Die Hände im Spülwasser, das Kind im Bauch: ein Bild 1979 und nachgestellt 2015.

Foto: Orly Zailer

Das Foto zeigt eine junge Frau, die in geblümter Unterwäsche in ihrer Küche steht. Sie ist hochschwanger, hat die Hände gerade ins Spül wasser getaucht und den Blick, der noch unentschlossen zwischen Überraschung und Belustigung taumelt, in die Kamera gerichtet. Ein privater Schnappschuss, entstanden 1979. Und noch einmal 2015. Diesmal ist die auf dem Originalbild ungeborene Tochter in der Pose ihrer Mutter zu sehen. Auch sie ist hochschwanger.

Man sieht die Wiederholung eines intimen Moments, der eigentlich nicht wiederholbar ist, weil die Intimität auch auf der Beziehung zwischen den Personen vor und hinter der Kamera beruht. Bei Aviva Houli hat der Freund oder Ehemann den Auslöser betätigt. Bei ihrer Tochter Dikla war es eine Professionistin: Die israelische Fotografin Orly Zailer stellt alte Fotografien aus Familienalben mit den Töchtern und Söhnen, Enkeln und Urenkeln der Personen auf den Originalbildern nach.

The Time Elapsed Between Two Frames heißt eine 2012 begonnene Werkserie, für die sie mit viel Aufwand Schauplätze, Requisiten, Kleidung, Schattenwürfe, den Gelbstich eines Siebzigerjahrefotos rekonstruiert.

Nostalgie

In Zailers Bildern liegt Nostalgie. Dabei geht es ihr nicht darum, die Sehnsucht nach dem Gestern zu bedienen. Sie interessiert sich für die Macht der Bilder und dafür, wie sie unsere Erinnerungen formen. An einen Tag am Meer, ein lange zurückliegendes Weihnachtsfest, bei dem die Leute seltsame Frisuren trugen, eine Szene im großelterlichen Garten.

Bilder sind der Beweis für das, was war. Aber ihnen ist nicht über den Weg zu trauen. Das haben Gedächtnisforscher bewiesen, in dem sie Menschen mit gefakten Fotos dazu brachten, sich an Dinge zu erinnern, die nie stattgefunden haben. Selbst wenn auf die Echtheit Verlass ist, fragt sich immer noch, welche Wirklichkeit eine Familienfoto abbildet. Oder was all jene Bilder zu erzählen hätten, die nie gemacht wurden.

Als während ihres Fotografiestudiums in London die Aufgabe "Familienalbum" gestellt wurde, kramte Zailer ein Bild der Eltern aus einer Schatulle hervor. Es zeigt ein fröhliches Paar, fotografiert zehn Jahre vor der Geburt der Tochter.

Die Ausstattung war nicht schwer zu beschaffen, auch die Frisuren ließen sich angleichen. Doch es bedurfte, erzählt Zailer, unzähliger Versuche, bis es ihr und ihrem Partner gelang, sich an das anzunähern, was vierzig Jahre zuvor mit einem Schnappschuss eingefangen worden war: der Zauber eines glücklichen Moments.

Emotionales Minenfeld

Zailer begann, in Fotoalben von Freunden, dann auch Fremden nach Ähnlichkeiten zwischen Familienmitgliedern zu suchen. Vergangenes Jahr startete sie einen Aufruf in Tirol und Vorarlberg. Zwanzig neue Bildpaare sind seither entstanden. Sie sind unter dem Titel Ahnen. Neue Porträts neben früheren Arbeiten derzeit in Innsbruck zu sehen.

Der Drang, das eigene Leben in Bildern zu erzählen, ist – siehe Instagram – größer denn je. Aber was passiert, wenn man auf einem Foto nicht nur sich selbst, sondern auch einen Angehörigen repräsentiert? "Framing" nennt es die Sozialwissenschaft, wenn das, was wir wahrnehmen, in bestimmte Deutungsraster eingebettet ist. Fotoalben bilden einen Rahmen für das Familiengedächtnis, das sich durch Zailers inszenierte Doppelgängerschaften verschiebt oder erweitert.

In der Kulisse eines Wirtshauses zum Beispiel, in dem vor 50 Jahren die Großeltern von Michaela Fessel ein Tänzchen wagten. Die Enkelin ist ihrer Oma wie aus dem Gesicht geschnitten. Befragt man sie zu ihrer Beziehung und zur Entstehungsgeschichte des Fotos, steigen ihr die Tränen in die Augen.

Bilder sind ein emotionales Minenfeld. Wenn man sie reinszeniert, kommen ganz neue Emotionen hinzu: Manchmal geht es um ein Abschiednehmen oder um ein spätes Kennenlernen. Eine Ahnung davon überträgt sich auf die Betrachtenden, die die dahinterliegenden Geschichten nicht kennen. (Ivona Jelčić, 11.5.2019)