Kapitän Heinz Lindner ist mit den Grasshoppers abgestiegen, der Eklat in Luzern vergrößerte den Schmerz. "Das tut sehr weh." Der Tormann wird den Klub im Sommer ablösefrei verlassen.

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Am Tag danach hatte sich der 28-jährige Heinz Lindner etwas gefangen. Österreichs Teamtormann hat die Zeitungen konsumiert, die Bilder gesehen, die ihn mitten im Mob der Grasshoppers-Anhänger zeigten. Im Gespräch mit einem glatzköpfigen Typen, der einen langen grauen Bart trägt. Es handelte sich um Stefan N., einen der selbsternannten Chefs der Ultras von Grasshopper Club Zürich. Ein Neonazi, der Hakenkreuze und andere Widerlichkeiten tätowiert hat. "Ich kenne diesen Herren nicht, will ihn auch nicht kennen", sagte Lindner dem STANDARD.

Rückblick, Sonntagnachmittag, Stadion in Luzern: Die Grasshoppers liegen 0:4 zurück, als dutzende, großteils vermummte Chaoten die Absperrung überwinden, sich am Spielfeldrand aufbauen. Der Schiedsrichter unterbricht für 20 Minuten. Kapitän Lindner, der sogar bei den dümmsten Fans aufgrund seiner starken Leistungen hohes Ansehen genießt (Sprechchöre: "Bis auf Lindner könnt ihr alle gehen"), versucht zu kalmieren, seiner Verantwortung gerecht zu werden. "Angst hatte ich keine, ich wurde persönlich nicht bedroht. Aber es war sinnlos, sie hätten eine Wiederaufnahme nicht akzeptiert. Es musste abgebrochen werden, um Schlimmeres zu verhindern. All das ist eigentlich traurig, nicht zu akzeptieren."

Der Mob soll die Spieler aufgefordert haben, sich bis auf die Unterhosen auszuziehen und übers Feld in die Kabine zu robben. Lindner hat in der Hektik Folgendes wahrgenommen: "Wir sollten die Leiberln ausziehen. Dazu waren wir bereit. Man kann das als Erniedrigung interpretieren, aber in Wahrheit ist es das oberste Ziel, Gewalt zu verhindern. Das ist wichtiger als irgendeine Ehre." Die Grasshoppers, mit 27 Titeln Schweizer Rekordmeister, sind erstmals in 70 Jahren abgestiegen. Lindner: "Die Saison war eines Rekordmeisters sicher unwürdig."

"Wir werden definieren müssen: Was sind Fans und was sind Chaoten"

Der Goalie ist nicht der einzige österreichische Legionär im Kader, Marco Djuricin stürmt, von Raphael Holzhauer trennte man sich einvernehmlich. Ex-Austria-Trainer Thorsten Fink war im März entlassen worden. Schon die Partie in Sion musste abgebrochen werden, Grund war das Zünden von Böllern und Raketen.

Vereinspräsident Stephan Rietiker lud Montagvormittag zu einer Pressekonferenz. "Wir werden definieren müssen, was sind Fans und was sind Chaoten." Auch er hatte sich wie Lindner dem Mob gestellt. "Es war kein Kniefall, sondern eine Deeskalation. Es sind Drohungen von Fans ausgesprochen worden. Es ist klare Erpressung. Man kann mich als Weichei bezeichnen. Aber ich musste abwägen. Es gab dort nicht viel Polizei. Ich entschied, diese Trikot-Geste zu erfüllen. Es ist mir klar, dass dies nicht der richtige Weg für die Zukunft ist", sagte der 62-jährige Rietiker, der ein Umdenken in der Strafverfolgung fordert. "Hier sind die Politik und der Verband gefragt. Bei uns werden Autosünder härter bestraft als Hooligans. In Deutschland, beim American Football in den USA oder in England würden diese Leute im Kastenwagen abgeführt." Es sei ein gesellschaftliches und politisches Problem. "Wir brauchen einen Mix aus Dialog und Repression."

"Das Ärgste dürfte vorbei sein"

Lindner hat noch drei Partien mit den Grasshoppers vor sich. "Ich hoffe, es passiert nichts mehr, das Ärgste dürfte vorbei sein." Er stand übrigens 2011 im Austria-Tor, als hunderte Rapid-Chaoten beim Stand von 0:2 das Spielfeld des Hanappi-Stadions stürmten und einen Abbruch erzwangen. Lindner möchte nicht verallgemeinern. "Gewalt ist in jedem Land möglich. Wir Spieler sind nicht in der Lage, dieses Problem zu lösen. Das übersteigt leider unsere Möglichkeiten."

Im Sommer 2017 ist er von Eintracht Frankfurt in die Schweiz gekommen. "Ich bin dem Klub dankbar – obwohl ich in Deutschland Reservist war, wurde mir die Chance ermöglicht." Er ist im Sommer ablösefrei, es wird noch Gespräche mit den Verantwortlichen geben. Die Zeichen stehen auf Abschied. "Denn Lindner und die Schweizer Challenge League passen kaum zusammen." (Christian Hackl, 13.5.2019)