2.222 Kinder wurden für das Schuljahr 2018/19 zum häuslichen Unterricht angemeldet.

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Wien – Eigentlich sollte Julia (Name geändert, Anm.) derzeit die dritte Klasse Volksschule besuchen, doch die Neunjährige hat das Schulgebäude bisher nur wenige Tage von innen gesehen. Sie wird zu Hause unterrichtet – zum Missfallen ihres Vaters Rudolf A., der getrennt von der Mutter lebt. Rein rechtlich ist es in Ordnung, dass das Mädchen keine Klasse besucht: In Österreich herrscht Unterrichts-, aber keine Schulpflicht. Julia ist eines von 2222 Kindern – so viele wurden für das Schuljahr 2018/19 von der Schule abgemeldet.

Das ist hierzulande ohne Angabe von Gründen möglich. Deshalb hat das Bildungsministerium auch keinen Überblick über die jeweilige Motivation der Eltern, die sehr unterschiedlich gelagert und beispielsweise auch in speziellem Förderbedarf oder Krankheit begründet sein kann.

Manche Eltern nützen diese Regelung, weil sie finden, dass das Regelschulsystem ihren Kindern schaden würde. Von der Bundesstelle für Sektenfragen wird ein Trend festgestellt, dass manche Eltern ihre Kinder dadurch von der Gesellschaft abschotten wollen. Auch die Kinder- und Jugendanwaltschaften warnen davor.

"Menschentochter" erstmals 2016 abgemeldet

Julia wurde erstmals im August 2016 von der Schule abgemeldet. Das Schreiben liegt dem STANDARD vor. Darin heißt es: "Hiermit melde ich meine Menschentochter vom Unterricht in der Regelschule ab. Da ich BEWUSST bin (...), kann ich nicht anders, als festzustellen, dass unser System erkrankt ist." Weiter: "Unsere Gesellschaft hat sich zu einem gewinnorientierten handelnden Unternehmen entwickelt."

A. wirft Julias Mutter ein Naheverhältnis zum mittlerweile aufgelösten "Staatenbund Österreich" beziehungsweise der Untergruppe "Staat Steiermark" vor. Aus Unterlagen geht hervor, dass sie dort – dem Szenejargon entsprechend – ihre Tochter "lebend meldete". Es handelte sich um jene staatsfeindliche Verbindung, die die Existenz der Republik nicht anerkannte und die laut der Grazer Staatsanwaltschaft aus über tausend Mitgliedern bestand. Wie auch die deutsche Reichsbürger-Bewegung bezeichneten deren Proponenten Österreich als "Firma". Ihre Anführerin wurde im Jänner dieses Jahres nicht rechtskräftig zu 14 Jahren Haft verurteilt. Julias Mutter wollte keine Stellungnahme abgeben.

Externistenprüfung an zugelassener Schule

Grundsätzlich muss der Bildungserfolg der zu Hause unterrichteten Kinder einmal jährlich per Externistenprüfung an einer dafür zugelassenen Schule nachgewiesen werden. Das ist in diesem Fall auch wie vorgesehen passiert. Doch die Volksanwaltschaft, die sich mit dem Fall ebenfalls beschäftigt hatte, stellte Auffälligkeiten fest. Ein schulpsychologisches Gutachten des Landesschulrates Steiermark widerspricht etwa dem "Sehr guten" Zeugnis der ersten Prüfung. Dort heißt es: "Auffallend ist, dass das Mädchen Zahlen ausschließlich in Spiegelschrift schreibt." Die Leistungen würden jenen eines Schulanfängers entsprechen.

Kurz danach wurde die Erlaubnis zum häuslichen Unterricht vom Landesschulrat untersagt, es folgte eine kurze Phase des Schulbesuchs. Der Bescheid wurde jedoch vom Bundesverwaltungsgericht wieder aufgehoben.

Beide Prüfungen wurden in Wien abgelegt, obwohl Julia in der Steiermark wohnt. Kritiker monieren gegenüber dem Bildungsministerium seit mehreren Jahren, dass durch die bestehenden Regelungen ein sogenannter "Externistenprüfungstourismus" entstehe.

Volksanwalt sieht "Auffälligkeiten"

Ein Bericht der Volksanwaltschaft liegt dem STANDARD vor. Volksanwalt Peter Fichtenbauer (FPÖ) kommt darin zum Schluss, dass auch die zweite Prüfung gesetzeskonform abgelaufen sei, sieht aber Auffälligkeiten: Die schriftliche Arbeit in Deutsch zeige etwa neun Fehler bei einem Gesamtumfang von 23 Worten, trotzdem wurde ein "Sehr gut" vergeben. Vor allem die nach der Externistenprüfungsverordnung vorgegebene Mündlichkeit bringe es mit sich, "dass Prüfungsergebnisse für Außenstehende im Nachhinein kaum überprüfbar sind".

Fichtenbauer empfiehlt daher Bildungsminister Heinz Faßmann (ÖVP) eine Reform des Externistenprüfungswesens. Dieser denkt offenbar über eine "Weiterentwicklung" dieser Prüfungen nach, wie es in einem Schreiben an A. heißt.

In Wien wird das Kind heuer die Prüfung jedenfalls zum letzten Mal ablegen können: Ab dem Schuljahr 2019/20 gilt in der Bundeshauptstadt eine neue Verordnung, wie die Bildungsdirektion mitteilt. Ja nach Wohnort werden Prüfungsschulen zugeteilt. Kinder aus anderen Bundesländern können dann nicht mehr in der Bundeshauptstadt geprüft werden.

In einem offenen Brief hat sich Julias Vater A. direkt an Faßmann gewandt: Er will, dass diese Regelung in ganz Österreich gilt und Prüfungen nur mehr an der jeweiligen Sprengelschule abgehalten werden können. (Vanessa Gaigg, 31.5.2019)