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Ein Flüchtlingscamp in der Provinz Idlib.

Foto: Reuters/Khalil Ashawi

Istanbul – Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat dem syrischen Machthaber Bashar al-Assad vorgeworfen, mit seinem Vorgehen in der nordwestsyrischen Provinz Idlib die türkisch-russische Vereinbarung zu der Rebellenprovinz zu "sabotieren".

Erdoğan beklagte in einem Telefonat mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin am Montagabend, Assads Truppen versuchten, "die türkisch-russische Kooperation zu sabotieren", wie das türkische Präsidialamt mitteilte. Erdoğan und Putin hatten im September bei einem Treffen in Sotschi eine Waffenruhe zwischen Rebellen und Regierungstruppen in Idlib vereinbart. Die Vereinbarung sah den Abzug aller schweren Waffen und aller Jihadisten aus einer Pufferzone um die Rebellenprovinz vor. Zwar wurde die Vereinbarung nie vollständig umgesetzt, doch erlaubte sie zunächst, eine Offensive der Assad-Truppen abzuwenden.

Aus dem Kreml hieß es, die Initiative für das Gespräch sei von türkischer Seite ausgegangen. Beide Seiten hätten betont, dass es wichtig sei, sich in Syrien weiter eng miteinander abzustimmen – auch auf der Ebene der Verteidigungsministerien. Bei dem Gespräch hätten sich Putin und Erdoğan auch über bilaterale politische und wirtschaftliche Fragen sowie über einige internationale Probleme ausgetauscht, teilte die Präsidialverwaltung in Moskau mit.

Konflikt fordert weiter Tote

Zuletzt verstärkte der syrische Machthaber aber den Druck auf die Region, die weitgehend unter Kontrolle der Jihadisten-Allianz Hayat Tahrir al-Sham (HTS) steht. Die syrische Regierung rechtfertigt die Angriffe mit dem Kampf gegen "Terroristen". Laut Aktivisten nahm die Regierungsarmee aber auch gezielt Schulen und Krankenhäuser ins Visier. Demnach wurden allein am Sonntag und Montag binnen 24 Stunden mindestens 42 Kämpfer getötet.

Erdoğan kritisierte, die "Verletzungen der Waffenruhe durch das Regime in der Deeskalationszone" hätten in den vergangenen zwei Wochen eine "alarmierende Dimension erreicht". Die Angriffe auf Zivilisten, Schulen und Krankenhäuser seien auch nicht mit dem Kampf gegen den Terror zu rechtfertigen. Erdoğan warnte zudem, das Vorgehen Assads könne den politischen Prozess in Syrien untergraben.

Der türkische Präsident erwähnte laut seinem Präsidialamt im Gespräch mit Putin aber nicht, dass die russischen Streitkräfte einen entscheidenden Anteil an der Offensive in Idlib haben. Moskau unterstützt Assad im Bürgerkrieg seit Jahren im Kampf gegen die Rebellen, und russische Kampfflugzeuge flogen auch am Montag Angriffe auf Stellungen der Jihadisten in der Provinz Latakia, die an Idlib grenzt.

Laut der oppositionsnahen "Beobachtungsstelle für Menschenrechte" wurden dabei am Sonntag und Montag 19 Jihadisten und 16 Kämpfer der Regierungstruppen getötet. Am Montagabend habe die HTS und ihre Verbündeten eine Gegenoffensive gestartet, die zu heftigen Kämpfen geführt habe, erklärte die oppositionsnahe Organisation mit Sitz in Großbritannien, die ihre Informationen von Aktivisten vor Ort bezieht. Für Medien sind ihre Angaben meist kaum zu überprüfen.

Besorgt über erneute Eskalation

Deutschland, Frankreich und Großbritannien hatten sich am Montag zutiefst besorgt über die Eskalation der Feindseligkeiten im Nordwesten Syriens gezeigt. In den vergangenen Wochen seien mehr als 120 Zivilisten Opfer der Gewalt geworden, hieß es in einer gemeinsamen Erklärung. "Luftangriffe auf dicht bevölkerte Gebiete, wahllose Bombenangriffe, der Einsatz von Fassbomben und gezielte Angriffe auf die zivile und humanitäre Infrastruktur, insbesondere auf Schulen und Gesundheitseinrichtungen, stellen eklatante Verletzungen des humanitären Völkerrechts dar", kritisierten die drei Staaten die Regierungen in Damaskus und in Moskau.

Auch islamistische Terrorgruppen hätten ihre Angriffe intensiviert, hieß es in der Erklärung. Dies biete Anlass zu großer Sorge. "Doch bei der brutalen Offensive des syrischen Regimes und seiner Unterstützer auf Millionen Zivilisten, die in der Region leben, geht es nicht um Terrorismusbekämpfung. Es geht darum, die skrupellose Rückeroberung durch das Regime voranzutreiben", hieß es weiter.

Zuletzt hatten die Rebellen in Idlib weiter an Boden verloren, nachdem die Assad-Truppen und Russland ihre Luftangriffe weiter verstärkt hatten. Dort liegt das letzte große Rebellengebiet in Syrien. Auch rund drei Millionen Flüchtlinge leben dort. (APA, 14.5.2019)