hughes verschiedene Versionen vom Leben und Tod ihrer Mutter ertragen, welche meist dem Vater die Schuld am Suizid zuschoben. Im Vorwort relativiert sie Plaths drastische Schilderung eines in Gewalt ausgearteten Streits mit Hughes, indem sie den Vater verteidigt. Plath hatte kurz nach diesem Vorfall eine Fehlgeburt, wie sie Dr. Beuscher in einem Brief gestand.

Ob nun Plath in ihrem Furor übertrieb oder Hughes ein Geheimnis wahrte, indem er ihr letztes Tagebuch mit dem Argument, man müsse die Kinder schützen, zerstörte, ist nicht mehr nachprüfbar. In Plaths Briefen an Dr. Beuscher jedenfalls wird das Ausmaß ihrer Zerrüttung nach dem Scheitern der Ehe spürbar. Sie erzählt von Unsicherheit und Ängsten, sucht die Schuld auch bei sich selbst, will Ted nicht freigeben, bittet um Ratschläge, etwa wie sie sich angesichts der zahllosen Geliebten ihres Ehemanns verhalten soll.

Die Situation setzt ihr körperlich zu. Sie verliert Gewicht, beginnt zu rauchen, wird abhängig von Schlaftabletten, wechselt zwischen Aufbruchsstimmung, Schmerz und finanziellen Sorgen.

Die Briefe an die Therapeutin sind ihr auch Hilfe, ihre schwierige Lage zu analysieren und Auswege zumindest auf schriftlichem Wege zu finden. Plath schwankt zwischen Hass auf Ted und Versuchen, die Krise als Chance zu sehen. Sie benennt ihre Schwächen, ihren Zwang, ständig den früh verstorbenen Vater wiederfinden zu wollen, die panische Angst davor, wie ihre Mutter als Alleinerzieherin zu enden.

In einem Anfall verbrennt sie sogar alle Briefe Aurelias. Nun ist sie zu erschreckender Klarsicht fähig, scheint aber zu hoffen, dass mit der Analyse die Gefühlsstürme sofort zur Ruhe kommen. Fast hat man den Eindruck, dass sie die existenzielle Krise genauso überfliegerisch erledigen will wie so vieles, was ihr im Leben bereits gelungen ist.

Euphorie über Unabhängigkeit

Die Verarbeitung eines derartigen Einbruchs braucht jedoch Zeit und vor allem Energie. Die hatte Plath wohl irgendwann nicht mehr. Nachdem es ihr noch geglückt war, nach London zu ziehen, Geld zu verdienen, sich um die mittlerweile zwei Kinder zu kümmern, blieb wenig Sorge für sich selbst.

Nach der Euphorie über ihre Unabhängigkeit beginnt Plath darunter zu leiden, nicht mehr Teil des ehrgeizigen Dichterpaarprojekts zu sein. Dennoch verlangt sie sich alles ab, steht um vier Uhr früh im Dunkeln auf, um zu dichten, bis die Kinder erwachen. Das wäre so wie in einem Tunnel zu arbeiten oder in den Eingeweiden Gottes, schreibt sie einmal.

Sie hält sich an die Sprache. Weiterhin gelingt es ihr, die Essenz persönlicher Erfahrungen in Kunstwerken zu verdichten. Brief, Tagebuch und Gedicht stellen verschiedene Phasen dieser Selbstbehauptung dar. In einem Brief an Dr. Beuscher meint sie zum Beispiel, sie sei gezeichnet von Teds Verrat wie von einer KZ-Nummer auf der Haut.

Drei Tage später arbeitet sie am Gedicht Daddy, in dem sie Dachau, Auschwitz und Belsen erwähnt, sich mit der deutschen Abstammung ihres Vaters Otto auseinandersetzt. Die private Beziehung bildet den Anlass, sich den Naziverbrechen auch auf emotionaler Ebene zu nähern. Bereits in The Colossus findet Plath mit einer kolossalen Statue, in der sie haust und gefangen bleibt, ein gruseliges Bild für den Vater.

Dilemma

Dagegen versucht das weibliche Ich in Daddy nun einen Mord: Daddy, ich mußte dich töten. / Doch bevor ich dazu kam, starbst du. Die Tochter rammt ihm einen Pflock durchs Herz, um die Vergangenheit endlich loszuwerden: Daddy, du Drecksack, jetzt hab ich genug. Das ist drastisch, hart, mitreißend, wie auch Plaths Stimme, wenn sie rezitiert.

In einem Interview bezeichnet Plath sich übrigens als First- und Second-Generation-Amerikanerin gleichzeitig, stellt sich als politisch interessierte Autorin vor, welche Erfahrungen des Herzens mit Hiroshima und Dachau verbinde, was so gar nicht zum romantisierten Bild der schönen blonden Selbstmörderin passt.

Schlussendlich ist es ihre große Liebe Hughes, der die Gedichte, die sie in diesen schwierigen Monaten verfasste, herausgibt. Abgesehen von ihrem literarischen Werk scheint uns das Dilemma der Autorin bis heute zu beschäftigen, weil wir weiter keine Lösungen für die Vereinbarkeit von Karriere und Kindern und keine für Künstlerpaare mit Nachwuchs jenseits tradierter Geschlechterrollen gefunden haben.

Wahrscheinlich wäre im Gegensatz zu Plaths Bemühen, alle ihr zugewiesenen Aufgaben perfekt zu erfüllen, mehr Wut nötig oder mehr Bequemlichkeit, um sich nicht andauernd für alles und alle verantwortlich zu fühlen.

Auch garantierte Krippen- und Kindergartenplätze würden helfen sowie therapeutische Betreuung auf Krankenkasse in Krisenzeiten. Plaths Behandlung bezahlte eine Mäzenin. Ohne deren Hilfe hätte die Autorin ihre Therapeutin nie kennengelernt und wären die beiden gewaltigen Briefbände nur halb so interessant. (Sabine Scholl, 11.5.2019)

Cover: Verlag
Cover: Verlag

"The Letters of Sylvia Plath. Volume I: 1940-1956" und "Volume II: 1956-1963", edited by Peter K.Steinberg and Karen V. Kukil