Bruck an der Leitha – "Haben Sie Panik bekommen?", will Richterin Maria Hartel vom angeklagten Unteroffizier Alexander S. wissen. "Nein, ich war eher überrascht. Mehr so: 'Scheiße, was passiert da?'", rekapituliert der 33-jährige Berufssoldat seine Gedanken am Vormittag des 1. September 2018.

Damals lenkte er im Rahmen der Werbeveranstaltung Girls' Camp auf der Donau bei Hainburg ein Arbeitsboot des Bundesheeres. Als es kenterte, wurden zwei junge Frauen unter dem Gefährt eingeklemmt und mussten nach der Bergung reanimiert werden. Da S. durch einen Fahrfehler schuld an dem Unfall sein soll, muss er sich wegen fahrlässiger Gemeingefährdung vor dem Bezirksgericht Bruck an der Leitha verantworten.

Das kleine Amtsgebäude wimmelt vor Medienvertreterinnen und uniformierten sowie zivilen Bundesheerangehörigen. Auch 14 Zeugen sind geladen, die am Unglückstag vor Ort gewesen sind. Benötigt werden letztere nicht – S. bekennt sich schuldig, und die Richterin kommt bereits nach dem Vortrag des technischen Sachverständigen Hermann Steffan zu einer Entscheidung.

Staatsanwalt kommt selbst ins Bezirksgericht

Wie aufsehenerregend der Fall ist, lässt sich bereits daran sehen, dass kein Bezirksanwalt die Anklage vertritt, sondern sie von Friedrich Köhl, erstem Staatsanwalt aus der übergeordneten Stelle in Korneuburg, selbst vorgetragen wird.

Er schildert, wie das Boot mit der Nummer A497 eigentlich mit zwölf Personen an Bord hinter einem Führungsboot rund 20 Minuten auf der Donau herumkurven hätte sollen. Wie S. dann in spitzem Winkel durch die Heckwelle des voranfahrenden Bootes kreuzte und dabei Wasser in das Wasserfahrzeug schwappte. Und er dann die falsche Entscheidung traf.

Der bullige Angeklagte sitzt breitbeinig, aber mit gesenktem Kopf da und bekennt sich mit leiser Stimme schuldig. "Ich kann es mir bis heute nicht erklären", sagt er zur Richterin. "Es war ein Novum, eigentlich war das Boot wie ein Zug auf Schienen", kann es der Unbescholtene noch immer nicht fassen, was damals geschehen ist.

"Unruhige" Donau bei "kurzer Bootsfahrt"

"Wir sollten mit den jungen Damen eine kurze Bootsfahrt machen", erinnert er sich. Die Einschulung zu den Schwimmwesten erfolgte noch an Land, dann nahmen acht Zivilistinnen und vier weitere Soldaten in dem Pionierboot Platz, und die Fahrt begann. "Unruhig" sei die Donau gewesen, "ein Sauwetter", aber gefährlich sei es nicht gewesen.

Auch der Sachverständige sieht das in seinem Gutachten so. S. war mit etwa 40 Kilometern pro Stunde unterwegs, als das Wasser ins Boot schwappte und der Bug in der Welle untertauchte. Fünf bis sechs Sekunden hätte der Angeklagte ab da Zeit gehabt, das Gas zu drosseln – und nichts wäre passiert, ist Steffan überzeugt.

"Verkettung unglücklicher Umstände"

Das sei auch das intuitive Verhalten "jedes halbwegs erfahrenen Bootsführers" gewesen – bei einer Rekonstruktion für die Expertise benötigte man mindestens 30 Versuche, um den Vorfall zu wiederholen, da der Versuchslenker unbewusst immer das Gas herausnahm. Der Angeklagte beteuert jedoch, in der Situation überfordert gewesen zu sein, in der Ausbildung sei ein derartiges Verhalten des Bootes nie vorgekommen oder trainiert worden. Steffan stimmt auf Nachfrage der Richterin zu, dass S. "sicher kein außergewöhnlich gravierendes Fehlverhalten" gesetzt habe und eine "gewisse Verkettung von unglücklichen Umständen" zum Kentern geführt hätte.

Der Angeklagte schildert auch, wie er sich nach dem Unfall seiner Schwimmweste entledigte, um unter das kieloben treibende Boot tauchen zu können. In einer Luftblase im Bugbereich habe er zwei oder drei junge Frauen entdeckt, die er in Sicherheit brachte.

Suche in der Schwärze

Danach hätten er und ein zweiter Soldat weiter unter dem Boot nach Verunglückten getaucht. "Wir wussten nicht, ob noch wer drunter ist. Es war schwarz, echt schwarz", schildert er die schwierigen Bedingungen. Die beiden Opfer, die schwerste Verletzungen erlitten, habe er nur ertasten können, dann musste er erst ihre Rettungswesten aufstechen, deren Auftrieb sie gegen das Boot drückte. Irgendwann sei die Botschaft gekommen, dass "alle da" seien.

Für die Richterin ist am Ende klar, dass eine Diversion das Mittel der Wahl ist. Wiewohl die beiden jungen Frauen an den Folgen leiden würden, "führen auch schwere Verletzungen nicht zu schwerer Schuld", stellt Hartel fest. Die Republik habe bereits alle Entschädigungszahlungen dem Grunde nach anerkannt. Für etwaige Fehler bei der Rettungskette könne S. nicht verantwortlich gemacht werden. Sie entscheidet, dass der zweifache Vater 3.400 Euro Strafe zahlen muss, was dieser ebenso akzeptiert wie Staatsanwalt Köhl. (Michael Möseneder, 13.5.2019)