Im Polizeigefängnis am Hernalser Gürtel kommt es immer wieder zu Zwischenfällen – zuletzt im September 2018, als Schubhäftlinge ein Feuer in ihrer Zelle legten.

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Wien – Im "E-Trakt" des Polizeianhaltezentrums Hernalser Gürtel werden jene Häftlinge untergebracht, die selbst- oder fremdgefährdend sind. Für ihre Betreuung gelten besondere Dienstvorschriften: Sie müssen Papierkleidung tragen, dürfen nur unter Aufsicht die Zelle verlassen und müssen, falls sie eine Zigarette rauchen wollen, das in ihrer Zelle unter Beobachtung tun.

Herr D. war einer dieser Häftlinge, am 27. September 2017 soll er von Gruppeninspektor Erich S. mehrmals geschlagen worden sein. Der 57-jährige Beamte muss sich deshalb wegen versuchter Körperverletzung vor einem Schöffensenat unter Vorsitz von Philipp Schnabel verantworten – und wegen des Vorwurfs des versuchten Amtsmissbrauchs. Er soll seinen Kollegen, der den Vorfall beobachtet haben will, nämlich aufgefordert haben, bei einer etwaigen Nachfrage zu sagen, er sei auf dem WC gewesen und habe nichts mitbekommen.

Angeblich "Gnackwatschen" und Ohrfeigen

Der betroffene Kollege, James H., tat das Gegenteil: Er meldete sich einige Tage später bei Vorgesetzten und gab zu Protokoll, dass S. dem Häftling "Gnackwatschen" und Ohrfeigen gegeben habe, sodass Letzterer zu Sturz kam. Vor den internen Ermittlern der Wiener Polizei sprach der junge Polizist später zusätzlich von der Aufforderung zu schweigen.

Der Angeklagte bekennt sich auf Schnabels Frage nicht schuldig. Und erzählt die Geschichte folgendermaßen: "Es hat damit begonnen, dass der ehemalige Kollege H. den Häftling, der wegen Selbstverletzungen in einer Sicherheitszelle war, entgegen den Dienstvorschriften alleine herausgelassen hat", erinnert sich der Polizist.

"Ich habe ihm erklärt, dass das nicht gehe, und habe den Häftling alleine wieder zur Zelle gebracht. Eineinhalb Meter vor der Tür hat er sich zu Boden fallen lassen und mich am Bein umklammert. Zwei andere Kollegen, die zufällig vorbeikamen, haben mir geholfen, den Häftling zurück in die Zelle zu tragen."

Türspion mit Papier abgedeckt

Danach habe der Häftling immer wieder den Türspion der Zellentür mit Papier seiner Kleidung verklebt. "Am Schluss hat er es hineingeschoben, ich habe also die Zellentür aufgemacht und es mit dem Kugelschreiber herausgestochert", schildert der unbescholtene Angeklagte. Dabei habe er aus dem Augenwinkel beobachtet, dass sich der Häftling näherte.

"Nicht wirklich aggressiv, eher neugierig. Ich habe ihm gesagt, dass er weggehen soll, und an der Schulter weggetaucht." – "Haben Sie ihn weggetaucht oder gestoßen? Bei Ihrer Einvernahme im Büro für besondere Ermittlungen haben Sie noch mehrmals von einem Stoß gesprochen", hält der Vorsitzende S. vor. Der Angeklagte bleibt dabei, es sei ein Wegschieben gewesen.

Sein Kollege H., ein Polizeischüler, sei drei bis vier Meter entfernt gestanden und habe auf dem Rückweg ins Büro mit erhobenem Zeigefinger gesagt: "Das war jetzt nicht okay!" Er selbst habe darauf nicht reagiert, erinnert sich der Angeklagte. Die abwertend gemeinte Frage an H., ob er "für Amnesty oder den 'Falter' arbeite", habe er in einem anderen Zusammenhang gestellt. "Er hat sich ständig mit den Häftlingen unterhalten", kritisiert der Angeklagte.

Fehlende Erinnerung bei Zeugen

Die beiden Polizisten, die ihm angeblichen geholfen haben, den renitenten Häftling zurück in die Zelle zu tragen, sagen, sie könnten sich nicht mehr daran erinnern. Gerade in diesem Trakt komme so eine Assistenzleistung gelegentlich vor. Der Kommandant aller Polizeigefängnisse Wiens, mit dem H. nach seiner Meldung sprach, erinnert sich nicht daran, dass von Druck durch den Angeklagten auf H. die Rede gewesen sei.

Allerdings referiert er auf Nachfrage von Verteidiger Kurt Kadavy über mehrere disziplinarrechtliche Vorfälle mit H., die zu dessen Ausscheiden aus dem Polizeidienst geführt hätten. So sei er einmal schlafend im Büro erwischt worden, bei einer anderen Gelegenheit schlief er während einer Zugkontrolle in der Garnitur. Einmal sei er abgemahnt worden, da er eine Sonderzelle entgegen den Vorschriften alleine geöffnet habe. Zu einem weiteren Gespräch sei es gekommen, als er sich in eine Abschiebung eingemischt und für Unruhe gesorgt habe.

Kolleginnen zeichnen schlechtes Bild

Auch weitere Polizistinnen, die teils Wochen nach dem angeklagten Vorfall mit H. gesprochen haben, zeichnen kein gutes Bild des Polizeischülers. Demnach habe er seine Version der Geschehnisse mehrmals abgeändert, die Bandbreite reichte von "S. hat dem Häftling mit der Faust ins Gesicht geschlagen" bis hin zu "Er hat ihn nur weggestoßen". Eine der Zeuginnen berichtet auch, H. habe einen dunkelhäutigen Elternteil und habe sich ständig diskriminiert gefühlt.

Mittlerweile lebt Doppelstaatsbürger H. in den Vereinigten Staaten von Amerika, die Zeugenladung konnte ihm daher kurzfristig nicht zugestellt werden. Schnabel vertagt die Verhandlung deshalb. Am zweiten Verhandlungstag wird H. per Videokonferenz einvernommen, die Gesamtlage der Beweise überzeugt den Richter aber nicht, er spricht S. frei. (Michael Möseneder, 21.5.2019)