Einst Engel, dann Marktlücke, jetzt der Top-Vietnamese Nguyen's: Manche Lokale haben eben echt gutes Karma.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Wolfsbarsch mit Ingwer, Kräutern, Limette und heißem Öl, den man sich in dicken Streifen von der (gerade noch rosa verbliebenen) Mittelgräte holt.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Es ist schon bemerkenswert, wie sehr die kulinarische Erneuerung der Hauptstadt inzwischen von Chinesen, Thais, dem einen oder anderen Nippon-Burmesen (Ganko, Seilerstätte!) und nicht zuletzt von zahlreichen Vietnamesen angetrieben wird. Dazu gibt es eine Theorie, wonach Energie, Vitalität und globale Bedeutung einer Kultur sich auch an der Verbreitung und Popularität ihres Essens festmachen ließe.

Wenn's stimmt, würde das wenig Gutes für die Befindlichkeit der hiesigen Leitkultur bedeuten: Mit Herz und Ehrgefühl bekochte Wirtshäuser (oder auch nur halbwegs satisfaktionsfähige Schnitzelhütten) stehen bekanntlich schon seit längerem auf der roten Liste vom Aussterben gefährdeter Gastro-Spezies.

Wie das Wertefundament Vietnams (von fehlender demokratischer Tradition einmal abgesehen) aussieht, wissen andere besser. Der globale Pull-Faktor seiner Küche aber lässt sich zwischen Warschau und Washington längst nicht mehr verleugnen. Was Wien betrifft, ist das ganz wesentlich ein Verdienst der aus Saigon gebürtigen Familie Nguyen.

Familienbetriebe

Sie zeichnet mit dem notorisch ausgebuchten Viet Thao am Karlsplatz, dem (nicht zuletzt bei den Top-Köchen der Hauptstadt) extrem beliebten Pho House auf der Lerchenfelder Straße und seit vergangener Woche mit dem Nguyen's in der Großen Pfarrgasse für drei herausragende Lokale verantwortlich, in denen dem Variantenreichtum und der vor Aromen überbordenden Leichtigkeit dieser Küche nachgespürt werden kann.

Im Nguyen's, das an jener Stelle im Karmeliterviertel aufgesperrt hat, wo zuvor Una Abrahams Engel und danach die Marktlücke von Sebastian Neuschler für tolle Küche gesorgt haben, steht mit Bao Nguyen der älteste Bruder am Herd. Er wird von den anderen als "mit Abstand bester Koch der Familie" bezeichnet, was die eh schon hohe Erwartungshaltung noch einmal hinaufschraubt.

Geht sich aus: Der Papayasalat hat dank gerösteter Kokosflocken, karamellisiertem Knoblauch und säurebetontem Dressing ungewöhnlich kraftvoll konturierte Statur, extrem gut. Banh Cuon, gedämpfte Reisteigtaschen mit Morcheln und Schweinefleisch werden auf allerhand Sprossen und Kräuter gebettet und samt einer mit Yuzu angereicherten Fischsauce serviert – da muss man verdammt schnell sein.

Die Wantan-Suppe mit ingwerwürzigen Wonne-Schlutzern ist leicht, tief, vielschichtig, pures Glück. Die Pho bo hat genau jene fantastische Power, für die man diese Ursuppe auch in den anderen Restaurants der Familie liebt – die halbrohen Rindfleischscheiben aber zergehen hier buchstäblich auf der Zunge.

Dampf machen

Und so geht es in einem fort, von Sommerrollen mit kraftvoll gegrilltem Schwein (wie stets die beste Wahl ...) über die knusprige Kurkumaflade Banh Xeo bis zum meisterhaft saftig gedämpften Wolfsbarsch mit Ingwer, Kräutern, Limette und heißem Öl, den man sich in dicken Streifen von der (gerade noch rosa verbliebenen) Mittelgräte holt (siehe Bild).

Dazu darf man sich über durchwegs bemerkenswerte Weine freuen, ob von Superstar Christian Tschida, vom Herrenhof Lamprecht, Claus Preisinger, Lichtenberger-Gonzalez und etlichen anderen jener naturnah kelternden Winzer des Landes, die gerade von Kopenhagen bis Paris für Zungenschnalzen sorgen. Schön, dass die jetzt auch zu vietnamesischem Essen schmecken dürfen!

In Zukunft will Betreiber Thien Nguyen verstärkt mit den Standlern vom nahen Markt kooperieren, auf alte Fleischrassen setzen und mit einer Wochenkarte auch hierorts noch unbekannte, fortgeschrittene vietnamesische Feinheiten forcieren.

Au ja: Auf den Sonntagstisch zum Einheitspreis, wo "wie zu Hause" eine Batterie verschiedenster Speisen und Suppen auf dem Tisch landet, freuen wir uns auch! (Severin Corti, RONDO, 17.5.2019)

>> Google-Map: Aktuelle Restaurantkritiken in Wien & Umgebung