Kurt Palm, Regisseur, Autor und ehedem STANDARD-Kolumnist, hat sich wieder einmal in der österreichischen Provinz umgetan und dabei viel Süffiges zutage gefördert.

Foto: Michaela Mandel

Hans Gstöttner stand in seiner Jägertracht vor dem Gratis-Badetuch des Let’s-do-it-Fachmarkts Krautschneider und Eberhard, auf dem der abgetrennte Frauenfuß und das Hundebein lagen. Gertrude Pixner wusste, dass sie das Badetuch nie mehr verwenden würde. Ein paar Schmeißfliegen hatten sich auf den Frauenfuß gesetzt, um dort ihre Eier abzulegen. Das Stillleben sah aus wie die Werbung für ein veganes Restaurant. Wegen der Hitze hatte Gstöttner seine an einigen Stellen bereits fadenscheinige Jacke aufgeknöpft, wodurch sein mächtiger Bauch noch deutlicher zum Vorschein kam. An der Leine hielt er seinen winselnden Langhaardackel Wastl, der unruhig mit dem Schwanz wedelte. Robert, der Junge, der den Frauenfuß und das Hundebein im See entdeckt hatte, verfolgte aufmerksam die Amtshandlung.

"Ja, das ist der Schuh von meiner Frau", sagte Gstöttner mit tränenerstickter Stimme. "Die Schuhe hat sie sich vor ein paar Tagen noch extra beim Charles Vögele in Stockham im Sonderangebot gekauft. Nur 19,90 haben sie gekostet, statt 25,90. Oder war es beim Takko? Jetzt bin ich ganz durcheinander." Mit seinem rot karierten Stofftaschentuch wischte er sich die Tränen aus den Augen.

Dabei blieben ein paar Rotzreste an seinen buschigen Augenbrauen hängen. Bei näherer Betrachtung hätte man allerdings bemerkt, dass es sich bei der Substanz nicht um Rotz, sondern um Spermien handelte. Wie jeden Morgen hatte Gstöttner nämlich auf dem Hochstand in sein Taschentuch onaniert und mit seinem Gegrunze das ganze Wild verscheucht. Nur ein paar Wildschweine waren angetrabt gekommen, weil sie dachten, ein Artgenosse hätte etwas Interessantes entdeckt. Wastl, den Gstöttner im Rucksack hochgeschleppt hatte, saß währenddessen daneben und hechelte, als würde er gerade die Nachbarshündin besteigen.

"Wissen Sie, wann Ihre Frau das Haus verlassen hat?" Polizeikommandant Stallinger konnte dem Jäger nicht in die Augen schauen, weil ihm sonst das Mittagessen hochgekommen wäre.

"Ja, sie hat jeden Tag um sechs Uhr mit dem Hasso einen Spaziergang gemacht. Früher ist sie ja immer eine andere Runde gegangen, und zwar die Strecke vom Pfadfinderheim hinunter in die Scharten und dann hinauf zur Scheiben. Aber seitdem in der Scharten ein Wiener Künstler gebaut hat, wollte sie diesen Weg nicht mehr gehen. Der Wiener hat meine Frau nämlich immer beschimpft, wenn der Hasso in die Wiese – na ja, also wenn er halt müssen hat."

Robert verjagte die Schmeißfliegen, die sich gleich wieder auf den Frauenfuß setzten, das Hundebein aber merkwürdigerweise verschmähten.

Hundeverbot im Strandbad

"Das ist unwichtig", sagte Stallinger gereizt. "Und Ihre Frau hat also heute um sechs Uhr gemeinsam mit dem Schäferhund das Haus verlassen?"

"Ja, und sobald sie losmarschiert ist, hat sie Das Wandern ist des Müllers Lust gesungen. Ganz laut. Sie war ja eine begeisterte Sängerin, auch wenn die Leute in der Nachbarschaft sich oft über sie beschwert haben. Aber die haben halt keinen Sinn mehr für die heimatverbundenen Lieder."

"Ob Ihre Frau eine gute Sängerin war oder nicht, interessiert mich nicht", sagte Stallinger ungehalten. "Ihre Frau hat also jeden Tag in der Früh das Strandbad hier besucht?"

"Ja, die beiden sind immer auf den langen Holzsteg da hinausgegangen, damit der Hasso ins Wasser springen konnte. Der hat ja so gerne gebadet."

"Dass im Strandbad aus sanitätspolizeilichen Gründen ein ganzjähriges Hundeverbot besteht, wissen Sie aber schon?", mischte sich Inspektor Wegleitner in das Gespräch ein. "Die Verbotstafeln im Eingangsbereich sind doch unübersehbar."

Gstöttner warf ihm einen giftigen Blick zu. "Sind Sie vielleicht auch einer von diesen Hundehassern?"

"Nein, sicher nicht. Aber es ist halt nicht besonders angenehm, wenn man sich auf einer Liegewiese in einen Haufen Hundescheiße legt."

Stallinger machte eine beschwichtigende Geste. "Das gehört jetzt nicht hierher. Ist Ihre Frau immer direkt ins Strandbad gegangen?"

Gstöttner überlegte kurz. "Ja, ich glaube schon. Ich war um diese Zeit ja meistens schon im Wald."

"Wie lange braucht man von Ihrem Haus hierher?"

"Eine Viertelstunde oder zwanzig Minuten vielleicht. Wir wohnen oben, nicht weit vom Pfadfinderheim entfernt, in dem großen, schönen Haus mit den vier Säulen, den drei Erkern und den zwei Türmchen. Und mit der drei Meter hohen blickdichten Thujenhecke. Dort, wo am Gartentor zwei Schilder hängen: ‚Welcome to My Paradise‘ und ‚Beware of the Spicy Dogs‘."

"Hä?" Inspektor Wegleitner hatte keine Ahnung, wovon Gstöttner überhaupt sprach.

"‚Willkommen in meinem Paradies‘. Und: ‚Bewahre uns vor den scharfen Hunden‘", klärte ihn Gstöttner auf.

"Das stimmt ja gar nicht", mischte sich Robert lautstark ein. "‚Beware‘ heißt nicht bewahren, sondern, dass man sich in Acht nehmen soll." Und stolz fügte er hinzu: "Ich habe in der Neuen Mittelschule nämlich einen Einser in Englisch."

Langsam dämmerte Gstöttner, dass er nicht hergerufen worden war, um sich über Englisch-Vokabeln zu unterhalten. "Aber, was ist denn eigentlich genau passiert mit meiner Frau?" Beim Anblick der abgetrennten Gliedmaßen begann Gstöttner erneut zu weinen, dazu sang er mit zitternder Stimme:

"Das Wandern ist des Müllers Lust,

das Wandern ist des Müllers Lust,

das Wahaandern ..."

"Wastl, Wastl, da komm her!"

Dem Langhaardackel wurde das alles zu viel, und mit einem Ruck riss er sich los und schnappte sich den Fuß seines Frauchens. Wahrscheinlich war ihm dessen Geruch irgendwie bekannt vorgekommen. Die Schmeißfliegen flogen in alle Richtungen davon, ohne auch nur ein einziges Ei abgelegt zu haben. Und noch ehe jemand etwas unternehmen konnte, war der Hund samt dem Fuß im Maul über alle Berge. "Wastl, Wastl, da komm her!", rief Gstöttner verzweifelt, aber der Hund scherte sich einen Dreck um den Befehl seines Herrchens.

Badegäste begannen hysterisch zu schrei en, Kinder liefen kreischend davon, und ein Betrunkener verfolgte Wastl, um ihn ein zufangen, was ihm aber nicht gelang. Stattdessen stolperte er über eine Luftmatratze mit Einhornmotiv und fiel der Länge nach auf eine junge Frau, die wegen der Helene-Fischer-Lieder, die sie über ihr ultramodernes Headset in voller Lautstärke hörte, von dem ganzen Tumult gar nichts mitbekommen hatte. "Verdammte Scheiße, jetzt habe ich mir den Arm gebrochen", jammerte der Betrunkene. "Jemand muss die Rettung holen."

"Hättest halt weniger gesoffen", rief ein Fettwanst mit einer Bierflasche in der Hand und lachte blöd. Seine Frau stand daneben und lachte noch blöder. Ihren aus Fettpolstern bestehenden Rücken zierte ein riesiges Tattoo, das entweder Ozzy Osbourne oder Madonna zeigen sollte, so genau war das nicht mehr zu erkennen. Beim Anblick dieser Frau drängte sich die Frage auf, weshalb im Strandbad von Sonnleiten nicht schon längst eine generelle Burkinipflicht bestand. Die Männer hätten sich ja in Erdäpfelsäcke hüllen können.

Die junge Frau, die von dem Besoffenen unsanft aus ihrem Helene-Fischer-Paradies vertrieben worden war, stieß einen gellenden Schrei aus und rief: "Hilfe, Hilfe, ein Ausländer will mich ausgreifen. Holt sofort die Polizei."

"Ich bin kein Ausländer", antwortete der Betrunkene empört. "Und ausgreifen kann ich dich leider auch nicht mehr, weil ich mir ja den Arm gebrochen habe. Außerdem bin ich ein Inländer, und zwar bin ich aus Witzmanning, wenn du es genau wissen willst. Darum trinke ich auch nur Inländer-Rum."

Ein junger Bursche im Che-Guevara-T-Shirt, der die Szene beobachtet hatte, ballte die Faust und rief: "Lieber Inländer-Rum als Ausländer raus."

Wie von einer Tarantel gestochen sprintete der Hund über den Parkplatz auf die Straße, wo er prompt von einem schwarzen Land Rover Jeep Grand Cherokee mit 258 PS überfahren wurde. Offenbar wollte Wastl den Fuß seinem Frauchen nach Hause bringen. Dass er ausgerechnet deren Fuß im Maul hatte, konnte der Hund natürlich nicht wissen. So gescheit war er dann auch wieder nicht.

Zum Glück war aber nur der Hund überfahren worden, und der abgetrennte Fuß von Anneliese Gstöttner war heil geblieben. Sonst hätten die Gerichtsmediziner ja nichts mehr zum Untersuchen gehabt. Polizeikommandant Stallinger schlug die Hände über dem Kopf zusammen und fragte sich, weshalb er keinen anständigen Beruf erlernt hatte. (Vorabdruck aus dem Roman "Monster" von Kurt Palm, 11.5.2019)